Vielen deutschen Krankenhäusern droht die Pleite

Das kranke Haus

Den deutschen Krankenhäusern geht es wirtschaftlich schlecht. Der »Krankenhaus Rating Report 2014«, der Ende Juni in Berlin vorgestellt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass in absehbarer Zeit jede siebte Klinik von Schließung bedroht sein wird.

Bereits derzeit stellt man sich einen Krankenhausaufenthalt mehr oder weniger als Horror­szenario vor. Überarbeitetes Personal, stundenlanges Warten in der Notaufnahme, schnelle Operation statt Krankengymnastik – die Liste der befürchteten oder tatsächlichen Mängel ist lang und das, obwohl Deutschland zu den reichsten Industrieländern gehört. Trotz der hektischen Betriebsamkeit in den Kliniken und der Überlastung des Personals laufen die meisten Krankenhäuser defizitär.
Der »Krankenhaus Rating Report 2014« gelangt zu dem Ergebnis, dass jede zweite Klinik in Deutschland nicht ausreichend investitionsfähig ist. Die jährlich erscheinende Studie über die wirtschaftliche Lage deutscher Krankenhäuser wurde gemeinsam vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), dem IT-Beratungsunternehmen Accenture und dem Institute for Healthcare Business erstellt. Der Rating-Report wurde also nicht von ausgewiesenen medizinischen oder gesundheitspolitischen Ins­titutionen erstellt, sondern von ökonomisch ausgerichteten. Das Unternehmen Accenture beispielsweise ist ein Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister mit rund 289 000 Mitarbeitern, der für Kunden in über 120 Ländern tätig ist. Da überrascht es nicht, dass die Studie zu eindeutigen wirtschaftspolitischen Ergebnissen kommt, denn keines der Institute trägt konkrete Verantwortung für die Vorschläge, die in der Studie gemacht werden.

16 Prozent der Krankenhäuser weisen eine erhöhte Insolvenzgefahr auf, vor zwei Jahren waren es nur halb so viele. Wobei anscheinend einiges vom Träger abhängt: Von den öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern waren 28 Prozent insolvenzgefährdet, von den privat betriebenen nur drei Prozent. 35 Prozent der Krankenhäuser schrieben 2012 auf Konzernebene einen Jahresverlust, zwei Jahre zuvor waren es nur 16 Prozent. Zwar wurde auf Bundesebene im Jahr 2013 eine Finanzhilfe beschlossen, die den Autoren der Studie zufolge bis 2014 für Stabilität sorgt, auf mittlere Sicht bleibt die Lage jedoch angespannt. Den derzeitigen Mangel an Investitionen beziffert der Report auf 15 Milliarden Euro. Um ihren Bedarf zu decken, müssten die Krankenhäuser jährlich 5,4 Milliarden Euro investieren. Bleibt die Lage so, wie sie sich derzeit darstellt, müsse bis 2020 jede siebte Klinik schließen. Den Kliniken in Ostdeutschland attestieren die Autoren noch die besten Werte, weil dort nach der Wende viel investiert wurde. Wirtschaftlich besonders schlecht stehen Kliniken in Bremen und Niedersachsen da. Aber auch in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern stecken viele Krankenhäuser in existentiellen Schwierigkeiten.
Der Krankenhausreport liefert konkrete Vorschläge, wie dem drohenden Konkurs entgegengewirkt werden soll. Mit Verbünden, Netzwerkmedizin und höherer Spezialisierung ließen sich einige Kliniken retten. Um mehr Kapital in das System zu bekommen, fordert der Report einen Investitionsfonds. Darüber hinaus droht er den Bürgern jedoch auch indirekt: »(Der) Zielkonflikt zwischen Qualität und Nähe der Versorgung sollte den Bürgern transparenter gemacht werden. Ferner sollte klarer kommuniziert werden, dass sie auf andere kommunale Angebote verzichten müssen, wenn ein dauerhaft defizitäres Haus mit kommunalen Mitteln am Leben gehalten wird.« Wer ins Hallenbad möchte, sollte auf die Klinik verzichten können. Die Schließung jeder siebten Klinik scheint jedoch trotz aller Reformvorschläge als opportun zu gelten. Anders ist nicht zu erklären, dass im Report darauf verwiesen wird, Deutschland würde auch dann noch im europäischen Durchschnitt der OECD-Länder liegen.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat bereits auf die wirtschaftliche Misere der Krankenhäuser reagiert und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Krankenhausversorgung initiiert. Bei der konstituierenden Sitzung beschwor der Minister hehre Ideale: »Die Menschen müssen sich auf gut erreichbare, leistungsstarke Krankenhäuser verlassen können – und zwar überall in unserem Land.« Die Studie kommt zu einem anderen Ergebnis. Erstaunlich an ihr und ein Grund für das Entsetzen ob der schlechten wirtschaftlichen Situation ist, dass sich die Kennzahlen in einem sehr kurzen Zeit­abschnitt – innerhalb eines oder wenige Jahre – so dramatisch verschlechtert haben sollen.

Das Kernproblem sehen Kritiker seit langem da­rin, dass sich die Länder klammheimlich aus der Finanzierung der Krankenhäuser verabschiedet haben. Im Normalfall sollen die Kliniken in Deutschland dual finanziert werden. Während die Länder für Investitionen, etwa Gebäude und medizinische Großgeräte, zuständig waren, übernahmen die Krankenkassen die Behandlungs­kosten. Für die Erhaltung und Modernisierung der Häuser wurde lange Zeit ein Richtwert von neun Prozent des Umsatzes für Reinvestitionen als realistisch und sinnvoll erachtet. Doch die Länder unterstützen die Kliniken seit einigen Jahren nur mit rund drei oder vier Prozent, also mit knapp der Hälfte.
»Dieses Vorgehen führte dazu, dass Krankenhäuser versuchen, medizinische Behandlungskosten in Investitionsmittel umzufunktionieren«, sagt Niko Stumpfögger vom Fachbereich Gesundheit bei Verdi. Da ist es nicht überraschend, dass die Anzahl der gewinnbringenden Operationen, die hierzulande stattfinden, immer wieder deutlich über dem OECD-Schnitt liegt. Mit einer Knieoperation lassen sich, sarkastisch formuliert, auch einige undichte Fenster reparieren. »Polemisch gesprochen werden die Baustellen der Kliniken mit Personalmitteln bezahlt«, so Stumpfögger.
Während Verdi in einigen Ballungsräumen auch eine zu hohe Klinikdichte attestiert, könnten die angedrohten Schließungen in ländlichen Regionen zu ernsthaften Versorgungsproblemen führen. Hier fordert die Gewerkschaft ein höheres Engagement von Seiten der Politik. Zwar können Qualitätssteigerungen und Fusionen einiges abwenden, die chronische Unterfinanzierung bleibt dennoch ein Problem, das nur durch die Bereitstellung höherer Steuermittel für die notwendigen Investitionen durch die Länder zu lösen ist. Verdi hat berechnet, dass die Einführung einer Vermögenssteuer ziemlich genau den Betrag einbringen könnte, der den Kliniken für die dringend notwendigen Investitionen fehlt.
Darüber hinaus scheitern einige Häuser in öffentlicher Hand auch an juristischen Hürden, wenn sie sich, wie oft gefordert, vernetzen oder fusionieren wollen. In Esslingen ist dies kürzlich geschehen. Dort wollten die Kreiskliniken mit dem städtischen Klinikum Esslingen fusionieren, doch das Bundeskartellamt hat die Fusion Ende Mai abgelehnt, mit der Begründung, dass das neue Unternehmen im Kreisgebiet eine marktbeherrschende Position einnehmen würde. So sind die Empfehlungen des Reports von vornherein Makulatur. Stumpfögger bringt die Lage auf den Punkt: Neben einem enormen privaten Reichtum stehe in Deutschland eine erschreckende öffentliche Armut. Und wenn auch noch der Versuch, diesem Problem zu begegnen, torpediert wird, wird es endgültig absurd. Angenehmer wird der Aufenthalt in deutschen Kliniken in Zukunft mit Sicherheit nicht. Und kommt es zu Klinikschließungen, müssen sich auch einige Angestellte nach neuen Jobs umsehen.