Die Reaktionen auf den »US-Maulwurf« im BND

Freiheit für Maulwurfshausen

»Jetzt reicht’s auch einmal!« findet der Bundespräsident bezüglich des derzeitigen Spionageskandals. Mit der Aufforderung an den obersten Vertreter der US-Geheimdienste in der Bundesrepublik, das Land zu verlassen, und der möglichen Ausweitung eigener Spionage greift die Bundesregierung zu bislang undenkbaren Mitteln.

Kein Blatt schien zwischen diese beiden zu passen. Der hagere US-Außenminister John Kerry und sein eher rundlicher deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier (SPD) demonstrierten am Sonntag am Rande der sogenannten iranischen Atomgespräche in Wien das Ideal politischer Männerfreundschaft. Sie lobten die enge Beziehung und die strategische Partnerschaft ihrer beiden Länder, hoben die »gemeinsame Verantwortung« für die »Lösung globaler Probleme« hervor und versicherten einander und der Welt, in Sachen iranisches Atomprogramm und »Gewalt im Nahen Osten« stets die gleichen Ziele zu verfolgen. Doch Steinmeier, stellten deutsche Medien fast unisono fest, »räumte bilaterale Probleme in letzter Zeit ein, ohne ins Detail zu gehen«, so exemplarisch der Bayerische Rundfunk.

Denn in den Tagen zuvor hatte mächtige Empörung in Deutschland geherrscht und der Lärm sollte am selben Tag noch weitergehen, wenn nicht auf bilateral diplomatischer, so doch auf massenmedialer Ebene. Zumindest in Deutschland. Nur anderthalb Wochen waren vergangen, seit ein »US-Maulwurf« im deutschen Auslands­geheimdienst BND enttarnt worden war. Der perfide getarnte Doppelagent – ein »31 Jahre alter körperbehinderter Beamter, dem seine Umgebung nicht misstraute« (Süddeutsche Zeitung) – hatte mehr als 200 interne Dokumente an die amerikanischen Kollegen weitergegeben, darunter pikanterweise auch Unterlagen mit unmittelbarem Bezug zur Arbeit des parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschusses.
Was folgte, verwunderte in seiner Heftigkeit. Erstmals wurde die integrative Person der Bundeskanzlerin von den Medien gescholten: »Zum Wohle des deutsch-amerikanischen Verhältnisses lässt sie sich nun seit mehr als einem Jahr voller NSA-Enthüllungen als desinteressierte Verharmloserin verlachen.« Nun aber »kennt Angela Merkel den Ertrag dieser fast grenzenlosen Geduld: Es gibt keinen«, maulte etwa die Süddeutsche Zeitung. Die Gescholtene ließ sich nicht lange bitten und kündigte bei einer Pressekonferenz während ihres Besuchs in China »Konsequenzen« angesichts des »Vertrauensbruchs« an. Denn sie weiß: »Wir leben nicht mehr im Kalten Krieg, wo jeder jedem wahrscheinlich misstraut hat.« Doch die empörte Öffentlichkeit sah die Zukunft düster. Zwar treibe diese Arroganz der USA Berlin noch nicht gleich an die Seite Russlands oder Chinas. »Doch dass die Bundeskanzlerin gezwungen ist, sich ausgerechnet in Peking öffentlich über die Amerikaner zu beschweren, wirft kein gutes Licht auf den Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen«, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Selbst der grundsätzlich proamerikanische Ersatzkaiser Joachim Gauck sah sich veranlasst, die amerikanischen Freunde vor »einem Spiel auch mit Freundschaft« zu warnen. Sprachlich unbeholfen, doch höchst entschlossen trug der Bundespräsident im ZDF seine Ansicht vor: »Dann ist ja nun wirklich zu sagen: Jetzt reicht’s auch einmal!«
Gleichermaßen erzürnt erklang es auch aus den Reihen der Regierungskoalition. Justizminister Heiko Maas (SPD) beklagte den »amerikanische Überwachungswahn«. Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl bekannte in der Welt am Sonntag, die USA erschienen ihm »wie eine digitale Besatzungsmacht«. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann schwang sich zum transatlantischen Lehrmeister auf. »Beendet diese Spionageaktivitäten«, sprach er die US-Regierung ausgerechnet in der Sächsischen Zeitung direkt an, »sonst verändert sich die Grundlage der deutsch-amerikanischen Freundschaft.«

Andere, die sonst als Avantgarde der nationalen Souveränität auftreten, erschienen nun wie hilflose Nachzügler. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sagte der Osnabrücker Zeitung, die USA behandelten »Europa wie ihren Hinterhof«, das sei »Ergebnis des atlantischen Duckmäusertums der Bundeskanzlerin«. Riexingers Vorschlag, »US-Einrichtungen, von denen Spionage ausgeht«, polizeilich durchsuchen zu lassen, ging jedoch kaum über die Ideen der Regierungsparteien hinaus. Dort war längst der Ruf nach der Ausweisung von US-Agenten laut geworden.
Gesagt – getan. Ende vergangener Woche wurde dem »Repräsentanten der US-Dienste in Berlin« die Ausreise nahegelegt. Auch der US-Botschafter wurde »einbestellt«, wie bereits im Zuge der Abhöraffäre um das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin. Tags zuvor war die »Enttarnung« eines weiteren US-Agenten bekannt geworden, diesmal im Verteidigungsministerium. Nun gefiel man sich in gekränkter moralischer Überlegenheit. »Berlin zweifelt an der Freundschaft Washingtons«, zeigte sich der Tagesspiegel enttäuscht. Der deutsche Blick über den Atlantik erkannte nun ein ziemlich erbärmliches Objekt. Die »vermeintlich gewonnenen Erkenntnisse« der US-Spione, so Innenminister Thomas de Maizière (CDU), seien »absolut lächerlich«. Warum, erläutert die Süddeutsche Zeitung: »Was der BND und das Bundesverteidigungsministerium so tun und planen, würden die Deutschen den Amerikanern in der Regel ohnehin bereitwillig und freiwillig erzählen. Diese könnten das alles auf offiziellen Wegen erfahren. Ihre Spionage ist oft nur der Wichtigtuerei von Agenten geschuldet, die stolz darauf sind, irgendwo Quellen zu gewinnen und Dokumente abzufischen.«
Ja, ganz schön blöd, diese Amis. Kompetent für solche Beurteilung zeigte sich auch der deutsche Finanzminister. »Dass die Amerikaner drittklassige Leute bei uns anheuern dürfen«, gehe nicht an, sagte Wolfgang Schäuble (CDU). »Das ist so was von blöd und über so viel Dummheit kann man auch weinen.« Die Ambivalenz dieser Prahlerei ist kaum zu übersehen: Deutschland, so können die Worte des Ministers auch interpretiert werden, hätte oder hat das Augenmerk bei der Informantenwahl auf hochkarätiges Personal gerichtet. Eine Interpretation, deren Gehalt sich in den kommenden Wochen erweisen könnte.
Denn während der deutsche Außenminister, der zuvor betont hatte, der Versuch, die deutsche Regierung auszuspionieren, »gehört sich nicht nur nicht, er ist auch völlig überflüssig«, in Wien Einigkeit mit seinem US-Kollegen demonstrierte, grummelte es in der amerikanischen Öffentlichkeit. Dort wirft man den heimischen Geheimdiensten und der Regierung zwar diplomatische Ungeschicklichkeit vor, zeigt sich aber düpiert über den Rauswurf des obersten Spions aus Deutschland. So etwas sei selbst während des Kalten Kriegs in der DDR eine Seltenheit gewesen, kommentierte etwa das Wall Street Journal den Vorgang. Präsident Barack Obama ließ über einen Regierungssprecher die deutsche Regierung bitten: »Auftretende Differenzen können am besten über bewährte, private Kanäle beigelegt werden – und nicht über die Medien.« In den USA stößt das deutsche Vorgehen also auf wenig Verständnis. Nur strategische Überlegungen dürften aus Sicht der US-Regierung dagegen sprechen, sich demnächst mit einer Enttarnung deutscher Agenten und mit einer medialen Thematisierung deutscher Spionage in den USA revanchieren.

Offiziell gibt es so etwas von deutscher Seite nicht. Das hat zwar niemand wirklich geglaubt, aber erst jetzt wird öffentlich eine Erweiterung des »Aufklärungsauftrags« deutscher Spione in Form von »Gegenmaßnahmen« thematisiert. »Damit ist gemeint, dass Deutschland es den USA gleichtun und ebenfalls westliche Partner ausspionieren will«, erklärte die Berliner Zeitung. So könnte die zuerst von der Bild am Sonntag verbreitete Meldung, in vier weiteren deutschen Ministerien seien »US-Quellen« am Werk, eine neue Phase deutsch-amerikanischer Beziehungen einleiten. Denn noch etwas schrieb das Blatt unter Berufung auf »US-Geheimdienstkreise«: Seit Tagen würden Mitarbeiter der Berliner US-Botschaft von deutschen Verfassungsschützern observiert.