Moralopfer

Wer sich mit dem Handy selbst fotografiert, kann verhaftet werden – das sieht die neue indische Moralpolitik vor, die eigentlich dazu da sein sollte, Frauen vor Übergriffen zu schützen. In Mumbai wird das Gesetz zu Beginn des neuntägigen Navrati-Theater-Festivals ganz besonders eifrig durchgesetzt. Die beiden Mittzwanziger Cheryl Godinho und Runcil Rebello waren unter den ersten, die von der Polizei belästigt wurden. Nach einem Theaterbesuch waren sie noch in einer Shopping Mall essen gegangen und hatten sich anschließend auf einer Bank draußen in die Sonne gesetzt. Man unterhielt sich und knipste, Cheryl hatte ihren Arm um ihren Freund gelegt, als plötzlich vier Männer und eine Frau auftauchten und die beiden aufforderten, mit ihnen zur nächsten Polizeiwache zu kommen. Sie hätten sich unmoralisch benommen, lautete die Begründung der Beamten.
Im Van, der das Paar zur Wache brachte, traf man weitere Moralopfer. Wie Abhishek Yadav und Christopher Dsouza, die auf einer Brücke ein Selfie gemacht hatten und anschließend verhaftet worden waren, und eine Gruppe von sieben Leuten, die sich ebenfalls selber fotografiert hatte, wobei eine Frau von ihren männlichen Freunden angefasst worden war. Eine Polizistin erklärte ihr daraufhin, dass es verboten sei, von Männern berührt zu werden, weswegen alle nun eine Strafe bezahlen müssten.
»Das Problem ist, dass Begriffe wie ›unanständiges Benehmen‹ vollkommen subjektiv interpretiert werden, weil sie in den entsprechenden Vorschriften nicht eindeutig definiert sind«, erklärt die indische Filmemacherin Paromita Vohra, die bereits einen Dokumentarfilm zum Thema Moralpolitik gedreht hat. Subjektiv wie in dem Fall von Cheryl und Runcil, zu dem ein Polizeisprecher erklärte, eine Streife habe sie dabei erwischt, wie sie sich »unanständig« benahmen.