Berlin Beatet Bestes. Folge 251.

Hüllenlos im Swing-Camp

Berlin Beatet Bestes. Folge 251. Johnny Devlin: Stomp the Tumbarumba (1964).

Auch dieses Jahr verbringe ich mit meiner Freundin den Sommerurlaub in Schweden im größten Swing-Camp der Welt. Fünf Wochen lang kommen Tausende von Swing-Tänzern aus der ganzen Welt in dem kleinen Küstendorf Herräng zusammen, um an Workshops teilzunehmen und bis in die Morgenstunden zu tanzen. Diesmal wohnen wir zusammen mit acht anderen Leuten, hauptsächlich Kölnern, in einem Haus ganz in der Nähe des Camp. Dort gucken wir auch das WM-Finale gemeinsam mit 30 Swing-Tänzern. Als Deutschland gewinnt, bricht großer Jubel aus, der eine kurze Zeit später aber auch schon wieder verebbt. Damit ist das Thema »Deutschland ist Fussballweltmeister« in Herräng erledigt und wird nicht wieder aufgegriffen. Alle brechen auf und gehen zum Tanzen.
Wie in jedem Jahr bringe ich auch diesmal meinen portablen Mini-Plattenspieler mit, um auch im Urlaub Platten hören zu können. Außerdem finde ich auf Reisen immer Platten, und da ist es praktisch, sie sofort an Ort und Stelle abspielen zu können. Einige billige Jazz- und Swing-Platten kaufe ich jedes Jahr im Lindy-Hop-Shop des Camps. Und sogar einen kleinen Trödelladen gibt es im Dorf. Genauer gesagt handelt es sich um ein Zelt hinter dem einzigen Laden des Ortes, dem »Kuggen«. In privater Initiative wird hier Geld gesammelt, um Frauen auf Sri Lanka zu helfen. Ein Mann aus Herräng, der im Baugeschäft tätig ist, war zusammen mit seiner Frau auf das Schicksal der Frauen aufmerksam geworden, die unter schwierigen Bedingungen im Straßenbau auf Sri Lanka arbeiten müssen. Damit sie wenigstens Wasser und eine kleine Mahlzeit zu sich nehmen können, sammelt das Ehepaar Geld. Im Trödelzelt finde ich einen kleinen Stapel schwedischer Singles, die ich für jeweils fünf Kronen, umgerechnet 50 Cent, erwerbe.
Es ist ein schmutziges Konvolut, das ich da nach Hause trage. Hüllenlos haben sich die Scheiben monatelang bei Wind und Wetter aneinander gerieben. Das kann die Rillen schnell zerstören, allerdings kann Schmutz auch ein hervorragender Schutz vor dem Abbrieb sein. Als ich die Platten vorsichtig mit Spüli abwasche, erscheint unter der matten, klebrigen Staubschicht der alte Glanz. Die Highlights sind zwei Soul-Singles des Stax Labels aus Memphis. Jimmy Hughes »Chains of Love/I’m Not Ashamed to Beg or Plead« von 1969 ist purer Northern Soul. Die ebenfalls 1969 für Stax aufgenommene Single »My Baby Specializes/Left Over Love« von William Bell und Judy Clay ist auch recht tanzbar. Wie sind diese heißen Scheiben in ein schwedisches Fischerdorf gelangt? Neben einer EP des schwedischen Jazzmusikers Putte Wickman und einer Single des Komikers Martin Ljung habe ich auf gut Glück auch eine
Platte des schwedischen Labels Olga ausgesucht. In Berlin habe ich eine Olga-Single der Hep Stars, einer schwedischen Beat-Band, in der Björn Ulvaeus, der später mit Abba berühmt wurde, Gitarre spielte. »Stomp the Tumbarumba« von Johnny Devlin, dem neuseeländischen Elvis, entpuppt sich als gute Beatnummer. Backgroundsänger des 1964 aufgenommenen Titels sind die jungen Bee Gees, vor ihrem internationalen Durchbruch.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.