»Sharia-Polizei« und Nazi-Bürgerwehren in NRW

Auf Patrouille für Gott und Vaterland

Salafisten versuchen sich auf den Straßen Wuppertals als Tugendwächter. Zugleich mühen sich Nazis in Dortmund, ihre Version einer Bürgerwehr aufzubauen.

»Echt lustig, wie schnell sich alle aufregen, natürlich sind wir keine Polizei!« So versuchen die Moderatoren auf der Facebook-Seite »Sharia-Polizei-Germany«, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Ihr Ziel sei es nur, »muslimische Jugendliche aus den Häusern des Teufels zu bekommen«. Mit »Häusern des Teufels« meinen die Verfasser Spielhallen.
Anfang September tauchte auf Facebook ein Video auf, in dem der bekannte Salafist Sven Lau alias Abu Adam gemeinsam mit drei weiteren Mitstreitern in Wuppertal junge Muslime auf der Straße anspricht. Äußerst freundlich werben die Männer in dem Video für ihre neu eröffnete Moschee und versuchen, jugendliche Migranten vom Glücksspiel abzuhalten. »Aufmerksamkeit ist genau unser Ziel gewesen«, schreiben die Organisatoren auf Facebook. Viel wichtiger sei ihnen aber, »jugendliche Muslime von Kriminalität sowie Glücksspiel weg zu bekommen«. Erreichen wollen sie das »durch reines Patrouillieren«.

Nach der Entfernung des Videos durch die Verantwortlichen der Seite wurden einige Tage später Fotos im Internet veröffentlicht, auf denen mehrere junge Männer in gelben und orangen Warnwesten mit der Aufschrift »Sharia Police« zu sehen sind, die durch die Straßen Wuppertals laufen. »Ich finde das absolut super«, kommentiert der bekannte Salafistenprediger Pierre Vogel in einem Video den Streifengang der islamistischen Bürgerwehr. Zudem ruft er dazu auf, »rauszugehen auf die Straße«, weil man nicht warten könne, »bis sich Jugendliche in die Moschee verlaufen«. Den muslimischen Institutionen, »die gegen uns am Hetzen sind«, wirft Vogel vor, dass sie jugendliche Muslime in Diskotheken und Shisha-Bars nicht erreichen. »Die sollen sich mal fragen, wie viele Jugendliche sie in den letzten Jahren von der Straße geholt haben«, hält er ihnen vor.
Es gibt etliche Reaktionen auf den Versuch der salafistischen Bewegung, Jugendliche auf den vermeintlich richtigen Weg zu bringen. Der hessische Landtagsabgeordnete Ismail Tipi (CDU) sieht darin den Versuch, mehr »Kontrolle über die jungen Muslime« auszuüben. Er beklagt, dass solche Auftritte das Ziel hätten, Jugendliche und junge Erwachsene »in ihrer Lebensweise einzuschränken«. Tipi hat Erfahrung mit Salafisten. Vor einigen Wochen bezeichnete ihn eine salafistische Gruppe wegen seines Engagements gegen islamistische Bestrebungen auf Facebook als »Ungläubigen«, in der Vergangenheit erhielt er bereits Morddrohungen von Salafisten.
Die Polizei leitete in der vergangenen Woche gegen die mit Warnwesten uniformierten Mitglieder der »Sharia-Polizei« ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. »Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat. Ein Auftreten, das einschüchtert, verunsichert oder provoziert, wird nicht geduldet«, sagte die Wuppertaler Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher der Westdeutschen Zeitung. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat das öffentliche Tragen der Westen mittlerweile per Erlass unter Strafe gestellt. Sven Lau versuchte in einem Video, das am vergangenen Wochenende veröffentlicht wurde, den Auftritt seiner Tugendwächter herunterzuspielen: »Wir sind einfach spazieren gegangen.«

»Das ist eine höchst gefährliche Truppe, die für den ›Heiligen Krieg‹ rekrutiert«, warnt dennoch der Integrationsbeauftragte der Stadt, Jürgen Lemmer, in der Presse. Er will mit den 15 Moscheevereinen Wuppertals und Partnern umgehend ein Präventionsprojekt beginnen. Ziel sei es, die salafistischen Missionare aus der Moschee in der Klophausstraße, wo er die Keimzelle der »Sharia-Polizei« verortet, weiter zu isolieren. In den vergangenen Wochen habe der Zuspruch für die Salafisten merklich abgenommen. Weshalb, so Lemmer, nun die Salafisten auf der Straße »Stärke demonstrieren« wollten.
Im Internet bekommen die selbsternannten Tugendwächter Applaus von Gleichgesinnten. »Möge Allah euch standhaft machen«, wünscht ihnen der User Mustafa Habib. Doch in den Kommentarspalten toben sich auch etliche Muslimhasser aus. So schreibt ein anderer Nutzer als Antwort: »Mustafa Habib und deine Sippe, wandert ins Gas!« Wie üblich im Internet entspinnt sich ein endloses Zwiegespräch, das sich aus den Ressentiments zweier Parallelwelten speist. Während autochthone Deutsche ihre angegriffene »Lebensart« auf nationalsozialistische Weise verteidigen, schwanken die vorgeblichen Vertreter des wahren Islam zwischen Verteidigung und Angriff. »Am Ende bekommt jeder seine Rechnung und über eure Drohungen können wir lachen, denn unser Ziel ist der Tod und ihr liebt dieses Leben nach Gelüsten«, wütet ein aufgebrachter Islamist. Ein anderer Nutzer versucht an gleicher Stelle, die aufgebrachten Kommentatoren zu beruhigen: »Die Sharia-Polizei ist ausschließlich für die Muslime zuständig.«
Auf den Straßen zu patrouillieren, ist nicht nur der Traum autoritärer Charaktere islamistischer Prägung. Auch deutsche Nazis verspüren diesen Drang. In Dortmund gründete »Die Rechte« vor kurzem einen eigenen »Stadtschutz«. Uniformiert in gelben T-Shirts mit der Aufschrift »Stadtschutz Dortmund« liefen seit August immer wieder Gruppen von Neonazis durch die Stadt. Sie sehen es als ihre Aufgabe, der »überforderten« Polizei wegen der »steigenden Zahl von Straftaten« zur Seite zu stehen. Auf einem Flugblatt kündigten die Nazis ihre Präsenz »an Orten mit hoher Kriminalität zur Prävention von Straftaten«, »praktische Hilfe für die Opfer von Ghettoisierung und Kriminalitätsexplosion« und einen »Personen- und Objektschutz nach individuellen Gefahrenprognosen, zum Beispiel im Umfeld von Asylantenheimen« an. Weil der »Heimatschutz« bekanntlich den Umweltschutz einschließt, stehen auch »Säuberungsaktionen in öffentlichen Grünanlagen« auf dem Programm. Insgesamt solle der »Stadtschutz« dort tätig werden, »wo staatliche Strukturen das Wohl der Bevölkerung nicht mehr ausreichend garantieren können«. Nachdem erste Fotos der rechtsextremen Bürgerwehr im Internet aufgetaucht waren, verbot die Dortmunder Polizei das öffentliche Tragen der einheitlich bedruckten T-Shirts. Die Wertung als Verstoß gegen das Uniformierungsverbot zog ein Strafverfahren nach sich. Der Dortmunder Polizeipräsident, Gregor Lange, bezeichnete das Tragen der Shirts in der Öffentlichkeit als eine »Verherrlichung der NS-Zeit«. Durch das »militant einschüchternde Auftreten werden Assoziationen an die SA der dreißiger Jahre geweckt«. Ein Versuch von »Die Rechte«, die Anordnung der Polizei juristisch anzufechten, scheiterte vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Kurz darauf bestätigte das Oberverwaltungsgericht Münster den Auflagenbescheid der Dortmunder Polizei.

»Das Modell einer funktionierenden Volksgemeinschaft lebt nur noch in den Erinnerungen älterer Volksgenossen«, begründen die rechtsex­tremen Stadtschützer ihre öffentliche Betätigung. Mittlerweile tragen sie zwar nicht mehr die gelben T-Shirts, umtriebig sind sie aber immer noch. Anfang September verteilten sie in Dortmun-Westerfilde Pfefferspray an Frauen. Der Stadtteil sei »zu einem Angst­raum geworden«, und zwar »durch Masseneinwanderung und einen daraus resultierenden Kriminalitätsanstieg«. Ob Frauen das Geschenk der Nazis angenommen haben, ist nicht bekannt.