Der Kampf gegen Islamisten in Tunesien

Harte Zeiten

In Tunesien mehren sich die Anzeichen für eine salafistisch-jihadistische Insurrektion.

Es war der schwerste Angriff auf die tunesische Armee seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956: 15 Tote und 20 Verletzte auf Seiten der Ordnungskräfte, ein Toter auf Seiten der Angreifer. Nach Angaben der Behörden hatten nahe der Stadt Kasserine, nicht weit von der Grenze zu Algerien gelegen, zwei mit Kalaschnikows und Raketenwerfern bewaffnete »terroristische« Gruppen zur Zeit des Fastenbrechens simultan zwei Überwachungsposten der Armee angegriffen. Im Internet bekannte sich eine jihadistische Gruppe zu dem Angriff, die Brigade Okfa Ibn Nafaa, die mit al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqmi) verbunden ist; es ist nicht klar, ob sie tatsächlich hinter dem Angriff steckt.
Alle Jahre wieder knallt es im Ramadan. Im vorigen Jahr hatte zu einem ähnlichen Zeitpunkt, um den 17. Tag des Ramadan, eine jihadistische Gruppe bei einem Angriff acht bewaffnete Staatsdiener getötet. Am 17. Tag des Ramadan fand auch die sagenumwobene Schlacht von Badr statt, der erste Sieg der Muslime unter Führung Mohammeds gegen die »Ungläubigen«. Nicht ausgeschlossen, dass, wie in tunesischen Medien spekuliert wird, die heutigen Jihadisten versuchen, diese Schlacht nachzuspielen – sie selbst in der Rolle der von Gott unterstützten Muslime, die den islamischen Staat bewaffnet durchsetzen, die tunesische Armee in der Rolle der »Ungläubigen«. Allerdings rund 1 400 Jahre nach dem ursprünglichen Ereignis.
Tatsächlich erscheint die Ideologie der salafistisch-jihadistischen Gruppen mit ihren ewigen Referenzen auf eine mythische, angeblich goldene Zeit des Islam ein wenig aus der Zeit gefallen. Aber sie hat offensichtlich genügend Anziehungskraft, um eine nicht unerhebliche Gruppe von No-future-Jugendlichen in eine jihadistische Insurrektion zu verwickeln – auch in Tunesien, dem vergleichsweise säkularisiertesten Land der sogenannten arabisch-islamischen Welt. Auch in Tunesien existiert ein Staat, der wegen der Rückständigkeit der Wirtschaft selber rückständig ist und deshalb nicht auf die »Krücke des Islam« verzichten kann, wie der tunesische kritische Intellektuelle Lafif Lakhdar bereits Anfang der achtziger Jahre argumentierte. In Krisenzeiten sei der Staat versucht, die religiöse Legitimationsquelle auszuschöpfen.
Tatsächlich eröffnete der tunesische Staat bereits in den siebziger Jahren, als das autoritäre Entwicklungsmodell des Republikgründers Bourguiba in der Krise steckte, den Islamisten Wege, sich zu organisieren und gegen Linke insbesondere an den Universitäten vorzugehen. Unter dem autoritären Präsidenten Zine al-Abdine Ben Ali wurden unzählige neue Moscheen erbaut, während die Petrodollars aus Saudi-Arabien und den Golfmonarchien zu einem weiteren Erstarken der Islamisten beitrugen. War in den siebziger Jahren das Kopftuch der misogyne Einsatz der Islamisten, ist es heutzutage der Niqab.
Die politische Entwicklung nach dem Sturz Ben Alis im sogenannten arabischen Frühling setzt diese Tendenz fort. Al-Nahda, der tunesische Muslimbrüder-Klon und Champion der Islamisierung von oben, stellt seit Anfang des Jahres nicht mehr die Regierung, die Initiative ist auf die Salafisten übergegangen, die Protagonisten der Islamisierung von unten. Den gesellschaftlichen Gegenkräften, der Gewerkschafts- und der Frauenbewegung, stehen harte Zeiten bevor.