Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg in Frankreich

Mein Gaza, dein Gaza

An den Protesten gegen den israelischen Militäreinsatz im Gaza-Streifen beteiligen sich Organisationen mit unterschiedlichen Motiven, darunter auch islamistische Gruppen, deren Anhänger jüdische Einrichtungen angreifen.

Die junge Frau ist ihrem Akzent nach wahrscheinlich libanesischer Herkunft. Ihren Angaben zufolge ist sie zum Islam konvertiert. Sie gibt der Journalistin zu Protokoll: »Ich bleibe nur eine Zeitlang bei der Demonstration für Gaza, denn danach gehe ich noch zu der Kundgebung für die Christen im Irak«, die von den Anhängern des »Kalifat« der Isis, die sich nun »Islamischer Staat« nennt, verfolgt und bedroht werden. Ihre Aus­sage ist eher symbolisch zu verstehen, denn die Kundgebung vor der Kathedrale Notre Dame für die irakischen Christen findet erst am folgenden Morgen statt. Aber sie will offensichtlich deutlich machen, dass sie nicht nur für Muslime eintritt.
Ein Mann antwortet ihr spontan, was sie denn wolle, die Christen im Irak würden nicht verfolgt. Das sei alles nicht wahr, die Anwendung der Sharia sei eine gute Sache. Die Journalistin spitzt die Ohren, ein Kollege eilt herbei. Doch schnell werden sie von 15 bis 20 Personen umringt, die dem Mann widersprechen: »Wir sind nicht hier, um uns so etwas anzuhören, damit sind wir nicht einverstanden, darum geht es nicht.« Ein junger Mann vermutlich nordafrikanischer Herkunft redet auf ihn ein: »Hier geht es nicht um das Recht von Muslimen als solchen, von Christen, Juden oder einer anderen Religionsgruppe. Uns geht es um allgemeine Rechte von Menschen, um die Opfer von Krieg oder Besatzung als Menschen unabhängig von ihrer Konfession.«
Gut 5 000 Menschen sind an diesem Samstag in Paris zusammengekommen, um gegen die israelischen Angriffe im Gaza-Streifen zu demons­trieren. Trotz des Verbots der Kundgebung, wie mehrere andere Demonstrationen zu diesem Thema an den Tagen zuvor. Da die Protestaktion sich in eine Kundgebung auf der Place de la République verwandelt, scheinen die zahlreich zusammengezogenen Polizeikräfte sie zu tolerieren, solange die Teilnehmer nicht zu einem Demons­trationszug aufbrechen.
Am Spätnachmittag sucht eine Gruppe nach dreistündiger friedlicher Kundgebung jedoch Streit mit der Polizei. Sie versucht den Durchbruch und ist offensichtlich mit Steinen und anderen Wurfgeschossen auf die Konfrontation vorbereitet. Nach kurzen, aber heftigen Scharmützeln und dem Einsatz von Tränengas werden 60 Personen festgenommen.

Vorherrschend sind Vertreter der französischen Linken sowie von Migrantenvereinigungen. Fast alle Strömungen der Linken nehmen an den Protesten gegen den Einsatz Israels im Gaza-Streifen teil. Zu den Veranstaltern zählen auch säkulare Migrantenvereinigungen, meistens mit nordafrikanischem Hintergrund, wie beispielsweise die FTCR (Föderation von Tunesiern für Bürgerrechte auf beiden Seiten des Mittelmeers). Diese sowie die Vereinigung maghrebinischer Arbeiter in Frankreich (ATMF) und andere Initiativen, die hinter den Gaza-Protesten stehen, lancierten an diesem Montag einen »Aufruf an die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Christen im Irak«.
Nicht als Aufrufer in Erscheinung treten islamistische Gruppen, deren Anhänger aber regelmäßig ebenfalls erscheinen. Handelt es sich aus Sicht der Linken und der säkularen Nationalisten um einen politischen und territorialen Konflikt, geht es in den Augen den Islamisten – von Muslimbrüdern bis Salafisten – um einen Kampf der Konfessionen, einen Religionskrieg mit anderen Mitteln, den sie auch gegen französische Jüdinnen und Juden führen wollen.
Jenseits der Demonstrationen, aber mitunter in zeitlichem Zusammenhang mit ihnen, suchen Salafisten mit einem Anhang eher von natio­nalistischen und pseudoreligiösen Parolen des Gangsterrap geprägter junger Männer die Konfrontation. So zog eine größere Gruppe am Mittwoch vergangener Woche vor ein jüdisches Restaurant im Marais, dem ältesten jüdisch geprägten Viertel in der Pariser Innenstadt, und drohte Gäste zu attackieren. Die Angreifer wurden festgenommen und in einem Eilverfahren angeklagt. Wegen mangelnder Beweise für Straftaten der einzelnen Beteiligten endete das Verfahren jedoch am Samstag mit Freisprüchen.

Auch zwei Synagogen, in der Pariser rue de la Roquette am 13. Juli und in Sarcelles eine Woche später, sollten angegriffen werden. Vor diesen hatten sich mehrere Tage vor den geplanten Gaza-Demonstrationen die Mitglieder der rechts­extremen Jüdischen Verteidigungsliga (LDJ) verabredet und dies im Internet und bei Facebook kundgetan. Die LDJ, der im Raum Paris ungefähr 250 Mitglieder angehören sollen, marschierte mit Baseballschlägern, Eisenstangen, Stühlen und Tischbeinen bewaffnet auf. Die Polizei trennte die Kämpfenden. In den folgenden Tagen wurden auch Forderungen nach einem Verbot der LDJ laut, deren Mitglieder unter anderem 2002 in Paris einen Polizisten schwer verletzt hatten. Die LDJ ist ein französischer Ableger der internationalen Kach-Bewegung, die in den USA sowie in Israel einem Organisationsverbot wegen terroristischer Handlungen unterliegt. Dennoch machen es sich viele Vertreter propalästinensischer Gruppen zu leicht, wenn sie die Angriffe auf »eine Provokation der LDJ« zurückführen. Schließlich hatten auf Demonstrationen einzelne Gruppen auch antijüdische Parolen gerufen.
Die französischen Behörden reagierten zunächst mit einem Verbot mehrerer geplanter Demonstrationen. Eine Demonstration am Mittwoch voriger Woche, zu der unter anderem die KP und der Gewerkschaftsverband CGT aufgerufen hatten, ließen sie jedoch wieder zu. Man vertraue dem Ordnerdienst der CGT, hieß es zur Begründung, tatsächlich verlief der Protestzug ohne Zwischenfälle.
Linke arabischsprachige Gruppen stellen ihren Protest gegen den Gaza-Krieg in den Zusammenhang des Kampfes gegen arabische Diktaturen und die Unterdrückung religiöser Minderheiten. Dennoch sind die Islamisten weiterhin mit martialischem Auftreten und judenfeindlichen Parolen präsent. Sie bieten vermeintliche Klarheit für muslimische Einwanderer, von denen viele einem entpolitisierten, harmonischen Bild ihres Herkunftslandes und des Nahen Ostens anhängen und nun vor allem wegen des syrischen Bürgerkriegs verunsichert sind.

Die französische extreme Rechte verschanzt sich mehrheitlich hinter einer vermeintlichen Israelfreundlichkeit, um Araberhass zu propagieren. So wurde am vorigen Wochenende in Bourg-lès-Valence »Dreckige Araber, ihr werdet alle sterben – Israel wird siegen!« auf eine Wohnungstür geschmiert. In der Wohnung lebt eine der sehr wenigen Einwandererfamilien in dem Stadtteil. Als die Mutter dreier Kleinkinder die Tür öffnete, wurde sie mit einem Messer verletzt. Der Täter trug die Uniform eines Sicherheitsdiensts.
Eine Minderheit der extremen Rechten sammelt sich unterdessen um die Antisemiten Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala und nimmt eine andere Position ein. Sie bemüht sich auch um Einfluss unter Franzosen mit Migrationshintergrund und versucht, sich als »propalästinensisch« zu profilieren. Es wird allgemein vermutet, dass diese Fraktion auch Einfluss auf die kürzlich von Fußballfans und -hooligans gebildete Gruppe »Gaza Firm« ausübt, auch wenn diese bislang eine Nähe zu Alain Soral dementiert und sich als »unpolitischen Freundeskreis« bezeichnet. Etwa 30 Anhänger von »Gaza Firm« beteiligten sich an der Demonstration am Samstag. Linke und antifaschistische Gruppen diskutieren mittlerweile über die Notwendigkeit, diese Gruppe aus den Demonstrationen zu entfernen.