Die Bundeswehr rekrutiert Nachwuchs unter jungen Fußballfans

Truppe sucht Stadion

Vor drei Jahren wurde in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft, seitdem bemüht sich die Bundeswehr verstärkt um die Nachwuchsrekrutierung unter jungen Fußballfans. Der Etat für Werbekooperationen im Sportbereich steigt stetig, das meiste Geld geht an Fußballvereine.

Die Bundeswehr gibt immer mehr Geld für Werbung und Sponsoring im Sport aus. Im vergangenen Jahr ließ sich die deutsche Armee solche Maßnahmen 453 000 Euro kosten. Das waren fast 80 Prozent mehr als noch 2012, als der entsprechende Etat bei 253 000 Euro lag. Für diese Beträge kauft die Bundeswehr Bandenwerbung, Inserate in Vereinszeitungen und Videoclips, die in den Halbzeitpausen gezeigt werden. Insgesamt stehen 44 Sportvereine auf der Liste der Kooperationspartner, wie die Bundesregierung nach einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei mitteilte.

Der Großteil der Bundeswehrreklame wird in den Fußball gesteckt. Am meisten von der militärischen Unterstützung profitiert hat im vorigen Jahr der Fußballclub Hannover 96. Der Bundesligist kassierte 65 500 Euro. Sein Ligakonkurrent Hamburger SV erhielt 37 500 Euro. Unter den Fußballvereinen in der zweiten Bundesliga lag der 1. FC Union Berlin mit 47 600 Euro, die er von der Bundeswehr erhielt, an erster Stelle. Der Karlsruher SC erhielt 23 200 Euro, bedacht wurden aber auch kleinere Vereine – der Drittligist Holstein Kiel etwa mit 34 500 Euro, der viertklassige FC Carl Zeiss Jena mit 30 000 Euro. Aber auch der Berliner Fußballverband kassierte über 13 000 Euro von der Bundeswehr. Im Bereich des Basketballs profitierten die Brose Baskets Bamberg am meisten: 30 000 Euro flossen in die Vereinskasse. Dafür gab es unter anderem einen sogenannten Schülertag, den die Bundeswehr für die Nachwuchswerbung nutzen konnte. Der Handballverein Füchse Berlin bekam über 20 000 Euro.
Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linkspartei), unter deren Federführung die Anfrage gestellt wurde, beschäftigt sich nun insbesondere mit Hannover 96. Der niedersächsische Club nimmt mit den jeweils 65 500 Euro in den Jahren 2013 und 2014 den Spitzenplatz unter den Fußballvereinen bei der Werbung um Nachwuchs durch die Bundeswehr ein. Jelpke forderte in der Hannoverschen Zeitung Neue Presse die Fans des Bundesligisten dazu auf, gegen das Sponsoring des Vereins durch die Bundeswehr zu protestieren. »Ich fände es gut, wenn die Fans ihrer Vereinsführung klar machen würden, dass man nicht von jedem Geld nehmen muss. Auch Hannoveraner Jugendliche sollen ihre Kräfte lieber beim Sport messen, als im Auftrag der Bundeswehr zu verbluten«, sagte sie. »Die Bundeswehr drängt massiv in die Sportwelt, um Nachwuchs unter den Fans zu ködern. Jeder Verein sollte sich gut überlegen, ob er seinen Fans wirklich Werbung für die Bundeswehr zumuten will«, ergänzte Jelpke.
Der Pressesprecher des Hannoveraner Fußballklubs, Alex Jacob, erwiderte in der gleichen Zeitung, die Werbung der Bundeswehr sei dem Verein überhaupt nicht peinlich. »Die Bundeswehr ist seit Jahren ein verlässlicher und guter Partner des Vereins.« Der Präsident von Hannover 96, Martin Kind, habe eine besondere Beziehung zur Bundeswehr. Man lade gelegentlich Soldaten zur Stadionführung ein und Kind sei bei der Bundeswehr auch schon als Vortragsredner aufgetreten.

Tatsächlich kritisiert die Hannoveraner Sektion der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) schon lange das militärfreundliche Gebaren des Hörgeräteherstellers Kind, der mit einer kurzen Unterbrechung seit 1997 Präsident des Sportvereins ist. »Schon seit Jahren fällt Martin Kind durch besonders militärfreundliche Gesten auf«, heißt es in einem 2013 erschienenen Beitrag in dem von der DFG-VK herausgegebenen Magazin Zivilcourage. So fänden seit Jahren die Neujahrsempfänge der 1. Panzerdivision der Bundeswehr im Hannoveraner Stadion statt. »Im März 2011 verteilte Martin Kind am Rande eines Spiels gegen Mönchengladbach gelbe Schleifen – dem von bundeswehraffinen Gruppen herausgegebenen Symbol für Solidarität mit der ›Truppe im Fronteinsatz‹«, so der Beitrag weiter. »Kind maßte sich an, in diesem Zusammenhang für alle Fans von Hannover 96 die Unterstützung für Kriegseinsätze auszusprechen. Er nannte dies: ›für ein friedliches Miteinander‹ werben.«
Das Problem ist nur: Wer soll in Hannover überhaupt gegen die Werbung der Bundeswehr protestieren? Die potentiell kritischste Fangruppe, die Ultras Hannover, boykottiert seit Beginn dieser Saison die Spiele der ersten Herrenmannschaft. Hintergrund für diesen Protest sind unter anderem Streitigkeiten über die steigende Anzahl juristisch fragwürdiger Auflagen des Vereins bei Auswärtsspielen, aber auch generell die lange Geschichte von Auseinandersetzungen zwischen den organisierten Fans und dem Vereinspräsidenten Kind, der seinen Club vor allem als Wirtschaftsunternehmen begreift. Für Anhänger, die er nicht schätzt, hat Kind auch schon mal eine geharnischte Beleidigung parat. »Ein Teil unserer Fans sind Arschlöcher«, urteilte er im September 2012. Je mehr Profisportclubs, die immer weniger mit traditionellen Sportvereinen zu tun haben, tatsächlich als Wirtschaftsunternehmen agieren, desto weniger spielt der Hintergrund eines Geldgebers eine Rolle.

So kann man sich die Frage stellen, ob der russische Staatskonzern Gazprom als Hauptsponsor des Bundesligisten FC Schalke 04 sympathischer ist als etwa die Bundeswehr. Oder der Geflügelfleischproduzent Wiesenhof, der seit 2012 beim SV Werder Bremen für mehrere Millionen jährlich wirbt und von Tierschützern heftig kritisiert wird.
Auf der anderen Seite macht die Bundeswehr im Prinzip das, was auch jedes Wirtschaftsunternehmen tun würde, wenn es Probleme bei der Nachwuchsrekrutierung hat: Sie betreibt Werbung, um neue Leute zu gewinnen. Auf dem Markt der Arbeitskräfte steht sie seit der Abschaffung der Wehrpflicht 2011 in einem direkten Konkurrenzverhältnis zu anderen Arbeitskraftnachfragern. Sie hat dabei aber mit etwas mehr als nur ein paar Imageproblemen zu kämpfen. Befehl und Gehorsam, Auslandseinsätze, Sterben fürs Vaterland – all das steht trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen beim durchschnittlichen Arbeitnehmer nicht allzu hoch im Kurs. Deshalb versucht man bei der Armee, den potentiellen Nachwuchs bereits in der Schule für das »Abenteuer Bundeswehr« zu begeistern. Für die Bundeswehr dürfte es naheliegend erscheinen, junge Menschen auch an Orten zu erreichen, die sie gerne und freiwillig besuchen – zu ihnen gehört das Fußballstadion. Insgesamt gab die Bundeswehr im vorigen Jahr fast 30 Millionen Euro für die Nachwuchswerbung aus, zwei Jahre zuvor lag der Betrag nur bei gut der Hälfte. Die knapp 500 000 Euro, die das Militär für Werbung im Fußball und in anderen Sportarten ausgibt, erscheinen da fast wie die berühmten Peanuts.
Dennoch zeigt die Debatte erneut, dass selbstverständlich auch der Fußball nicht unpolitisch ist. Egal wie man zur deutschen Armee, russischen Staatskonzernen oder niedersächsischen Mastbetrieben als Sponsoren steht – man kann es ablehnen, dagegen protestieren, Boykotte organisieren. Oder man kann es hinnehmen. Weil man kein Problem mit dem Sponsor hat oder weil es einem egal ist. Eine politische Dimension hat jede dieser Reaktionen.