Die deutschen Rüstungsexporte boomen

Panzer für die Welt

Zum »Exportweltmeister« reicht es nicht ganz. Dennoch kann die deutsche Rüstungsindustrie angesichts der guten Geschäfte in aller Welt zufrieden sein – der Bundesregierung sei Dank.

Die Liste ist gruselig: Panzerteile für Ägypten, Flugkörper für Pakistan, Kommunikations- und Navigationsausrüstung für Thailand, Panzerhaubitzen für Indonesien, Torpedos und Abschusssysteme für Indien, Waffenzielgeräte für Kasachstan, Teile für Kanonenmunition für den Irak, Panzerabwehrwaffen für Jordanien, Gewehre und Maschinenpistolen für Saudi-Arabien, Navigationsausrüstung für Marokko, U-Boote für Kolumbien, Nebelwurfanlagen für Peru. Und das ist noch längst nicht alles. Im Jahr 2013 wurden von der deutschen Regierung 17 280 Einzelanträge für die Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigt, 900 mehr als im Vorjahr. Damit können Unternehmen Raketenwerfer, Munition und andere militärische Waren im Wert von 5,8 Milliarden Euro exportieren – 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem Rüstungsexportbericht für 2013 hervor, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kürzlich vorgelegt hat.

An Rüstungsexporten hängt der Geruch von Blut und Tod, vor allem wenn sie in Krisengebiete gehen. Deshalb lässt sich schlecht Wahlkampf betreiben, indem man sie verteidigt. Wer behauptet, sie begrenzen zu wollen, hat es leichter. Das dürfte auch dem SPD-Vorsitzenden Gabriel klar sein, der sich vor den Bundestagswahlen immer wieder für strengere Regeln für die Ausfuhr von Tötungsgerät ausgesprochen hat. Kurz nach seinem Amtsantritt als Minister bekräftigte er diese Absicht. Sogar noch nach Bekanntwerden der drastisch gestiegenen Zahl von Genehmigungen sagte er Bild am Sonntag, er »werde dafür sorgen, dass Deutschland damit deutlich vorsichtiger umgeht«. Nichts als leere Versprechungen, konstatiert hingegen die Linkspartei. »Öffentlich spielt Gabriel immer den Kritiker von Rüstungsexporten, ganz praktisch macht er genau das Gegenteil«, kommentierte deren Bundestagsabgeordneter Jan van Aken öffentlich Gabriels Ankündigung. Ob Unternehmen militärisches Gerät ausführen dürfen, entscheidet der Bundessicherheitsrat. Ihm gehören die Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gabriel sowie sechs weitere Minister und der Kanzleramtsminister an. Die CDU hat in dem Gremium zurzeit fünf Stimmen, die SPD drei und die CSU eine. In den Richtlinien für die Genehmigung hat sich die Bundesregierung seit langem zu einer restriktiven Ausfuhrpolitik für Rüstungsgüter verpflichtet. Konsequenzen hat das offenbar nicht. Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt.
Unionspolitiker wollen, dass das so bleibt. »Die deutsche Industrie hat weltweit mit die besten Defence-Systeme«, sagt der ehemalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), nun Vorsitzender des Bundestagswirtschaftsausschusses. Er benutzt lieber das Wort »Defence-Systeme«, denn »Rüstungsgüter« oder gar »Waffen« hat eben einen zu eindeutigen und aggressiven Klang. »Wenn wir da nichts mehr exportieren lassen, werden die Produkte anderswo gekauft. Wir setzen viel aufs Spiel«, fürchtet Ramsauer.
Die Rüstungsindustrie drohte präventiv und tat so, als sei Gabriels Ankündigung bereits verwirklich worden – wovon keine Rede sein kann. »Ich bin über die zunehmend restriktive Rüstungsexportpolitik in Deutschland besorgt. Dies könnte zu zusätzlichen Entlassungen in Deutschland führen, über unsere derzeitigen Abbaupläne hinaus«, sagte Thomas Enders, der Vorstandsvorsitzende der Airbus-Gruppe, bereits Ende Mai der Nachrichtenagentur Reuters. Das Unternehmen will in seiner Rüstungssparte europaweit 5 800 Stellen abzubauen, davon 2 600 in Bayern. In der Rüstungsproduk­tion arbeiten in Deutschland insgesamt etwa 80 000 Beschäftigte. »Irgendwann haben wir vielleicht zu prüfen, komplette Standorte oder Produktlinien zu schließen oder aus Deutschland hinaus zu verlagern«, kündigte Enders an.

Doch dass die Branche Standorte schließt, ist unwahrscheinlich. Denn die Geschäfte laufen prächtig, und zumindest die Bundesregierung und ihr sozialdemokratischer Wirtschaftsminister werden nicht dafür sorgen, dass sich das ändert. Allein in den ersten vier Monaten 2014 hat der Sozialdemokrat Gabriel Rüstungsexporten mit einem Wert von mehr als 1,2 Milliarden Euro zugestimmt. Das ist zwar etwas weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Deutlich gestiegen aber sind Lieferungen von militärischem Gerät in sogenannte Drittländer, die nicht der EU oder der Nato angehören, wie etwa Saudi-Arabien und Algerien. Das ist das Resultat der veränderten Marktbedingungen. Die Nachfrage in EU- und Nato-Ländern sinkt und die Rüstungsindustrie ist dabei, neue Märkte zu erschließen oder auszubauen.
»Deutschland exportiert auch unter der Ägide eines sozialdemokratischen Wirtschaftsministers den Tod in alle Welt. Sigmar Gabriel ist ein Heuchler«, kommentierte die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, die Entwicklung. Auch die Grünen geben sich empört. »Die von Bundeswirtschaftsminister Gabriel angekündigte restriktive Rüstungsexportpolitik bleibt bisher ein reines Ammenmärchen«, sagte ihre Vorsitzende Simone Peter. Gabriel bestreitet jedoch, dass die Genehmigungen aus den ersten Monaten 2014 in seiner Verantwortung liegen. Er könne die Entscheidungen der Vorgängerregierung nicht rückgängig machen, behauptet er. Das stimme nicht, sagen Vertreter der Opposition. Das Kriegswaffenkontrollgesetz sehe ausdrücklich vor, dass Genehmigungen jederzeit widerrufen werden können, argumentierte etwa der Abrüstungsexperte der Linkspartei, van Aken. »Herr Gabriel hätte das also tun können, er hat sich aber nicht getraut«, sagt er. »Mein Eindruck von der SPD und von Herrn Gabriel ist: Immer, wenn irgendwo eine Fernsehkamera in der Nähe ist, ist er der totale Kritiker von allen Waffenexporten. Kaum ist die Kamera aus, winkt er alle Rüstungsexporte durch, auch nach Saudi-Arabien, auch an Menschenrechtsverletzer.« Die Grünen halten Gabriels Rechtfertig für die Genehmigungen ebenfalls für absurd. »Auch endgültig erteilte Genehmigungen kann man widerrufen und Verträge kann man kündigen, wenn man das tun möchte«, sagt die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger. Doch das möchte der Minister offensichtlich nicht. Die Bundesregierung will, dass alles so bleibt, wie es ist, und lässt dies auch öffentlich verkünden. »Von einer Kehrtwende kann mit Sicherheit nicht die Rede sein«, sagte kürzlich der Regierungssprecher Steffen Seibert.
Dabei wäre eine drastische Veränderung auch an anderer Stelle nötig. Die Bundesregierung ­genehmigt Rüstungsexporte nicht nur. Sie sichert sie auch ab. Das Mittel dafür sind die Hermes-Bürgschaften, ein Instrument zur Absicherung des Außenhandels. Von Ende 2009 bis Ende Januar dieses Jahres wurden 13 Rüstungsprojekte mit Hermes-Bürgschaften im Gesamtwert von 6,35 Milliarden Euro geschützt, ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Gebürgt hat die Bundesregierung unter anderem für Rüstungsgüter für die Türkei in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro sowie für Lieferungen nach Abu Dhabi, Algerien, Libyen und Pakistan. Im Jahr 2012 bürgte die Bundesregierung für U-Boote an Ägypten im Wert von 683 Millionen Euro.

Auch auf anderen Wegen hilft die Regierung den Herstellern von militärischem Gerät. Die Bundeskanzlerin nahm allein seit Dezember 2009 auf Reisen in die Türkei sowie zu Besuchen in den Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, Indien, Singapur, Kenia, Angola, Nigeria und Kanada Vertreter der Rüstungsindustrie mit. 58 Termine hatte das Bundeswirtschaftsministe­rium seit Ende 2009 mit Leuten aus der Branche, sieben davon seit Gabriels Amtsantritt. 99 Termine gewährte das Verteidigungsministerium, 22 das Auswärtige Amt – informelle Treffen zwischen Lobbyisten und Regierungsvertretern sowie von der Rüstungsindustrie selbst ausgerichtete Veranstaltungen nicht mitgezählt.