Repression von Protest und Subkultur in Aserbaidschan

Die Verachteten von Baku

Viel ist von der Aufbruchstimmung nach den Protesten um den Eurovision Song Contest vor zwei Jahren bei Oppositionellen in Aserbaidschan nicht übrig geblieben. Das Regime von Präsident Ilham Alijew übt auf Menschenrechtler, Künstler und NGOs massive Repression aus. Ein Besuch in Baku.

Auf die »Flame Towers« ist man in Baku besonders stolz. Flammenförmig ragen die Wolkenkratzer gen Himmel, abends tauchen LED-Leuchten die Glasfassaden in feuerrotes Licht. Rechtzeitig zum Eurovision Song Contest 2012 waren die Türme fertiggestellt worden. Heute stehen sie größtenteils leer, bislang haben sich nur wenige Unternehmen in dem Gebäudekomplex eingemietet. Die drei Türme sind eines von vielen Prestigeobjekten in Aserbaidschans Hauptstadt, die mit ihrem Umfeld nicht recht harmonieren wollen. Da gibt es etwa die von alter Bausubstanz aus Sowjetzeiten umstellten Fußgänger­zonen, die in den vergangenen Jahre aufwendig historisiert wurden und Luxusgeschäfte beherbergen, die bei einem Durchschnittslohn von 500 Euro kaum ein Anwohner besuchen kann. Da sind die penibel gepflegten Blumenbeete und Wiesen, von denen erschöpfte Touristen alsbald vertrieben werden, wollen sie sich auf einer Decke hinlegen. Dort, wo die Stadtautobahn mit den grell illuminierten Tankstellen des staatlichen Öl- und Gaskonzerns Socar endet, beginnen die Armenviertel mit ihren verfallenden Häusern. Der Blick von der Hafenpromenade auf das funkelnde Stadtpanorama wird oft von Staub getrübt, der unablässig in der Luft hängt. Man sagt, es ist der Wüstensand Turkmenistans, der vom Wind über das Kaspische Meer an die Küste Aserbaidschans geweht wird.
Baku, das täuschend echt erscheinende Abziehbild einer Metropole, ist erbaut mit den Milliarden, die die Öl- und Gasgeschäfte der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan abwerfen. Wenn der 29jährige Ilkin Yusif durch die Stadt läuft, sieht er wenig, was ihn zum Hierbleiben bewegen könnte. »Gesellschaftlich hinken wir der westlichen Welt 20 Jahre hinterher«, sagt der freiberufliche Filmemacher. »Du siehst hier fast nie Straßenmusiker oder Streetart, die Polizei würde alles verhindern und Leute festnehmen.« Ilkin sitzt in einem karg eingerichteten Bürozimmer. An den Wänden hängen ein paar eingerahmte Karikaturen, neben seinem Schreibtisch steht ein Schaukelpferd. Von hier aus arbeitet Ilkin mit Aktivisten und Mediendesignern an dem Projekt Firfira, »soziale Propaganda«, wie er es nennt. Auf Facebook teilt er selbstproduzierte Videos, sie handeln etwa von der steigenden Suizidrate im Land, Zwangsräumungen von Wohnungen oder der Durchsetzung von Grundrechten beim Umgang mit der Polizei. »Eigentlich ist es die Aufgabe des Staates, die Bürger über diese Themen aufzuklären, aber da kommt natürlich nichts«, sagt Ilkin. Im Gegenteil seien Aktivisten wie er stets in Gefahr, im Gefängnis zu landen: »Wenn sie dich kriegen wollen, kommen die Polizisten einfach in deine Wohnung, legen dir ein Päckchen Kokain in die Schublade und beschuldigen dich des Drogenhandels.«
Unter dem Vorwand fingierter Rauschgiftdelikte und durch Vorwürfe des Hooliganismus werden Aktivisten wie Ilkin, Oppositionsgruppen, Journalisten und NGOs seit vergangenem Jahr einer verstärkten Repression ausgesetzt. Während der Eurovision Song Contest 2012 zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Menschenrechtsverletzungen im autoritär regierten Aserbaidschan führte und das Regime von Präsident Ilham Alijew zur Freilassung vieler politischer Gefangener nötigte, hat das internationale Interesse an den innenpolitischen Zuständen in dem Land heute wieder abgenommen. So blieb in vielen westlichen Medien nur eine Randnotiz, dass Aserbaidschan, das nach Angaben verschiedener NGOs über 100 politische Gefangene zählt, im Mai dieses Jahres den Vorsitz des Ministerkomitees des Europarats übernahm – jener Organisation, die sich der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen in seinen Mitgliedsländern verpflichtet. Von der Europäischen Union wird die Partnerschaft mit der Kaukasusrepublik aufgrund ihrer Gas- und Ölvorkommen als ein Ausweg aus der Abhängigkeit von russischer Energie geschätzt. Als Socar am 13. November 2012 eine Repräsentanz in Brüssel eröffnete, schmeichelte EU-Energiekommissar Günter Oettinger dem Konzern und dem Land bei einem Festakt im Brüsseler Hotel Conrad. Von einer »world class oil and gas company« schwärmte er und von »your wonderful country Azerbaijan«. Ebenso wenige Berührungsängste mit dem Regime zeigte vergangenes Jahr der ehemalige Chefredakteur des Spiegel, Stefan Aust, der mit seiner Produktionsfirma Agenda Media für den Nachrichtensender N 24 einen als Dokumentation getarnten Werbefilm über Aserbaidschan drehte, der sich im Wesentlichen auf die Darstellung des neuerlichen Reichtums des Landes beschränkte und die Menschenrechtsverletzungen der Alijew-Diktatur verschwieg.
Für die Arbeit Rasul Jafarows, der den Human Rights Club in Baku leitet, sind diese äußeren Umstände alles andere als vorteilhaft: »Gerade jetzt, da alle nur auf die Ukraine schauen, ist die Repression in Aserbaidschan völlig aus dem Blick geraten«, sagt er. Das Licht der Abendsonne überflutet die Fußgängerzone am Brunnenplatz, Pärchen und Familien flanieren hier entlang. Im Araz Café trinkt Jafarow schwarzen Tee und erzählt nonchalant, wie das halt so ist in Aserbaidschan. Dass Teilnehmer von Oppositionsdemonstrationen regelmäßig festgenommen und mit hohen Geldstrafen kaltgestellt werden. Dass selbst die privaten Radio- und Fernsehsender von der Regierung kontrolliert werden. »Die Regierung übt gerade viel Druck aus, gleichzeitig weiß sie aber auch, dass sie nicht so autoritär auftreten kann wie etwa Usbekistan oder Turkmenistan«, sagt Jafarow. Vor zwei Jahren hatte er die Kampagne »Sing for Democracy« ins Leben gerufen, die während des Eurovision Song Contest auf die schelchte Situation der Menschenrechte in Aserbaidschan aufmerksam machte. Die Bewegung heißt jetzt »Art for Democracy« und ist ein lockerer Zusammenschluss von Künstlern, Musikern, Schriftstellern und Aktivisten. Der Filmemacher Ilkin ist einer von ihnen. Dass selbst die wenigen öffentlichen Aktionen der Gruppe auf wenig Gegenliebe stoßen, zeigt ein Fall vom vergangenen Oktober. Damals wollten die Aktivisten eine Dokumentation über die politische Situation von Künstlern aus Baku in einem Hotel aufführen. »Man hat uns einfach den Strom abgedreht«, sagt Ilkin. Rasul Jafarow erinnert sich an eine Anekdote, die ihm der US-Botschafter in Aserbaidschan zugetragen hat: Bei einem Treffen mit Präsident Alijew sagte dieser dem Amerikaner, dass er »Art for Democracy« als eine feindliche Organisation betrachte. Jafarow schüttelt den Kopf. »Dabei haben wir uns nie auf seine Person bezogen.«

Wer Aserbaidschan besucht, kommt jedoch nur schwer an Ilham Alijew und den Personenkult um dessen Vorgänger und Vater, den 2003 verstorbenen Heydar Alijew, vorbei. Unzählige Gebäude, Parks und Straßen sowie der Flughafen wurden nach Alijew Senior benannt, sein Konterfei hängt in fast allen Orten des Landes prominent an öffentlichen Plätzen. »Der Personenkult um Alijew ist nicht anders als die Propaganda der Sowjetunion«, sagt Rasul Jafarow. Dabei versucht Aserbaidschan, den Mythos um den »Vater der aserbaidschanischen Nation« auch im Ausland zu kultivieren: Seit 2008 wurden Alijew-Statuen unter anderem in Tiflis, Belgrad und Mexiko-Stadt errichtet.
Der Ziehsohn Leonid Breschnews und ehemalige KGB-Offizier, der die Führung des Landes 1993 nach einem Militärputsch gegen den gewählten Präsidenten Äbülfäz Elçibäy übernommen hatte, etablierte in den ersten Jahren der Unabhängigkeit und dem Bergkarabach-Krieg gegen den Nachbarn Armenien ein autoritäres Herrschaftssystem. Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International werfen dem Regime seit jeher vor, Folter, erzwungenes Verschwinden von Personen oder Haft ohne Verfahren gegen die eigene Bevölkerung anzuwenden. Im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen belegte Aserbaidschan im vergangenen Jahr den 160. von 180 Plätzen. Keine der Wahlen nach 1993 wurde von internationalen Beobachtern als frei und fair bewertet.
Als Ilham Alijew 2001 das Präsidentenamt übernahm, ließ die Repression gegen oppositionelle Gruppen nicht nach. »Viele Menschen haben schon Angst, wenn sie den Namen Ilham Alijew öffentlich aussprechen«, sagt Sura Aghawerdijewa von der Bürgerrechtsbewegung Nida. Die Gruppe bildete sich 2011, man wollte gegen den rechtswidrigen Abriss von Häusern demonstrieren, die den Prachtbauten für den Eurovision Song Contest weichen mussten, und Grundrechte wie Versammlungs- und Redefreiheit einfordern. »Wir sind keine politische Partei«, sagt Aghawerdijewa. »Wir haben uns gegründet, weil wir auf Reformen hofften und einen Dialog mit der Regierung suchten.« Die Hoffnung zerschlug sich im März und April 2013. Mitglieder von Nida demonstrierten gegen den Tod von Wehrdienstleistenden, die nicht in Gefechtssituationen umgekommen waren, und sammelten Spenden für die Familien der Soldaten. Im Anschluss wurden mehrere führende Mitglieder der Organi­sation unter dubiosen Umständen verhaftet und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Rashadat Achundow etwa, Ökonom und einer der Gründer von Nida, wurde beschuldigt, den Protestierenden Drogen verabreicht und Molotowcocktails gebaut zu haben. Von einem Gericht wurde er zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Ein anderes Beispiel ist Mohammed Azizow, der im März 2013 von Sicherheitskräften gekidnappt und wenig später im Staatsfernsehen vorgeführt wurde. Dort bekannte er sich zu den ihm vorgeworfenen Drogen- und Hooliganismusdelikten. Ein erzwungenes Geständnis, da ist sich Sura Aghawerdijewa sicher. Ihre Arbeit für Nida, sagt sie, ist seit den Verhaftungen im vergangenen Jahr fast unmöglich geworden. »Wir können in der Öffentlichkeit nicht mehr demonstrieren, weil wir dauernd Angst haben müssen, Mitglieder zu verlieren.« Das Schlimmste, sagt Aghawerdijewa, ist ohnehin, dass die Aktivisten von Nida aufgrund der kompromittierenden Berich­te der Staatsmedien von vielen Aserbaidschanern als »Terroristen« angesehen würden. Ihre Stimme zittert.

Nicht zuletzt instrumentalisiert das Alijew-Regime den Konflikt mit Armenien für die Repression gegen Regierungskritiker und Journalisten. So wurde Rauf Miqardirow, der für die Zeitung Ayno-Zarkalo schreibt, am 19. April dieses Jahres von der Türkei nach Aserbaidschan ausgeliefert, wo ihm Spionage für die verfeindeten Armenier und Geheimnisverrat vorgeworfen wurden. Für Arzu Abdullajewa ist das nichts Neues. Seit Anfang der neunziger Jahre arbeitet sie für die NGO Helsinki Citizens Assembly an einem zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Aserbaidschanern und Armeniern und einer friedlichen Lösung des Bergkarabach-Konflikts. Auf dem Bücherregal in ihrem Büro steht eine kleine EU-Flagge, daneben ein Foto des 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme. Sie reiste mehrmals in das von Armeniern besetzte Gebiet und nahm an unzähligen Konferenzen im benachbarten Georgien oder in Westeuropa teil, bei denen zivile Vertreter beider Konfliktparteien miteinander reden konnten. Doch der Dialog wird von der aserbaidschanischen Regierung immer weniger gewünscht. »Bis 2001 konnten wir noch regelmäßig armenische Delegationen in Baku empfangen«, sagt Abdullajewa. »Heute ist das so gut wie unmöglich und bringt Aserbaidschaner, die auch nur irgendeinen Kontakt mit Armeniern haben, in große Schwierigkeiten.« Die Drohungen kommen nicht nur von der Regierung, sondern auch von nationalistischen Gruppen, die jeglichen Dialog mit dem Nachbarstaat als Vaterlandsverrat betrachten. Arzu Abdullajewa holt eine Holzschachtel aus ihrer Schublade, die 2006 an ihr Büro geschickt wurde. In ihr liegt ein weißer Strick. In einem beigelegten Brief wurde sie dazu aufgefordert, sich doch bitte damit zu erhängen.
»Die Leute fürchten sich heute mehr vor dem Staat als vor zehn Jahren«, sagt Filmemacher Ilkin. Dies sei einer der Hauptgründe, warum Kollektive wie »Art for Democracy« oder die Bürgerrechtler von Nida wenig Unterstützung in der Bevölkerung genössen. »Die Gesellschaft will doch in erster Linie Arbeitsplätze und sichere Einkommen haben.« Solidarität mit sozialen Aktivisten rentiere sich eben nicht. Der Menschenrechtler Rasul Jafarow glaubt nicht an die wirtschaftliche Stabilität des Landes – gleichzeitig sieht er in sinkenden Einkünften aus den Energieexporten die Hauptgefahr für das herrschende Regime: »Niemand kann garantieren, dass unser Öl uns weiterhin Wohlstand bescheren wird«, sagt er. »Wenn wir erst einmal wirtschaftliche Probleme bekommen, kann dies zu politischen Unruhen führen. Zustände wie in der Ukraine oder in Ägypten möchte hier niemand haben. Deswegen muss die Regierung einsehen, dass Stabilität ohne die Einhaltung von Menschenrechten nicht zu haben ist.«