Deutsche Bauern klagen über das russische Importverbot für Lebensmittel

Wein statt Milch

Deutsche Landwirte und Fleischproduzenten klagen über das von Russland verhängte Importverbot für Lebensmittel. Dessen Folgen sind für die Agrarwirtschaft allerdings weniger dramatisch, als deren Klagen vermuten lassen.

Damit hatte Clemens Tönnies nicht gerechnet. Noch vor kurzem träumte der größte deutsche Fleischproduzent davon, mit seinem Unternehmen nach Osteuropa zu expandieren. »Ich habe Putin versprochen, mich in Russland zu engagieren«, erklärte er im Dezember vorigen Jahres stolz. Das sei der Regierung in Moskau wichtig. Bis 2017 wollte die Tönnies-Gruppe in Russland jährlich 1,5 Millionen Schweine mästen, schlachten und zerlegen. »Wer meint, nur exportieren zu wollen, ohne sich selbst im Land auch zu engagieren, liegt falsch«, zitierte ihn damals das Landwirtschaftliche Wochenblatt Westfalen-Lippe. Das Marktpotential in Russland sei gewaltig.

Doch dann eskalierte die Krise in der Ukraine. Und anstatt zu expandieren, kämpft Tönnies, der nebenbei auch noch als Aufsichtsratsvorsitzender des vom russischen Konzern Gazprom gesponserten Fußballclubs Schalke 04 tätig ist, mit Umsatzeinbußen. Als Reaktion auf die EU-Sanktionen und zum Schutz »nationaler Interessen« hatte die russische Regierung Anfang August Importbeschränkungen für Nahrungsmittel aus Europa verhängt. Betroffen sind Agrarprodukte, Rohstoffe und Lebensmittel – und damit auch Tönnies’ Schweine.
Wie Tönnies sind viele deutsche Landwirte und Agrarunternehmen von dem russischen Importverbot betroffen. »Bei unseren Hauptexportprodukten ist Russland schon ein wichtiger Markt, vor allem bei Fleisch und Milchprodukten«, berichtet etwa Udo Hemmerling, der stellvertretende Generalsekretär des deutschen Bauernverbandes. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) ist ebenfalls besorgt wegen des Einfuhrstopps. Dieser könne die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen. Insbesondere für hochwertig verarbeitete Lebensmittel wie Fleisch- und Wurstwaren, Milchprodukte, Obst- und Gemüseprodukte und Fertignahrung sei Russland ein wichtiger und kaufkräftiger Markt, heißt es auch hier in einer Presseerklärung.

Hinzu kommt, dass nun viele europäische Produzenten versuchen werden, ihre Waren in Deutschland abzusetzen. Schließlich lieferten EU-Länder wie Griechenland, Polen, die Niederlande oder Frankreich bislang viel Obst und Gemüse nach Russland, das nun auf den einheimischen Markt drängt, fürchtet der Rheinische Bauernverband. Für die Konsumenten in der EU könnten Obst und Gemüse daher billiger werden. Die russischen Verbraucher müssen sich hingegen wohl auf höhere Preise einstellen, denn dort wird das Angebot geringer.
Es ist also wenig verwunderlich, dass die Berufsverbände alarmiert sind. Allerdings ist fraglich, ob die Konsequenzen des Verbots tatsächlich so gravierend ausfallen, wie sie behaupten. Hemmerling räumt beispielsweise ein, dass es »schon seit Herbst praktisch einen Importstopp« für viele Produkte gebe. Zudem verhängte Russland in den Jahren zuvor immer wieder teure Lieferstopps wegen angeblicher Hygienemängel. Und bereits seit Februar darf kein Schweinefleisch aus der EU nach Russland geliefert werden. Angeblich wollten die russischen Behörden damit verhindern, dass die Afrikanische Schweinepest eingeschleppt wird. Tatsächlich handelte es sich schon damals um politisch motivierte Sanktionen. Andere Produkte wie Rindfleisch, Geflügel und Getreideprodukte werden ohnehin kaum nach Russland exportiert.
Wirklich überraschend kamen die Sanktionen daher nicht. Einzelne Unternehmer wie Tönnies können durchaus in Schwierigkeiten geraten, insgesamt aber halten sich die Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft in Grenzen. Russland gehört zwar nach Angaben des Bundesministeriums für Landwirtschaft neben den USA und der Schweiz zu den wichtigsten Importeuren außerhalb der Europäischen Union. Da aber die meisten deutschen Ausfuhren in EU-Länder gehen, fließen nur rund 2,5 Prozent aller landwirtschaftlichen Exporte aus Deutschland nach Russland. Insgesamt wurden voriges Jahr Agrargüter für rund 1,6 Milliarden Euro nach Russland verkauft, etwa 14 Prozent weniger als noch 2012.
Als »viel Lärm um nichts« kritisierte daher der Agrarökonom Heinz Wendt die Aufregung um den Importstopp. Die Auswirkungen von Unwettern oder Überschwemmungen auf die Agrarwirtschaft seien wesentlich größer und würden dennoch für die Verbraucher fast immer unauffällig geregelt, sagte er der Taz.
Doch selbst wenn kurzfristig die Folgen des Importstopps kaum spürbar sein werden, droht die russische Regierung mit langfristigen Konsequenzen. Sie will nun Handelspartner außerhalb Europas finden und viele der bisherigen Importe durch eigene Produkte ersetzen. Allein die Rindfleischimporte aus Brasilien sind im vergangenen Monat um fast 80 Prozent gestiegen. »Dies ist eine Revolution für den brasilianischen Export von Fleisch, Mais und Soja«, jubelte Seneri Paludo, Staatssekretär im brasilianischen Agrarministerium, vergangene Woche im Gespräch mit der brasilianischen Nachrichtenagentur Agencia Brasil. »Der Boykott Putins öffnet ein großes Fenster für Brasilien.« Zudem hat Russland auch Chile und Ecuador aufgefordert, ihre Exporte nach Russland zu erhöhen. In Argentinien hoffen Sojaproduzenten wegen der steigenden Nachfrage auf Preiserhöhungen.

Zugleich will die russische Regierung den Importstopp nutzen, um die eigene Agrarwirtschaft zu fördern. »Die Gegenmaßnahmen, die wir ergreifen, machen praktisch Platz in den Geschäftsregalen für die Waren unserer Hersteller«, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedjew im russischen Fernsehen und kündigte Subventionen von rund einer Milliarde Euro für die russische Landwirtschaft an.
Allzu realistisch sind solche Ankündigungen jedoch nicht, sie verschleiern vielmehr die wirklichen Probleme. Von einer autarken Produktion war selbst die Sowjetunion weit entfernt. Heute ist sie wegen der ineffektiven russischen Agrarwirtschaft faktisch unmöglich. Russland besitzt zwar rund zehn Prozent der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, trägt aber nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN, nur zu vier Prozent der Getreideherstellung bei. Ähnlich wie etwa in der Industrie hat die Regierung wenig in die Modernisierung der Landwirtschaft investiert und sich stattdessen auf den Export einiger weniger Rohstoffe konzentriert. Ohne Importe kann das Land die Versorgung mit Lebensmitteln nicht sicherstellen. Zudem lassen sich die bisherigen Lieferanten nicht ohne weiteres ersetzen. Die Ernten dieses Jahres sind größtenteils bereits verkauft und können kurzfristig kaum gesteigert werden. Für einige Waren gibt es auch keinen gleichwertigen Ersatz – wie etwa bei europäischen Weinen, die von dem Importverbot ausgenommen wurden. Wie die russische Nachrichtenagentur RBC berichtete, stieg der Weinimport aus Europa im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar um ein Viertel. Eine Tochterfirma von Putins Liegenschaftsverwaltung sei demnach dafür zuständig, die Versorgung der »föderalen Organe« sicherzustellen. Wenn das Importverbot irgendwann wieder aufgehoben werden sollte, dann haben die Behörden zumindest genügend Sekt im Kühlschrank, um darauf anzustoßen.