Streit um die Kennzeichnungspflicht von Polizisten

Raus aus der Anonymität

Der jahrzehntelange Streit um die Kennzeichnungspflicht von Polizisten geht in eine neue Runde. Während uniformierte Beamte in Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Brandenburg schon länger individuell gekennzeichnet sind, wird in Baden-Württemberg weiter darüber gestritten.

Bei Großeinsätzen der Polizei kann es schon mal zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Und die Gewalt geht dabei nicht immer von den Demonstranten aus. Um auch Polizeibeamte nach gewaltsamen Übergriffen identifizieren zu können, haben mehrere Bundesländer bereits eine individuelle Kennzeichnung von Polizisten bei Großeinsätzen eingeführt. Nach heftigen Diskussionen über Gewaltanwendungen seitens der Polizei bei den Demonstrationen gegen »Stuttgart 21« und den Anti-Castor-Protesten in Gorleben im Jahr 2010 wollte Baden-Württemberg als eines der ersten Bundesländer die Kennzeichnungspflicht einführen. Bereits 2011 vereinbarten Grüne und SPD im Koalitionsvertrag, dass Polizisten bei Großeinsätzen künftig individuell, aber anonymisiert gekennzeichnet werden sollen, etwa mit Buchstaben- oder Zahlencodes. Innenminister Reinhold Gall (SPD) stellte das Vorhaben jedoch unlängst wieder in Frage und löste damit einen handfesten Koalitionsstreit aus. Für die Grünen ist die geplante Einführung nicht verhandelbar, lediglich bei der konkreten Ausgestaltung sei man gesprächsbereit, sagte der Landesvorsitzende der Grünen, Oliver Hildenbrand. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält zwar Ausnahmen für möglich, grundsätzlich hält er jedoch an der Kennzeichnungspflicht fest.

Amnesty international fordert seit langem eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten und Polizistinnen. Nur so könnten »Fälle von mutmaßlichem polizeilichen Fehlverhalten aufgeklärt werden«, sagt Alexander Bosch, Sprecher der Gruppe »Polizei und Menschenrechte« bei Amnesty International, im Gespräch mit der Jungle World. »Ohne dieses rechtsstaatliche Prinzip müssen die Verfahren gegen Beamte – insbesondere im Zusammenhang mit Bereitschaftspolizisten, wo die Schutzausrüstung keine eindeutige Identifikation zulässt – oft eingestellt werden, weil kein eindeutiger Täter oder keine Täterin identifiziert werden kann.«

Die Gewerkschaft der Polizei lehnt die Pläne dagegen strikt ab und hält die Kennzeichnung für unnötig. Hans-Jürgen Kirstein, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg, sagt gegenüber der Jungle World, ihm sei kein einziger Fall bekannt, in dem ein Beamter, der sich falsch verhalten hätte, nicht ermittelt werden konnte. Schließlich seien die Polizisten bereits gekennzeichnet. Bislang werden in Baden-Württemberg Polizisten bei Großeinsätzen so gekennzeichnet, dass sie jeweils einer Zwölfergruppe von Beamten zugeordnet werden können. Kirstein sieht die Verantwortung vielmehr woanders: »Wenn die Bürger normal demonstrieren würden, würden wir die Diskussion gar nicht führen.« Zudem befürchtet er Eingriffe in die Privatsphäre der Beamten.
Die von Polizeigewerkschaften häufig vorgebrachten Bedenken, eine individuelle Kennzeichnung gefährde das Privatleben der Polizisten und diese würden dadurch wesentlich häufiger angezeigt, haben sich in anderen Bundesländern allerdings nicht bewahrheitet. In Berlin sind die Einsatzkräfte seit 2011 mit Nummern- oder Namensschildern ausgestattet. Eine Anfrage der Linkspartei im Abgeordnetenhaus ergab, dass die Nummern weder zu einem Anstieg von unberechtigten Strafanzeigen gegen Dienstkräfte geführt haben, noch gibt es Erkenntnisse über Angriffe auf die Privatsphäre. In Baden-Württemberg haben SPD und Grüne das Thema zunächst auf den Herbst vertagt. In anderen Bundesländern ist man schon weiter: Neben Berlin, das die Kennzeichnungspflicht als erstes Bundesland eingeführt hat, sind auch in Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Schleswig-Holstein Polizisten bei Großeinsätzen eindeutig identifizierbar. In Bremen ist erst kürzlich ein entsprechender Erlass in Kraft getreten und in Nordrhein-Westfalen sollen Polizisten ab 2015 mit Nummern ausgestattet werden. In Hessen und Niedersachsen ist die Einführung ebenfalls geplant.