Fußballfans wehren sich gegen Geheimdienste wie einst die radikale Linke

Kick it like Anna und Arthur

Geheimdienste interessieren sich offenbar immer mehr für Fußballfans. Die reagieren mit Rechtshilfeorganisationen und Kampagnen, wie man sie aus der Geschichte der radikalen Linken kennt.

Bei Pyro läuft die Fahndung im Nu, doch niemand findet den NSU« – das schrieben vor knapp zweieinhalb Jahren Düsseldorfer Ultras bei einem Heimspiel ihrer Fortuna auf ein Transparent. Der Zusammenhang zwischen der jahrelangen vernachlässigten Fahndung nach den rassistischen Mördern von zehn Menschen und der nach den Anwendern pyrotechnischer Erzeugnisse in Fußballstadien mag damals etwas konstruiert gewirkt haben. Doch inzwischen zeigen sich Parallelen. Bereits vor zwei Jahren kam heraus: Die Polizei setzt zur Ausforschung der Fußballfanszene auch auf V-Leute. Gerüchte dieser Art hatte es schon länger gegeben, doch im August 2012 wurde erstmals ein konkreter Fall bekannt.
Nach Informationen der »Rot-Schwarzen Hilfe« wurde ein junger Nürnberger Fußballfan von einem Mann angesprochen, der offenbar im Besitz von pivaten Informationen über den Fan war. Er teilte ihm mit, dass man mit ihm zusammenarbeiten wolle. Später musste das bayerische Innenministerium zugeben, dass es hinter dem Versuch stand, ein führendes Mitglied der »Ultras Nürnberg 94« als V-Mann anzuwerben. Im Laufe der folgenden Monate bestätigte sich, dass es auch in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine derartige Praxis gab und möglicherweise auch weiterhin gibt. In Berlin wurde zumindest zugegeben, dass es im Rahmen der Weltmeisterschaft 2006 zum Einsatz von V-Leuten kam. Antifaschistische St.-Pauli-Fans sollen sich zudem im Visier des Hamburger Verfassungsschutzes befinden.
Philipp Markhardt, ein Sprecher der Organisation Pro Fans, sagte im Jahr 2012: »Wir sind überzeugt davon, dass es bundesweit etliche Versuche gab und gibt, über V-Männer an Informationen aus der Fanszene zu kommen.« Der Fanvertreter stellte angesichts der Unfähigkeit der Sicherheitsbehörden, den Nationalsozialistischen Untergrund zu stoppen, auch den generellen Sinn des Einsatzes von V-Leuten in Frage: »Der Erfolg von V-Leuten darf nach Pleiten, Pech und Pannen im Zusammenhang mit dem NSU bezweifelt werden.« Dass Fußballfans »präventiv bespitzelt werden«, bedeute eine »neue Qualität«.
Ralf Peisl ist Rechtsanwalt und engagiert sich in der »Rot-Schwarzen Hilfe«, die den Anwerbeversuch in Nürnberg öffentlich machte. Auch er kritisiert die Behörden. »Man schürt damit Misstrauen unter den einzelnen Mitgliedern. Solche Maßnahmen sind doch völlig überzogen. Fußballfans sind doch keine Schwerstverbrecher, die Menschen- oder Waffenhandel betreiben«, erklärte Peisl, der auch Mitglied im Aufsichtsrat des 1. FC Nürnberg ist. Tatsächlich erinnert manches an die siebziger und achtziger Jahre, als die »Rote Hilfe« radikale Linke unterstützte, die der Repression des Staats ausgesetzt waren. Als bei den Protesten gegen die Frankfurter Startbahn West zwei Polizisten durch Pistolenschüsse getötet wurden, versuchte die linke Szene dem folgenden Ermittlungsdruck mit der Kampagne »Anna und Arthur halten’s Maul« zu begegnen. Das Ziel: Anwerbeversuche von Geheimdienst- oder Staatsschutzmitarbeitern sollten ebenso abgelehnt werden wie jegliche Aussagen gegenüber Polizei und Justiz.
Die »Rot-Schwarze Hilfe« in Nürnberg ist zwar keine anarchokommunistische Fortsetzung der »Roten Hilfe«, sondern orientiert sich bei der Namensgebung lediglich an den Vereinsfarben des 1. FC Nürnberg. Doch ähnlich wie es die »Rote Hilfe« in vielen Städten gibt, existiert inzwischen auch in fast jedem Ort mit größerem Fußballverein eine Fanhilfsorganisation. Bei Schalke 04 ist es die »Königsblaue Hilfe«, beim 1. FC Köln der »Kölsche Klüngel«, bei 1860 München die »Blaue Hilfe«, bei Hansa Rostock die »Blau-Weiß-Rote Hilfe«, bei Dynamo Dresden die »Schwarz-Gelbe Hilfe«, bei Union Berlin die »Eiserne Hilfe« usw. Es geht diesen Organisationen nicht in erster Linie um das Verhindern von Polizeispitzeln. Vor allem wollen sie Fans juristisch beraten, wenn diese sich mit Strafverfahren konfrontiert sehen oder – vollkommen jenseits rechtsstaatlicher Prinzipien – etwa mit einem Stadionverbot belegt werden. Gerade hat ein Gericht entschieden, dass Fußballfans legal in ihrem Grundrecht auf Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden dürfen. Es reicht, wenn sie von den Behörden als gewaltbereit eingestuft worden sind, auch wenn sie bislang nicht wegen Straftaten verurteilt wurden.
Das Motto der Rot-Schwarzen Hilfe lautet: »Redet nicht mit der Polizei – redet mit uns!« Angesichts des rechtsstaatlich immer fragwürdigeren Handelns der Behörden gegenüber Fußballfans mag das eine durchaus nachvollziehbare Haltung sein. Für die oft angemahnten »Selbstreinigungskräfte der Kurve« ist es fatal.
So alarmierten einige wenige Zeilen in Stefan Austs und Dirk Laabs Buch über den NSU, »Heimatschutz«, in diesem Sommer Fußballfans, Blogger und Sportjournalisten. »V-Mann-Führer wird unter anderem ein junger Akademiker, Politologe, wie Lingen selbst: Martin Thein«, liest man dort. Martin Thein »wird dann seine akademische Karriere auf seiner Erfahrung als BfV-Agent aufbauen und eine Doktorarbeit ­schreiben«, die unter dem Titel »Wettlauf mit dem Zeitgeist – Der Neonazismus im Wandel« aus Auswertungen von Nazi-Aussteigerinterviews besteht. Dass der Autor »ein Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz« ist, wird er darin nicht erwähnen. Thein, Mitarbeiter am Würzburger Institut für Sportwissenschaft und Mitgründer der Fanplattform »fankultur.com«, hatte sich seit 2011 in bemerkenswert kurzer Zeit einen Ruf in der Fanszene erarbeitet. Im Werkstatt-Verlag, wo man vom Vorleben des Autors nichts ahnte, veröffentlichte er einige Bücher. Ende Mai erschien »Heimatschutz«. Etwa zur selben Zeit verschwand der notorische Facebook-User Thein plötzlich aus allen sozialen Netzwerken. Bis dahin war er im Netz sehr aktiv, per Facebook-Chat bat er beispielsweise oft, garniert mit vielen Smileys und Ausrufezeichen, um Likes für Texte, die von Fans auf der Plattform veröffentlicht wurden. So berichtete etwa ein Blogger gegenüber der Jungle World, Thein habe ihm zu schmeicheln versucht und sein Blog in höchsten Tönen gelobt. Dabei sei deutlich gewesen, dass der Mann keine Ahnung gehabt habe, worum es im Blog überhaupt ging. Mit Thein verschwanden auch seine beiden Mitautoren, die wie er auf Kontaktversuche nicht reagieren. Dem Spiegel zufolge arbeitet er bis heute für den Verfassungsschutz, angeblich, so ein Insider gegenüber dem Blatt, habe er allerdings während seiner Tätigkeit als Fanforscher keine Fans ausspioniert. Thein selbst hat eine Erklärung angekündigt – die lässt allerdings auf sich warten.