Die Geschäfte des Fußballvereins RB Leipzig

Mit Füßen getreten

Dem neuen Fußball-Zweitligisten RB Leipzig wird Geschäftemacherei vorgeworfen.

Am 2. August spielt der Verein RB Leipzig erstmals in der Zweiten Fußballbundesliga der Männer. 21 000 begeisterte Fans finden sich im WM-Stadion in Leipzig ein und feuern ihr Team, trotz des fehlenden Siegtors, unentwegt an. Sie singen, trommeln und nach Abpfiff beklatschen sie ihre Helden. Alles läuft genauso ab, wie es sich auch anderswo im deutschen Profifußball ereignen würde.
Doch nicht beim RB Leipzig. Mag RB offiziell für »Rasen-Ballsport« stehen, wird mit dem Vereinsnamen de facto Werbung für den Energy­drink Red Bull gemacht. Viele Fußballfans kritisieren den Verein deshalb, zum Beginn der Saison wurde eine Kampagne ins Leben gerufen: »Nein zu Red Bull! Für euch nur Marketing – für uns Lebenssinn!«
Auf der Website www.nein-zu-rb.de heißt es: »Dank der zahlreichen Millionen von Brausemilliardär Dietrich Mateschitz und der Standortwahl Leipzig handelt es sich um kalkulierten Erfolg.« Und weiter: »Werte wie Bodenständigkeit, Aufrichtigkeit, Vereinsloyalität und Tradition, welche wir als Fans tief in unserem Herzen tragen, tritt dieser Verein mit Füßen!« Unterstützt wird das Bündnis von mehreren Dutzend Fan- und Ultraorganisationen, darunter auch mehrere rechte Gruppen sowie die bundesweite Faninitiative »Pro Fans«.
Auf der RB-Fansite www.rb-fans.de wird genüsslich die Doppelmoral der an der Kampagne beteiligten Fangruppen entblößt. So muss sich die »Crew Eleven« des VfR Aalen, die die Partie bei RB Leipzig am ersten Spieltag boykottierte, die Frage stellen lassen, »ob solch ein Boykott angemessen ist, wenn es den eigenen Verein nur noch im Profifußball gibt, weil der eigene Präsident, der zudem Vorsitzender jenes Unternehmens ist, das die Namensrechte am Stadion hält, mit einer Sechs-Millionen-Euro-Bürgschaft ausgeholfen hat«. Ähnlich sähe es bei den Anhängern des FC Ingolstadt aus, »eines Vereins, den es immerhin schon doppelt so lange gibt wie unseren, der de facto aber nichts anderes ist als ein Werksclub von Audi«. Denn: »Stadion, Trainingsgelände, Trikotbrust und Aufsichtsrat gehören allesamt dem Autohersteller.«
Dass Begriffe wie Bodenständigkeit, Aufrichtigkeit und Vereinsloyalität den Anti-RB-Aufruf bestimmen, sei zwar zu begrüßen, habe »mit dem Profifußball, wie er im Jahre 2014 fast nur noch kommerziellen Interessen folgt, aber recht wenig zu tun«. Vielleicht sei das den meisten Unterstützern der Kampagne auch bewusst. »Aber anstatt sich einzugestehen, dass man ein gewichtiger Teil jenes Systems ist, das man verabscheut und genau genommen mit Eintrittsgeldern, Merchandise, Sky-Abos und PR-wirksamen Choreographien überhaupt am ­Leben hält, sucht man sich lieber einen externen Sündenbock.«
Diese Auseinandersetzung zwischen Fans des RB Leipzig und jenen, die RB »nicht als Mitglied der Vereinsgemeinschaft der deutschen Proficlubs« akzeptieren wollen, erinnert auffallend an eine Debatte, die bereits im Februar und März dieses Jahres unter Fußballfans geführt wurde. Unter dem Titel »Der große Red-Bull-Bluff« (offenbar in Anlehnung an den »Great Rock ’n’ Roll Swindle« der Sex Pistols) widmete sich die Fußballzeitschrift 11 Freunde in ihrer 148. Ausgabe dem Leipziger »Retortenclub«. Dieser »Klon«, dieser »Kunstclub« führe »die Liga an der Nase« herum und verpasse der »Fußballkultur« mit seinem Aufstieg in die Zweite Liga eine »Ohrfeige«.
»Ob es dieses richtige Fanleben im falschen gibt, wird sich jeder Anhänger schon einmal gefragt haben, dessen Herz an einem Verein hängt, der telefonbuchdicke Fankataloge veröffentlicht oder seine Trikotbrust an einen skrupellosen Hähnchenschlachter verhökert«, formuliert Philipp Köster, der Chefredakteur von 11 Freunde, in Anlehnung an eine Formulierung von Theodor W. Adorno. Doch dass »diese Frage nun am Beispiel von RB Leipzig diskutiert« werde, so Köster, habe mit dem nachweisbaren Erfolg des Projekts RB zu tun.
Aha. Dieser Logik zufolge gibt es das »richtige Fanleben im falschen« also offenbar schon, aber eben nur im Misserfolg. Nicht nur wegen solch wunderlicher Volten wurde Kösters erkennbar populistischer Text kritisiert. Zum Beispiel von Vert et Blanc Hambourg, einem Blog adornitisch inspirierter Fans von Werder Bremen in Hamburg. Bei Köster fielen »die relevanten Fragen (etwa nach gegenwärtiger und künftiger Bedeutung des Vereinswesens) unter den Tisch«, stattdessen werde der (damals virulente) rechtliche Streit um die Lizenzerteilung für RB »emotional aufgeladen zur Existenz- und Wesensfrage stilisiert«. Weiter heißt es: »Die romantische Verklärung traditioneller Beschaulichkeit und Einfachheit, die Suche nach dem Ursprünglichen und Unverfremdeten, ist seit jeher die Kehrseite des Fortschritts kapitalistischer Gesellschaften gewesen. Und der Fußball, seines Zeichens Teil der Gesellschaft, bietet einen konkret-soziologischen Phänomenbereich hierfür.«
Folge man der Argumentation Kösters, gebe sich RB Leipzig in »heimlich-tückischer Mimesis den Anschein eines ›echten Vereins‹, dabei seien de facto ›Kulissenschieber am Werk‹. (…) Plastik, Schädlichkeit und Hinterhalt – von hier ist es nicht mehr weit zum vulgären Heuschrecken- und Parasitensprech; dies ist der Fußballjargon der Eigentlichkeit.« RB Leipzig bedrohe die Phantasie der heilen Fußballscholle. »Wenig überraschend und inhaltlich unbestimmt« setze Köster dem echte Fankultur als Kitt entgegen: »Etwas Grundlegendes«, so Köster, halte diese zusammen, nämlich Passion, Authentizität und Emotion. »Die Frage nach dem Wesen der ›echten‹ Fankultur« wird zum Kampfbegriff, wenn über einen ›kulturellen Konsens‹ sinniert werde, ›für den es sich zu kämpfen lohnt‹«, halten Vert et Blanc Hambourg Köster entgegen. Dessen konkrete Vorschläge blieben »Platzhalter, Leerstellen, Variabeln«, stabilisiert werde ein »normatives Schema von Gut und Böse, vom Richtigen und Falschen«. Und genau darin bestehe die Gefahr der verkürzten Kritik – »in ihrer Anfälligkeit für Ideologie«.
Doch damit nicht genug: Köster schrieb, man könne »sehr wohl unterscheiden zwischen Clubs, in denen die Identität durch allzu viel Geschäftemacherei beschädigt wird und Clubs, deren Identität die Geschäftemacherei ist«. Vert et Blanc Hambourg kritisierten: »Die abstrakte Zirkulation des Kapitals (›Geschäftemacherei‹) wird auf den konkreten Club projiziert, ja zu seinem Wesenskern stilisiert – fortan kann RB Leipzig als Chiffre für das Andere, Diffuse, Uneigentliche und Unechte dienen.« In diesem Zusammenhang, ohne sich konkret auf Köster zu beziehen, war außerdem von »strukturellem Antisemitismus« die Rede.
Da war der Herr Chefredakteur not amused. Auf www.11freunde.de veröffentlichte er zwei Tage später eine scharfe Replik. Vor allem das mit dem Antisemitismus empörte ihn sehr: »Zack, so schnell ist man Wegbereiter des Antisemitismus.« Lag es daran, dass er sich ertappt fühlte? Zumindest viele Kommentare auf Facebook und www.11freunde.de legen diese Vermutung nahe: »Antisemitismus? Ich bück’ mich weg (…) Naja, in Zeiten, wo man in der Kurve Antifa-Flaggen schwenkt, wundert mich gar nichts mehr«, hieß es da. Oder: »Da scheinen die antideutschen Deppen auch im Fußball angekommen zu sein.« Aufschlussreich waren auch die Kommentatoren, die vom Begriff Antisemitismus ohne Umwege zum Staat Israel kamen: »Israel ist ein faschistisch-expansionistisch-imperialistischer Staat, der einen blutigen, aggressiven Expansionskrieg führt.« Und: »Das sind halt diese kranken Extrem-Linken, die den seit Jahrzehnten andauernden Völkermord im Nahen Osten ignorieren. Laut solchen Leuten muss man sich noch bedanken, wenn man von Ausländer-Assos das Maul voll bekommt, weil man ein ›scheiß Deutscher‹ ist.«
Während Köster also Zuspruch in einer Form erhielt, die ihm eher unangenehm sein dürfte, wurde die Kritik von Vert et Blanc Hambourg von den Lesern des Portals Fokus Fussball zum Blogbeitrag des Monats Februar gewählt.
Unterdessen scheint der Unterschied zwischen Traditionsclub und Retortenverein weiterhin vor allem im Erfolg verortet zu werden: Als der Initiator eines Fanmarschs von Anhängern des TSV 1860 München gegen den ersten Heimspielgegner RB Leipzig von der örtlichen Boulevardzeitung TZ darauf angesprochen wurde, dass doch das Motto »Alle gegen Kommerz!« schon deshalb etwas seltsam sei, weil der Zweitligist aus der bayerischen Landeshauptstadt ebenfalls in der Hand eines Investors (des Jordaniers Hasan Ismaik) sei, war die Antwort: »Hasan Ismaik hilft uns, über die Runden zu kommen, RB züchtet den Verein so heran, wie sie es wollen.«