Spanien verschärft das Abtreibungsgesetz

Die Liste des Ministers

Nach den Europawahlen wird das Gesetzgebungsverfahren zur Verschärfung der spanischen Abtreibungsregelung wieder beschleunigt.

Mit dem geplanten »Gesetz zum Schutz des ungeborenen Lebens und der Rechte der schwangeren Frau« soll die erst 2010 vom sozialdemokratischen PSOE eingeführte Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Spanien wieder rückgängig gemacht werden. Die Ende vorigen Jahres von Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón vorgestellte Verschärfung war zwar vom Ministerrat verabschiedet worden, hatte aber breiten gesellschaftlichen und innerparteilichen Protest ausgelöst. Im Zentrum der Debatte stand nicht so sehr die Ersetzung der liberalen Fristenlösung bis zur 14. Woche durch eine strenge Indikationsregelung. Die größte Empörung regte sich vielmehr wegen der geplanten Abschaffung der embryopathischen Indikation, also der Möglichkeit, wegen einer dia­gnostizierten Behinderung des Fötus abzutreiben.
Der Prozess der Gesetzesänderung sieht vor, dass nach der Verabschiedung eines Entwurfs durch die Regierung Gutachten und Empfehlungen verschiedener Behörden, Institutionen und relevanter gesellschaftlicher Gruppen eingeholt werden müssen. Die rechtskonservative Regierung hat dies genutzt, um die gesellschaftliche Debatte bis nach den Wahlen zum Europaparlament aufzuschieben. Jetzt hat sie es auf einmal eilig, denn das Gesetz soll vor den Kommunal- und Landtagswahlen im kommenden Frühjahr verabschiedet werden. Der regierende Partido Popular (PP) will so eine Mobilisierung der linken Wähler vermeiden. Die Opposition befürchtet, dass der PP seine absolute Mehrheit in beiden Kammern in den Sommerferien nutzen wird, um das Gesetz im Schnellverfahren durchzubringen.

Vor der erneuten Debatte im Ministerrat werden die Punkte, an denen der Gesetzesentwurf geändert werden soll, nur allmählich bekannt. Sehr wahrscheinlich soll die embryopathische Indikation nun doch nicht vollständig abgeschafft werden, sondern als dritter Grund für einen legalen Schwangerschaftsabbruch neben Vergewaltigung und der Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren gelten. Allerdings hatte Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón mehrfach verkündet, »niemals wieder« werde in Spanien nur wegen einer Behinderung eine Abtreibung legal sein. Wie er dies einhalten und gleichzeitig dem innerparteilichen und gesellschaftlichen Drängen auf die Möglichkeit genau solcher Abtreibungen nachgeben will, bietet der Presse derzeit viel Anlass zu Spekulation.
Die liberale Tageszeitung El País meldete bereits Anfang Juli, der Minister unterscheide zwischen »Behinderung« und »Missbildung« und wolle für ersteres Abtreibungen ausschließen, für letzteres aber zulassen. So solle der »härteste Aspekt« der Gesetzesverschärfung abgemildert werden. Mehrere Zeitungen meldeten hingegen, die embryopathische Indikation solle nur für Behinderungen gelten, die »nicht mit dem Leben vereinbar« seien. Im Gesetzesentwurf solle es eine Liste dieser Behinderungen geben. Am Montag voriger Woche meldete die konservative Tageszeitung La Razón auf ihrer Titelseite, dass Trisomie 21 nicht auf dieser Liste stehe. In den Kommentarspalten brach ein Shitstorm aus.

Die Mehrheit der Empörten sorgte sich kaum um das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren oder prangerte die Sozialkürzungen an. Im Mittelpunkt der Entrüstung stand die Zumutung, die ein Leben mit einer Behinderung bedeute, wahlweise für die Frau, die Familie oder für das Kind selbst. Sollte es diese Liste tatsächlich geben und sollten die Informationen darüber weiter so sporadisch publik werden, würde der Minister der spanischen Behindertenbewegung wahrlich einen Bärendienst erweisen, da mit jeder neuen Veröffentlichung eine Debatte darüber ausbrechen könnte, ob ein »lebenswertes Leben« mit genau dieser Behinderung möglich sei.
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metroscopia zufolge sind 60 Prozent der Spanier für die Beibehaltung der derzeit geltenden Fristenregelung. Vor einem Jahr waren es nur 46 Prozent. Ein Drittel sowohl der PP-Wähler als auch der gläubigen Katholiken bevorzugen das geltende liberale Gesetz.