Die Debatte über Chlorhühnchen

Unter Chlorhähnchenhysterikern

Man könnte angesichts des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA über Vorhaben wie den Investitionsschutz debattieren. In Deutschland fürchtet man sich jedoch vor allem vor dem Import von Hähnchen, weil die in den USA mit Chlor desinfiziert werden dürfen.

Große Aufregungsbereitschaft gepaart mit der Fähigkeit, ganz schnell zu vergessen – deutsche Verbraucher sind ziemlich verlässlich. Vom Glykol-Wein in den achtziger Jahren über Fischwürmer und Wachstumshormonkälber bis hin zu Antibiotika-Schweinen und BSE-Rindern haben sie sich über jeden einzelnen Lebensmittelskandal rund zwei Wochen lang intensiv empört, um dann doch wieder die Supermärkte zu stürmen und das nur wenige Tage zuvor so vehement abgelehnte Zeug im Sonderangebot für dreifuffzich das Kilo zu kaufen. Diesmal jedoch ist alles anders: Die Chlorhähnchen sind da. Also da sind sie noch nicht, aber im Prinzip lauern sie bereits an den EU-Grenzen, bereit, den deutschen Verbraucher bei der ersten Gelegenheit umzubringen. Oder vielleicht auch nur schwer zu vergiften, so ganz genau weiß man das nicht, aber weil das perfide Federvieh aus den USA kommt, ist ihm grundsätzlich alles zuzutrauen. Was genau nun daran so schlimm ist, ein Hähnchen nach der Schlachtung in Chlordioxid zu tauchen, ist unklar. Vielleicht liegt es daran, dass mit diesem Verfahren die guten deutschen Salmonellen ziemlich ausgerottet würden, die die Zubereitung eines deutschen Supermarkthähnchens jedes Mal zu einem aufregenden Abenteuer machen – wann sonst kann man sich schon fühlen wie ein Fugu-Koch, der ja schließlich auch bei der Verarbeitung des Kugelfischs peinlich genau arbeiten muss, um fürchterliche Folgen zu vermeiden? Dass die Amerikaner trotz jahrzehntelangem Chlorhähnchenkonsum noch immer nicht nennenswert dezimiert sind, ist vermutlich sowieso bloß Propaganda von denen da oben. Oder so. Mit anderen Worten: Die derzeitige Chlorhähnchen-, manchmal auch Chlorhühnchen-Debatte gehört wie praktisch jede Diskussion, in der es um Essen geht, mit zum Lästigsten, was man im Internet lesen kann. Gut, die Diskussionen über Beschneidungen waren noch ein klitzekleines bisschen schlimmer, aber die Hähnchenhysterie hat dafür ganz eigenen Charme. Am deutschen Hähnchen ist, angefangen von seiner Geburt in irgendeiner Massentierhaltungsklitsche über sein erbärmliches Leben auf ein paar Quadrat­zentimetern bis zu seinem äußerst unschönen Tod in einer Schlachterei nichts verteidigenswert, und trotzdem stellen sich die Freunde des teutonischen Billighuhns an, als sei eines der höchstwertigen und gesündesten Lebensmittel mindestens des bekannten Universums bedroht. Weil: Amerika! Wobei – in der ganzen Diskussion – in der es aparterweise nie darum geht, dass niemand gezwungen werden würde, die chlorgebadeten Tiere zu kaufen und zu essen, und wenn Verbraucher sie nicht wollen, lohnt sich der Export eh nicht – fehlt eigentlich noch die Verschwörungstheorie, dass die Chlorhähnchen nur ein weiterer perfider Plan der USA sind, Deutschland zu versklaven, weil sie uns nämlich alle via in ihren Barcodes implementierten komplizierten Spionagetechniken abhören werden, bevor sie uns dann vergiften. Aber nicht mehr lange: Genau die werde ich jetzt verbreiten, ha! Achtet auf das Hashtag #ChlorhähnchenNSA.