Die Kulturgeschichte des Badens

Baden gehen

Thermen, Strände, Pools und Freibäder. Immer schon haben Menschen sich im und am Wasser ihrer selbst versichert. Ein Wellenritt durch die Kulturgeschichte des Reinigens, Schwimmens und Planschens.

Wasser und Mythologie
Jede dialektische Theorie des Badens, Schwimmens, Planschens sowie Tauchens und Taufens beginnt kalt und klar mit Heraklits Grundsatz: »Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.« Der Fluss ist der »Fluss der Dinge«, »alles fließt«, panta rhei, alles ist in Bewegung, selbst wenn wir im Wasser nichts tun, uns bloß treiben lassen, verändert sich die Welt mit uns. Das Sprichwort bedient sich nicht umsonst der Elementarmetapher des Wassers: Das Feuer ist zu heiß, die Erde zu träge und die Luft zu dünn, um eine solche sinngewaltige Metaphysik des Werdens zu illustrieren. Und freilich kommt es nicht von ungefähr, dass – praktisch schon als psychophysische Konstante im menschlichen Welt- und Selbstverhältnis – das Wasser seit den Anfängen, in Geschichte wie Mythos, als Urstoff erscheint, aus dem alles Leben hervorgeht: Die mosaische Schöpfungslehre lässt den Geist Gottes auf dem Wasser schweben und schon die frühe indische Philosophie geht vom Wasser aus, das in der griechischen Philosophie schließlich Thales von Milet kosmologisch ausufern lässt – zur »ozeanischen Fahrstraße« (Wilhelm Windelband): »Aus Wasser und zu Wasser wird alles.«
Das Wasser als Urstoff zu nehmen, liegt nahe: Aus ihm geht das Leben hervor; hinzu kommen die dem Wasser metaphorisch zugesprochene Beweglichkeit, Wandelbarkeit, Unendlichkeit und scheinbare innere Lebendigkeit. Gerade das fließende Gewässer ist rein, so dass hier die verschiedensten Religionen einen Grund für allerlei Rituale gefunden haben, wozu nicht nur die christliche Taufe gehört, sondern sämtliche Badezeremonien, vom Bad im Ganges bis zur Mikwe. Gereinigt wird hier zwar auch der Körper, vor allem aber, und dem eigentlichen Sinn nach, die Seele. Ein solches Wasserbad reicht weit in die moderne Dynamik des Unbewussten. Selbstverständlich deutet Sigmund Freud in »Die Traumdeutung« das Wasser, das Meer, den Ozean als Symbol für Geburt, ebenso aber auch für Wiedergeburt – und das ist wiederum das entscheidende Motiv der christlichen Taufe.

Reinigung und Bürgertum
Alle alten Kulturen kennen und zelebrieren die reinigende Wirkung des Badens; die entsprechende Architektur lässt sich bereits in den Siedlungen und Städten zwischen Euphrat und Tigris nachweisen. Überdies wird dem religiösen Bad auch eine heilende Kraft zugeschrieben. Tatsächlich ist bis heute sauberes Badewasser die Grundlage der Hygiene. Es gehört zu den frühen Bauwundern, mit welcher raffinierten Architektur Thermen versehen wurden, um die Räume mit heißem Wasser zu versorgen. Die Griechen kannten schon Fußbodenheizungen, die Römer machten es mit ausgeklügelten Luftzugssystemen möglich, Baderaum und Heizstelle zu trennen. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass in der antiken Welt Sklaven in dunklen Kellergewölben unter unmenschlichsten Anstrengungen und mitunter den giftigen Rauchgasen ausgesetzt die Öfen zu befeuern hatten.
Trotz oder wegen des religiösen Firlefanzes: Von Anfang an gehören das Bad und das Baden zur Herrschaftskultur, und von Anfang an ist dieser Luxus nur durch das Leid der Beherrschten ermöglicht. Durch die entwickelte römische Gesellschaft verbreiten sich die Thermalbäder in Europa und Nordafrika. Die römischen Bäder wurden nicht nur durch die ausgeklügelten Techniken der Be- und Entwässerung der mitunter mächtigen Anlagen berühmt. Die 62 von Nero eröffneten Thermen waren 190 Meter lang und 120 Meter breit; doppelt so groß waren dann die Thermen des Trajan, erbaut zwischen 105 und 109, und die Thermen des Diokletian, erbaut um 300, die Platz für bis zu 3 000 Menschen geboten haben sollen. Berühmt wurden die Bäder auch, weil sie in den Formen der Badekultur bereits die moderne bürgerliche Kultur antizipierten. Neben den öffentlichen Stadtbädern verfügten wohlhabende Römer über Privatbäder, die balnea meritoria, die Vorform des heutigen Badezimmers.

Sitte und Gesundheit
Nach dem Niedergang des römischen Imperiums lässt die christliche Kirche die öffentlichen Bäder schließen: Das rituelle Wasservergnügen gilt als unsittlich. Eine Bäderkultur kommt erst im 12. Jahrhundert mit der Entwicklung des vorbürgerlichen Stadtlebens zurück. Wo es keinen Zugang zu Bädern gab, wichen die Menschen auf Seen, Flüsse und andere freie Gewässer aus. Hier nackt zu baden, war noch bis weit in die Renaissance in vielen Gegenden Europas üblich. Beide Geschlechter trafen sich, um zu singen, zu plaudern, zu essen oder sich anderen körperlichen Sinnesfreuden hinzugeben. Mit der Neuzeit ist es dann bis weit in die Aufklärung hinein die kirch­liche Zwangsmoral, die im 16. Jahrhundert erst das Nacktbaden, dann das (öffentliche) Baden überhaupt verbietet. Das hatte durchaus auch sozialhygienische Gründe. Die Badefreuden wurden fortan von der Angst getrübt, sich mit Pest, Cholera oder anderen üblen Krankheiten anzustecken. Es ist die Zeit der wasserscheuen Herrschaft, wo der Adel auf die reinigende Kraft des Wassers verzichtete und schlechte Gerüche wegparfümierte und überpuderte.
Aber nicht immer konnte das Badeverbot durchgesetzt werden. Gerade wo sauberes Trinkwasser knapp war, war jede Gelegenheit willkommen, aus dem tristen und dreckigen Alltag in Quellbrunnen, klare Seen oder rauschende Bäche abzutauchen. Aufgeladen mit allerlei Figuren, vermischt mit sexuellem Begehren und Rausch, haben die Bademotive deshalb etwa Eingang in die Märchenwelt gefunden, beflügeln bis heute die Bilderwelt von Literatur, Kino und Musik. Das Wasser, das das Leben und das Glück bringt, bringt auch den Tod und die Traurigkeit.
Die moderne Version dieser tragischen Dialektik ist Thomas Manns Erzählung »Der Tod in Venedig« (1911): Der gefeierte Künstler Gustav von Aschenbach macht eine Erholungsreise nach Venedig; dort verliebt er sich in einen Jungen namens Tadzio. In der Lagunenstadt wütet die Cholera. Das Schlussbild ist sinnfällig: Am Strand balgt Tadzio sich mit einem Freund, während Gustav von Aschenbach von Cholera und pädophilen Neigungen dahingerafft wird und vor dem Hintergrund des im Abendrot schimmernden Mittelmeeres stirbt.

Körper und Erziehung
Die postmoderne Version ist die US-amerikanische Fernsehserie »Baywatch« (1989 bis 2001). In der bürgerlichen Strandbadwelt der Dekadenz fehlt noch, worauf sich »Baywatch« wie selbstverständlich voll und ganz kapriziert: Schwimmen beziehungsweise Rettungsschwimmen – Wasservergnügen in der Fassung der Leistungsgesellschaft, Freizeitspaß mit Gefahren, vor denen einen hypererotische Nurkörperwesen bewahren.
Symbolisch beschützt der Rettungsschwimmer (und in »Baywatch« vor allem die Rettungsschwimmerin) nicht nur die Schwächsten und oft auch die Dümmsten, die sich im Wasser tummeln, sondern auch eine Lebensweise, die Ausdruck der Individualität schlechthin ist. Trotz mehrfacher Warnungen ist jemand in die viel zu hohen Wellen gesprungen! Als Bademeister ist der Rettungsschwimmer immer auch Pädagoge und holt mit der Trillerpfeife nach, was der Turnpädagoge Johann Christoph Friedrich GutsMuths bereits 1798 in seinem »Kleinen Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterricht« forderte: dass Schwimmen ein »Hauptstück der Erziehung« werde.
Hier wiederholt sich im 20. Jahrhundert die ganze Weltgeschichte der Badekultur komprimiert unter Bedingungen der Klassengesellschaft, von den Seebädern, wo bereits um 1900 an der deutschen Nord- und Ostsee der antisemitische Mob aus Angestellten und Beamten tobte (Auszug aus dem »Borkumlied«: »Wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muss ­hinaus, der muss hinaus!«), bis zum organisierten Pauschaltourismus, bei dem Urlauber sich in allen möglichen Elends- und Krisengebieten an den Hotelstränden und Hotelpools zur Erholung ­aalen, all inclusive.

Klasse und Freizeit
Bemerkenswert ist, dass das Schwimmen und Baden, also die sportliche Leistung und die reinigend-heilende Erquickung, konvergieren und zum »Schwimmbad« verschmolzen wurden. Das Baderitual ist hier nun säkularisiert: Wo mit dem Kapitalismus sauberes Wasser knapp wird, werden Schwimmbäder zu Oasen der Hygiene. Tatsächlich waren Schwimmbäder noch in den siebziger Jahren für viele, zumal auch Kinder aus Arbeiterfamilien, eine Gelegenheit, mal unter die Dusche zu kommen und sich zu waschen. Der Rest war ein großes Becken mit üppig gechlortem Wasser, durch das ehrgeizige Sportlertypen und rüstige Rentner ihre Bahnen zogen. Das änderte sich in den postmodernen Achtzigern, als die Schwimmbäder zu Freizeitbädern umgebaut oder zumindest umbenannt wurden. Gerade die großen Badeanstalten, die dann schließlich Erlebnisbäder genannt wurden und mindestens eine Riesenwasserrutsche hatten, stehen heutzutage in Konkurrenz mit den Wassersport und -spaßangeboten der Reiseunternehmen.
Aus dem Rennen sind die Freibäder (und vorher schon die in der DDR verbreiteten Sonnenbäder). Hier wird gespart, viele haben dichtgemacht oder wurden privatisiert oder von Vereinsinitiativen mit schmalem Budget offengehalten. Eigentlich sind Freibäder ökonomisch nur noch in Vierteln effizient, in denen sich die Mehrheit der Bewohner größere Urlaubsreisen oder selbst das Erlebnisbad nicht leisten können. Hier, wie in Berlin-Neukölln etwa, bleibt das Freibad genuiner Ort des Proletariats, ein Abseits für unbeholfene, bisweilen auch ziemlich dämliche Provokation, wo junge Leute hoffen, mit ihrer Zehnerkarte zehnmal dem schnöden Alltag zu entfliehen. Meistens geht es darum, dass mitunter aneinandergeratende Jungengruppen gleichermaßen spielerisch und aggressiv um die Rang- und Hackordnung streiten; dafür bieten sich freibadspezifische Mutproben an – vom Herumscharwenzeln um die Mädchen über kleinere Diebstähle vom Nachbarliegeplatz bis zu Schubsereien auf dem Sprungturm. Zuweilen artet das auch in Massenschlägereien aus, die größere Polizeieinsätze zur Folge haben.
Die Popkultur ist voll mit solchen Beispielen, wo renitente Jugendliche sich in Freibädern oder, wenn vorhanden, Seeufern und Stränden ausprobieren. Und bereits im Nationalsozialismus traf sich die Swingjugend in den Freibädern, um sich mit dem mit einem Handtuch gedämpften Koffergrammophon die neusten Schellacks anzuhören; Hamburger Swingheinis, die sich dann im noch immer existierenden Kaifu-Bad trafen, nannten das »leise die Hotmühle abdaddeln«.

Räume und Gegenräume
Freibäder oder überhaupt Badeanstalten scheinen zu den Räumen zu gehören, die Michel Foucault »Heterotopien« genannt hat, Gegenräume, in denen zum Beispiel machtvolle Dispositionen von Einschluss und Ausschluss gleichzeitig anzutreffen sind; Räume jedenfalls, die nicht zum alltäglichen Normalvollzug gehören, aber trotzdem nichts anderes bieten als eben die Verlängerung des Alltags.
Das Freibad konterkariert als Massenveranstaltung die Swimmingpools, die exklusive Bade­orte und der Idee nach der Herrschaft vorbehalten bleiben. Auch hier wäre auf eine Vielzahl von Filmen als Beispiel zu verweisen, von »High Society« (1956) bis »Swimming Pool« (2003), abgesehen von den unzähligen Szenen in Kriminal- und Actionfilmen, wo coole Typen im Smoking krumme Geschäfte machen und die vielen Bi­kinimädchen die Kulisse bilden. Darüber hinaus bleibt der Strand als Schwelle, die die Badekultur mit der Natur, dem See oder Ozean, verbindet. Wie hier ein Streifen Sand von der Kultur zur Natur führt, ja was und wer überhaupt »Strand« definiert, hat John Fiske im Sinne der Cultural Studies zu zeigen versucht, wobei er aber nicht hinauskommt über Erkenntnisse wie: »Leute benutzen die Strände, um bestimmte Bedeutungen herauszusuchen, Bedeutungen, die ihnen dabei helfen, mit ihrem strandfernen, normalen Lebensstil zurechtzukommen.«

Treiben lassen
Guy de Maupassant erzählt 1876 von einer Wasserleiche: »Die Leiche einer alten Frau mit einem dicken Stein am Hals« hatte sich im Anker eines Bootes verfangen. Die schaurige Kurzgeschichte heißt »Sur l’eau«. Theodor W. Adorno nimmt das als Titel für eine Reflexion seiner »Minima Moralia« und wendet das Schlimmste in eine negative Dialektik des Badens – als konkrete Utopie: » … auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen – sein, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung.«