Die »Vollgeld-Initiative« in der Schweiz

Vollgeld und Halbwissen

In der Schweiz möchte ein Verein mit seiner »Vollgeld-Initiative« ein alternatives Finanzsystem durchsetzen. Die Initiatoren beziehen sich auch auf die Freiwirtschaftlehre Silvio Gesells.

Der Zentralbank der Schweiz sei die Kontrolle über die Geldmenge entglitten, behauptet der Verein »Monetäre Modernisierung« (Momo), und initiierte vor Pfingsten eine Unterschriftensammlung für sein angestrebtes Volksbegehren, die »Vollgeld-Initiative«. In 18 Monaten muss sie 100 000 Unterschriften sammeln. Kritisiert wird von Momo die private Geldschöpfung: zehn Prozent des Geldes stelle die Nationalbank her und verleihe es an die Banken. Die restlichen 90 Prozent, sogenanntes Giralgeld, schöpften die Banken selbst, indem sie Kredite vergeben und dafür Zinsen kassieren. Dies führe zu Spekulation und Finanzblasen. Im Ernstfall müsse der Staat die ins Wanken geratenen Banken mit Zahlungen unterstützen. Bei einem Fest zur Vorstellung der Initiative sagte Philippe Mastronardi, emeritierter Professor der Universität St. Gallen: »Geld ist ein Produkt der Finanzwirtschaft – sie produziert es, macht Gewinne.«

Die Lösung heißt für die monetären Modernisierer »Vollgeld«, eine hundertprozentige Deckung der Bankeinlagen. Demnach darf von den Banken nicht mehr Geld vergeben werden, als tatsächlich durch Einlagen oder Darlehen der Zentralbank vorhanden ist. Die Nationalbank solle die Menge des Geldes kontrollieren, auch des »elektronischen«, und den Banken verzinsliche Darlehen gewähren, die sie verteilen und verwalten. Damit würde die Monopolposition des Staates als geldkontrollierende Gewalt wiederhergestellt werden und Finanzblasen verschwinden.
Per Volksentscheid wurde 1891 der Nationalbank das Banknotenmonopol übergeben. In den vergangenen Jahrzehnten kam die Möglichkeit der »elektronischen« Geldschöpfung hinzu, die Verfassung ist insofern veraltet. Zur Verfolgung des Gesamtinteresses kann der Bund vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen und den Markt ordnen. Joseph Huber, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Momo, entwickelte das Konzept des Vollgeldes, basierend auf der Auswertung des Börsencrashs 1929 und der Theorie der Trennung privater Kreditgewährung und staatlicher Geldschöpfung von David Ricardo.

Aus welcher ideologischen Ecke die Initiative kommt, wird offensichtlich mit der Feststellung, dass einige führende Mitglieder des Vereins Momo auch bei der 1990 entstandenen »Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung« (INWO) tätig sind, die sich ganz offen auf die Freiwirtschaftslehre des Sozialdarwinisten Silvio Gesell (siehe Seite 16) bezieht, dem oft eine zumindest strukturell antisemitische Sichtweise unterstellt wird. Bereits 1949 gab es in der Schweiz eine Freigeld-Initiative »zur Sicherstellung der Kaufkraft und Vollbeschäftigung«, die jedoch abgelehnt wurde.
Angesichts der Weltwirtschaftskrise erfreuen sich Zinskritiker, die meist antisemitisch konnotiert das schaffende vom raffenden Kapital befreien wollen, sowie andere »alternative Wirtschaftslehren« wieder größerer Beliebtheit. Die Vollgeld-Bewegung ist in über 15 Ländern aktiv, in der Schweiz wäre dank der direkten Demokratie ein Modellfall möglich.
Auch einige Linke unterstützen die Initiative. Sie stören sich nicht an den rechten Theorien ­Gesells, auf die sich die Initiatoren beziehen, allerdings kritisieren manche, dass von der Vollgeld-Initiative ausbeuterische Produktionsprozesse nicht angesprochen würden. Angesichts der Behauptung der Initiatoren, sie wollten Geld in den »Dienst der Menschen stellen«, fragt so etwa Siro Torresan, Sekretär der Schweizer »Partei der Arbeit« (PdA), wer denn die Gesamtinteressen der Gesellschaft definiere: »Die aktuellen, politischen Machtverhältnisse sind nicht so, dass sie dem Interesse der unteren Schichten der Gesellschaft, den ArbeiterInnen oder den Flüchtlingen dienen.« So habe die Stärkung der Nationalbank, deren gesetzlich festgelegtes erstes Ziel Preisstabilität und erst nachrangig Konjunktur und Beschäftigung sei, Nachteile. Gewerkschaften hätten dagegen erfolglos bei der Revision des Nationalbankgesetzes gekämpft.