Die Sängerin Lana del Rey

Nahe am Abgrund

Die Sängerin Lana Del Rey polarisiert, seit sie mit ihrem Song »Video Games« 2011 schlagartig berühmt wurde. Ihre Musik spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Wer ist diese Frau? Und wo hat sie sich all die Jahre versteckt gehalten? Diese Fragen stellte sich die Öffentlichkeit, als vor etwa zwei Jahren »Born to Die« erschien, das Debütalbum einer Sängerin, deren Stimme jedem durch Mark und Bein zu gehen schien. Inzwischen ist Lana Del Rey, die mit bürgerlichem Namen Elizabeth Woolridge Grant heißt, als H&M-Model in jedem zweiten U-Bahnhof zu sehen gewesen, das Feuilleton hat ausgiebig über sie berichtet und ihr Privatleben wird in der Presse, wohlgemerkt nicht nur dem Boulevard, en detail ausgebreitet.
Lana Del Rey bietet Projektionsfläche. Sowohl für die Sehnsüchte ihrer Bewunderer, als auch für die Hasstiraden vor allem derer, die immer noch der Ansicht sind, Authentizität sei der Schlüssel zu guter Musik. Sie solle nicht rumheulen, heißt es immer wieder, schließlich komme sie aus einem reichen Elternhaus. Überhaupt sei sie lediglich ein Kunstprodukt – als könne dieser Vorwurf einem Musiker sinnvoll gemacht werden. Warum sie als Antifeministin geschmäht wurde, obwohl sie sich nie entsprechend geäußert hat, wissen wohl nur ihre Feinde.
Schmerzen und eine gewisse Lebensmüdigkeit stellen auch auf »Ultraviolence«, ihrem dieser Tage erschienenen zweiten Album, die Leitmotive dar. Wirkten die Cover von »Born to Die« und der folgenden EP »Paradise« dank ihren die Farbpalette alter Technicolor-Filme zitierenden Großaufnahmen einer ziemlich blonden Sängerin noch so, als seien sie aus dem boomenden Kalifornien der späten Fünfziger gefallen, zeigt sich Lana Del Rey auf »Ultraviolence« düster. Dunkelhaarig blickt sie uns von einem in ausgeblichenem Schwarzweiß gehaltenen Cover an, als sei sie im Geiste ein weiteres Jahrzehnt zurückgereist, in die vierziger Jahre des Film Noir. Kalifornien spielt weiterhin eine Rolle, allerdings eher als Bild, wie es schon von so vielen besungen wurde. Es sei eine Hommage an Underground-Jazz, sagt sie, an den idealisierten Sinn für Freiheit in den Siebzigern. Der Titel ihrer ersten Single lautet »West Coast«.
Tatsächlich sind einige Songs in ihren Grundzügen im kalifornischen Santa Monica entstanden. Aufgenommen wurde zuerst in New York, dann verwarf sie alles und begab sich nach Nashville, Tennessee, um »Ultraviolence« mit Dan Auerbach, dem Sänger und Gitarristen der Bluesrock-Band The Black Keys, fertigzustellen. Es ist ein all-American album geworden, in dem sich Ost- und Westküste genauso finden lassen wie die große Weite dazwischen. Lana Del Rey öffnet sich dem Rock – allerdings nicht dem, der zum Luftgitarrespielen und zu Trinkgelagen einlädt, einem Rock also, den schlichte Gemüter gern als »ehrlich« oder »amtlich« bezeichnen. Ihr Rock ist die logische Fortsetzung von Blues, eine Reduktion auf das Wesentliche.
Aber für ihre Musik interessiert sich kaum jemand. Viel höhere Wellen schlugen Meldungen über Lana Del Reys angebliche Todessehnsucht. Sie wünschte, sie sei bereits tot, hatte sie dem Guardian gegenüber gesagt, früh verstorbene Musiker wie Amy Winehouse und Kurt Cobain seien ihre großen Vorbilder – und deren frühe Tode hätten etwas Glamouröses. Kurt Cobains Tochter Frances Bean ließ daraufhin via Twitter verlauten, der Tod junger Musiker solle nicht romantisiert werden, Lana Del Rey solle ihr Leben nicht verschwenden. Dabei lässt sich Lana Del Rey, die live auch Stücke von Nirvana spielte, nur schwer mit Kurt Cobain vergleichen. Und zwar nicht nur, weil sie seit ein paar Tagen zu alt für den berühmten Club 27 ist. Ja, beide mögen eine schwierige Jugend gehabt haben. Doch während Cobain lange abstinent gelebt hat und erst vergleichsweise spät anfing, mit allem, was greifbar war, zu experimentieren, war Lana Del Rey eigenen Angaben zufolge mit 18 Jahren schon wieder trocken. Jugendlicher Alkoholismus – noch so eine Meldung, die ihr Leben in den vergangenen zwei Jahren zum Skandal werden ließ.
Wenn die Sängerin davon redet, sterben zu wollen, spricht aus ihr nicht die Verzweiflung und Ausweglosigkeit, die Cobain in den letzten Tagen seines Lebens gefühlt zu haben scheint, sondern eher ein gewisser Lebensüberdruss. Nicht einmal an dem Hype, der sie umgibt, scheint sie Interesse zu haben. Außerdem: Wahre Selbstmörder bringen sich nicht um, aber der Gedanke, es jederzeit tun zu können, beruhigt sie, heißt es in Hermann Hesses »Steppenwolf«. Vielleicht ist das ja alles nur Show – allerdings eine gute.
Lana Del Rey wirkt bei all dem Abgründigen und Düsteren, das sie von sich gibt, immer sehr ruhig und gefasst. Wenn sie erklärt, Alkohol sei ihre erste Liebe gewesen, klingt es nach kritischer Selbstreflexion. In »West Coast« singt sie: »If you’re not drinking then you’re not playing but you’ve got the music in you.« Wenn wir ihr glauben, dann muss sie sich oft als Außenseiterin gefühlt haben.
Oder zumindest als eine, die aus der Zeit gefallen ist. Wo die musikalische Konkurrenz sich auf ihrer Suche nach Neuem oftmals förmlich überschlägt, liegen Lana Del Reys kulturelle Referenzpunkte fast alle in den Jahrzehnten vor ihrer Geburt: Lou Reed, Beat Poetry, Woodstock und die Hochzeiten des Jazz. Auch der Titel des Albums stammt aus dem Jahr 1962, aus »A Clockwork Orange« von Anthony Burgess, der in seinem Roman eine durch exzessive Gewalt geprägte Dystopie beschrieb. Doch anders als bei Burgess oder in der Verfilmung durch Stanley Kubrick steht bei Lana Del Rey keine Sozialkritik hinter der Verwendung des Titels. Ganz im Gegenteil ist »Ultraviolence« ein sehr persönliches, fast schon intimes Album geworden, das seinen Hörern weismacht, den Erlebnissen der Sängerin zu folgen. Offen bleibt natürlich, wie viel von alldem von Elizabeth Grant handelt und wie viel von der Kunstfigur Lana Del Rey. Wahrscheinlich leben beide schon längst in Symbiose miteinander. Es wäre interessant zu wissen, wie ihre Freunde sie nennen. Vor allem dann, wenn niemand sonst zuhört.

Lana Del Rey: Ultraviolence (Vertigo Berlin/Universal Music)