Im Gaza-Konflikt fehlen Vermittler

Kein Licht am Ende des Tunnels

Wegen der veränderten Machverhältnisse im Nahen Osten fehlt es an Vermittlern im Konflikt zwischen Israel und der Hamas.

Ein Ende der Kämpfe ist noch nicht absehbar. Mit dem Vorrücken israelischer Bodentruppen in den Gaza-Streifen seit Freitag vergangener Woche kamen erstmals auch israelische Soldaten ums Leben, zu Redaktionsschluss betrug deren Zahl 27, ein Soldat wird vermisst. Auf palästinensischer Seite liegt die Gesamtzahl der Opfer mittlerweile über 500, viele von ihnen sind Zivilisten. Der Krieg dauert bereits länger und die Zahl der Todesopfer ist höher als beim letzten militärischen Konflikt zwischen Israel und der Hamas im November 2012. Erstmals werden in israelischen Medien nun Stimmen laut, die den derzeitigen Konflikt mit dem zweiten Libanon-Krieg im Jahr 2006 vergleichen.
Das offizielle Ziel der Bodenoffensive ist die Zerstörung von Tunneln, die zur Lagerung von Waffen dienen und von denen manche vom Gaza-Streifen aus nach Israel führen. Am 7. Juli und am Donnerstag vergangener Woche vereitelte die israelische Armee zwei Infiltrationsversuche bewaffneter Gruppen aus dem Gaza-Streifen. Trotz des Ausmaßes der Bodenoffensive gehen nur wenige politische Analytiker von einer israelischen Wiederbesetzung des Küstenstreifens aus. Den Quellen der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge steht Ministerpräsident Benjamin Netanyahu solchen Forderungen trotz Drucks aus dem ultrarechten Lager seines Kabinetts nach wie vor ablehnend gegenüber. Doch ebenso fühle er sich in seinem Vorgehen stärker international legitimiert, nachdem die Hamas am Dienstag vergangener Woche einen von der ägyptischen Regierung ausgearbeiteten Waffenstillstandsvorschlag ablehnte.

Im November 2012 vermittelte die ägyptische Regierung unter Mohammed Mursi mit diplomatischer Unterstützung der USA noch zwischen Israels Regierung und der Hamas. Doch heute sieht die Lage anders aus. Die ägyptischen Kontakte zur Hamas in Gaza sind seit dem Sturz des Islamisten Mursi ebenso geschwunden wie das Vertrauen der Hamas in eine Vermittlerrolle der neuen Regierung.
Ihr wird nachgesagt, diese im gegenwärtigen Krieg zunächst nur widerwillig auf westlichen Druck hin angenommen zu haben. Die neuen Militärmachthaber bringt diese Rolle in innenpolitische Erklärungsnot. Zwar steigt in Ägypten der zivilgesellschaftliche Druck auf die Regierung, das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza nicht tatenlos hinzunehmen. Doch ihre Haltung zur Hamas unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der israelischen Regierung. Anfang des Jahres erklärte Ägypten die Hamas zur »Terrororganisation«. Ihre Schwächung ist in diesen Tagen das Ziel beider Staaten.
Bereits während Mursis Amtszeit ließ der damalige Generalstabschef Abd al-Fattah al-Sisi etliche Tunnel unterhalb der Grenzstadt Rafah zerstören. Durch diese teils sehr solide ausgebauten Tunnel vollzog sich ein Großteil der Einfuhren in die abgeriegelte Enklave am Mittelmeer: unter anderem Benzin, Baumaterial und Waffen – Schätzungen gehen davon aus, dass zeitweise bis zu 80 Prozent der Importe in den Gaza-Streifen über die Tunnel unterhalb der Grenze mit Ägypten liefen. Seit dem Amtsantritt al-Sisis als Präsident wurden im Rahmen einer ausgedehnten Militäraktion gegen Islamisten auf der Sinai-Halbinsel fast alle Tunnel entlang der ägyptischen Grenze zu Gaza zerstört. Die ägyptische Regierung verdächtigte Islamisten aus dem Gaza-Streifen, sich mit Jihadisten auf dem Sinai zu verbünden und die Wüste als Rückzugsraum zu nutzen.

Durch den Machtwechsel in Ägypten fand sich die Hamas in einer bis dahin ungekannten Isolation wieder. Beflügelt durch die engen Kontakte zur nunmehr gestürzten Regierung der Muslimbrüder riskierten die Islamisten in Gaza zuvor den Bruch mit ihren traditionellen Alliierten: dem Iran und der syrischen Regierung Bashar al-Assads. Durch ihre konfessionelle Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten der Allianz sunnitischer Staaten, die Aufständische gegen Assad unterstützen, verprellte die Hamas ihre langjährigen Gönner. Als Folge der verschlechterten Beziehungen zwischen Assads Regierung und der Führung der Hamas zog der Chef des Politbüros der Hamas, Khaled Meshal, von Damaskus nach Katar um.
Das katarische Emirat war die einzige Monarchie am Golf, die sowohl die ägyptischen Muslimbrüder als auch die Hamas im Gaza-Streifen finanziell unterstützte. Ohne die Finanzhilfe aus Doha hätte Mursis Regierung im Jahr ihrer Amtszeit die laufenden Kosten nicht mehr bezahlen können. Die Machthaber des Kleinstaates Katar sahen, im Gegensatz zu den anderen Monarchen am Golf, im Aufstieg der Muslimbrüder keine Bedrohung, sondern eine strategische Chance, den eigenen außenpolitischen Einfluss zu vergrößern. Auch die Herrscher in Gaza profitierten enorm von diesem Kalkül. Nach dem Schlagabtausch zwischen Israel und der Hamas im November 2012 finanzierte Katar großzügig Wiederaufbauprojekte im Gaza-Streifen. Wenige Wochen zuvor verschaffte der katarische Emir Hamad bin Khalifa al-Thani der Hamas einen unerwarteten Publicity-Erfolg: Er war das erste ausländische Staatsoberhaupt, das Gaza besuchte.

Derzeit steht Katar mit dieser Position nahezu allein da. Denn auch die Arabische Liga, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate begleiten den israelischen Militäreinsatz eher mit stillschweigendem Einverständnis. Außer Katar stellt sich in diesen Tagen nur der im eigenen Land immer stärker unter Druck geratene türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan öffentlich auf die Seite der Hamas. In einer Rede vor Abgeordneten seiner Partei AKP beschuldigte er Israel »systematischer Verbrechen und Staatsterrors seit 1948« gegen das »palästinen­sische Volk«, Israels Vorgehen übertreffe sogar Hitler in Sachen Barbarei. Einzig die Türkei sei in der Lage, sich Israel entgegenzustellen. In der Nacht auf Donnerstag voriger Woche attackierten Demonstranten das israelische Konsulat in Istanbul und die Botschaft in Ankara. Nach Angaben dortiger israelischer Diplomaten versuchten die anwesenden Sicherheitskräfte kaum, den Angriff zu verhindern. Israel reduzierte daraufhin das diplomatische Personal in seinen Vertretungen in der Türkei.
So erschwert in diesen Tagen das Fehlen eines Vermittlers, der sowohl für Israel wie auch für die Hamas akzeptabel ist, die Aushandlung eines Waffenstillstands. Zwar laufen derzeit, ebenso wie im November 2012, die meisten Kontakte in der ägyptischen Hauptstadt zusammen. Doch bisher lehnt die Hamas den ägyptischen Vorschlag ab, weil dieser zu wenige ihrer Forderungen berücksichtige. Haaretz zufolge bevorzugt Khaled Meshal Waffenstillstandsverhandlungen unter der Führung von Katar und der Türkei. Israel hingegen bevorzuge die Vermittlung Ägyptens. Bis zum erfolgreichen Abschluss von Waffenstillstandsverhandlungen wird Israel versuchen, so viel militärische Infrastruktur der Hamas wie möglich zu zerstören, um die Organisation über Jahre zu schwächen. Der Mangel an Vermittlern im derzeitigen Konflikt zwischen Israel und der Hamas sagt jedoch auch noch etwas anderes über die Tendenzen in der Region aus: Da in Syrien und im Irak große Flächenstaaten zu zerfal­len drohen, ist der israelisch-palästinensische Kon­flikt für die meisten Machthaber der Region zu einem marginalen Szenario geworden.