Jutebeutel war gestern: Das neue Modeaccessoire des Hipsters ist der Turnbeutel.

Ein Beutel voller Geschichten

Turnbeutel sind praktisch und sehen gut aus, und der Modetrend weckt viele schöne Erinnerungen.

Er hatte eine rote Schnur und war irgendwie kariert und das, was zwangsläufig herauskommt, wenn man Eltern hat, die finden, dass auch Mädchen ein Recht darauf haben, sich schmutzig zu machen, Sachen zu verlieren und herumzutoben: mein Turnbeutel. Einen praktischeren und gleichzeitig hübscheren Sportzubehörsack hatte die Welt bis dahin vermutlich nicht gesehen. Nix war’s mit dem, was die anderen, offenkundig sehr an Handarbeiten interessierten Mütter mit den Dingern veranstaltet hatten, also beispielsweise liebevoll Vornamen draufgestickt oder witzige Applikationen draufgenäht, die detailliert die örtliche Turnhalle oder eine Auswahl der dort befindlichen Geräte zeigten. Und noch viel mehr nix war’s mit hübschen rosa Kleidchen und komplizierten Steckfrisuren, aber gut, das ist eine andere Geschichte, wir waren ja beim Turnbeutel.

Irgendwie passte das karierte Dingens ganz gut zu dem Ort, an den er einmal die Woche transportiert wurde, um dort, umwabert vom typischen Geruch von Jahrzehnte altem Schweiß und vor sich hinmoderndern Turnmatten, ausgepackt zu werden, auf dass man (wir reden hier von der Grundschule) von mäßig interessierten Nicht-Fachlehrerinnen in die Geheimnisse langweiliger Ballspiele und öder Gymnastikübungen eingeweiht würde. Das war alles ziemlich unspannend und hatte mit dem Sport, den man im Fernsehen sah, nichts zu tun. Außerdem hatten dessen Protagonisten schicke große Taschen, aber in der zweiten Klasse unter Frau Strauß galten andere Gesetze und die sahen eben »Schau Dich nicht um, der Plumpsack geht um«, scheußliche Bekleidung, Wettklettern an der Sprossenwand und natürlich unglamouröse Turnbeutel vor.
Und jetzt sind die Dinger also wieder da mit allem hippen Modezubehör, aber natürlich nicht in der Version »kariert mit roter Schnur dran«, sondern als fashionable Zusammenfassung all dessen, was damals unzählige Kleinstadtmütter Generationen von Turnbeuteln (die natürlich alle paar Wochen verloren wurden und nie wieder auftauchten, egal, wie hübsch sie waren, was in den Familien mit ausgewiesenen Handarbeitsfachkraftmüttern wohl regelmäßig zu ziemlichen Dramen führte) angetan haben, nämlich sie behäkeln und benähen und besticken und was nicht noch alles.
Bei Dawanda, dem Fachportal für Selbstgemachtes, finden sich unter dem Stichwort »Turnbeutel« zur Zeit 1 836 Sportsachentransportsäcke, manche tragen Statements wie »läuft«, auf anderen ist David Bowie zu sehen oder ein Einhorn mit umgedrehter Eistüte auf der Nase, einige sind mit Glitzersteinen bestückt. Einen karierten gibt es auch, aber der ist aus Leder und zählt deswegen nicht, denn die wirklichen Vorgänger der jetzigen Modeaccessoires waren aus krumpeligem Stoff. Vielleicht aus praktischen Erwägungen, denn dann konnten Beutel und Inhalt einmal die Woche ohne großen Aufwand in die Waschmaschine gestopft werden, was aber natürlich nichts daran änderte, dass der Turnhallengeruch haften blieb.

An der Turnbeutel-Mode ist nichts Verwerfliches, die Beutel sehen hübsch aus und können vor allem nicht so vollgepackt werden wie ihre Verwandten, die Rucksäcke, deren Träger anscheinend immer, immer, immer gleichzeitig einen Grundkurs in Empathielosigkeit absolviert haben, denn es gelingt ihnen mühelos, beispielsweise in engen Kaufhausgängen, sich so egoistisch hin- und herzubewegen, dass sie auf ihrem Weg zur Bioabteilung mindestens vier andere Mitkunden in größere Regale schleudern – und es nicht einmal merken. Außerdem wecken Turnbeutel schöne Erinnerungen, etwa an die wunderbare Zeit, als man endlich groß genug war, um selbst zu bestimmen, in was man seine Sportsachen stopfte, und dazu auch noch selbst entschied, was adäquate Turnbekleidung war. Und natürlich auch daran, wie man den blöden Sportunterricht regelmäßig mit äußerst phantasievollen Ausreden schwänzte (und den noch viel blöderen Schwimm­unterricht, der darin bestand, in einer völlig überhitzten Halle in viel zu warmem Wasser Bahn um Bahn zu kraulen, zu schmetterlingen und zu rückenschwimmen, bis die Sportlehrerin endlich sagte, dass es nun genug sei), und natürlich auch an die große Freude, wenn bekannt gegeben wurde, dass die Turnhalle leider, leider renoviert werden müsse und mangels Ersatz die nächsten drei Monate kein Sportunterricht stattfinden könne.
Doch, Turnbeutel sind schon schick, jedenfalls dann, wenn sie nicht zu Ballonmützen, dem hässlichsten nur denkbaren Kleidungsstück, getragen werden, und natürlich, wenn sie nicht in beige, der scheußlichsten Farbe überhaupt, gehalten sind. Und wenn sie nicht nach Turnhalle stinken, natürlich.