Eine neue Studie über Antiziganismus

Antiziganismus ist Alltag

Vorurteile gegen Roma und Sinti sind in Deutschland weit verbreitet.

Vor Jahrzehnten wurden Roma und Sinti systematisch von Deutschen ermordet. Heute werden Angehörige dieser Minderheit in Deutschland verachtet. Wenn Roma oder Sinti angegriffen werden, seien sie selbst Schuld, meint fast die Hälfte der in Deutschland Lebenden. Nach einer Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind 49 Prozent der Befragten der Meinung, dass Roma und Sinti gegen sie gerichtete Feindseligkeiten selbst provozieren. Jeder Dritte will demnach nicht neben Roma und Sinti wohnen. Die Befragung fand im Mai und Juni 2013 statt – als die CSU ihre systematische Hetze gegen Roma in Form ihrer Kampagne gegen »Armutszuwanderung« und angeblichen Sozialmissbrauch zuzuspitzen begann.
Nach dem Völkermord an den Roma und Sinti wäre es das Mindeste, sie vor Pogromen und Verelendung zu schützen. In Deutschland geschieht das Gegenteil. Die CSU hat ihr Ziel erreicht und in der Großen Koalition Maßnahmen durchgesetzt, die sich klar gegen Roma richten, etwa Einreisesperren und verkürzte Fristen für die Arbeitsplatzsuche – obwohl es keinen Beleg für »Sozialmissbrauch« durch diese Gruppe gibt. Roma, die wie in Duisburg von gierigen Vermietern ausgenommen werden und auf viel zu kleinen Flächen wohnen, bekommen keine Unterstützung. Kommunen lassen zu, dass Vermieter nicht für eine angemessene Wohnsituation und den Abtransport von Müll sorgen – aber unglaublich hohe Mieten kassieren. Kinder bekommen, wenn überhaupt, nur unter erheblichen Schwierigkeiten und mit Verzögerungen einen Platz in der Schule. Statt diese Probleme zu lösen, machen Politiker und Medien ausgerechnet die Menschen dafür verantwortlich, die Opfer dieser Verhältnisse sind. Länder des ehemaligen Jugoslawien, in denen Roma verfolgt werden, will die Große Koalition zu sicheren Herkunftsstaaten erklären und ihnen künftig Asyl pauschal verweigern – was die Grünen im Bundesrat möglicherweise noch verhindern. Das wäre nicht nur für Verfolgte in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ein Hoffnungsschimmer, es wäre auch ein wichtiges Zeichen in die deutsche Gesellschaft hinein. Fast ein Drittel der für die Antidiskriminierungsstelle Befragten ist der Auffassung, dass Deutschland trotz der Verfolgung während des Nationalsozialismus keine besondere Verantwortung gegenüber Roma und Sinti hat. »Antisemitismus ist in Deutschland geächtet, Antiziganismus genießt weitgehend Narrenfreiheit«, sagt Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er hat recht. Antiziganismus ist nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im politischen Establishment weit verbreitet. Rose und die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Christine Lüders haben eine Reihe von Vorschlägen, um den Ressentiments entgegenzuwirken, etwa die Aufnahme von Vertretern der Roma und Sinti in die Rundfunkräte. Sie fordern auch die Einrichtung eines Expertenrats – vergleichbar dem Gremium zum Thema Antisemitismus –, der dem Bundestag regelmäßig Bericht über die Ausprägung des Antiziganismus erstattet. Doch damit ist das eigentliche Problem nicht gelöst: Roma werden europaweit ausgrenzt und verfolgt, vielerorts droht ihnen Verelendung. Deutschland hat die historische Verantwortung, ihnen eine sichere Heimstatt zu geben. Dieser Gedanke muss sich durchsetzen. Gut gemeinte und sinnvolle Antidiskriminierungsmaßnahmen alleine helfen nicht weiter.