Die ökonomischen Folgen

Europa am Katzentisch

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird den Rentabilitätsdruck auf dem Weltmarkt verschärfen.

Glaubt man der von der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, dann wird das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA , über das derzeit verhandelt wird, ein großer Erfolg für beide ­Seiten werden. Vor allem die USA würden langfristig ihr reales Pro-Kopf-Einkommen um 13,4 Prozent steigern können, aber auch in Europa sei mit Zuwächsen zwischen drei (Luxemburg) und 9,7 Prozent (Großbritannien) zu rechnen.
»Ein transatlantisches Freihandelsabkommen wäre ein wichtiges Instrument für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa«, verkündete Aart De Geus, der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, im Juni 2013 bei der Vorstellung der Studie. Insbesondere die krisengeschüttelten Südeuropäer würden davon überdurchschnittlich profitieren. Eine Win-win-Situ­ation für knapp 800 Millionen Menschen.
Dabei geht die Studie bei ihren Simulationsrechnungen von einem maximalen Freihandelsszenario aus, wie es in dem jüngst veröffentlichten Ceta-Abkommen der EU mit Kanada auch verabredet wurde (s. Seite 4). Während die Abschaffung der Zölle allein »kaum für positive Wachstumseffekte sorgen« würde, hätte der zusätzliche Abbau aller nichttarifären Handelshemmnisse die oben geschilderten Wirkungen, heißt es dort. Zu diesen »Hemmnissen« gehören etwa divergierende oder zu strenge Qualitätsstandards, Verpackungs- und Bezeichnungsvorschriften sowie technische oder rechtliche Anforderungen an importierte Produkte und Subven­tionen aller Art für einheimische Produkte.
Tatsächlich sind die Zölle bereits jetzt relativ niedrig. Im Durchsschnitt der EU und der einzelnen Produktbereiche lägen sie im Bereich von fünf bis sieben Prozent, hatte der deutsche Außenhandelsverband BGA im vergangenen Jahr ermittelt, im Falle der Bundesrepublik lägen sie gar nur bei knapp drei Prozent. Dennoch müssten wegen des großen Handelsvolumens deutsche Exporteure gegenwärtig etwa 3,5 Milliarden Euro an Zöllen bezahlen, eine Summe, die man sich in den Zentralen der exportorientierten deutschen Industrie natürlich gerne sparen würde.

Es liegt nahe, dass Freihandelsabkommen den rentabelsten Einzelkapitalen und deren Standorten durch die Verunmöglichungen protektionis­tischer Maßnahmen seitens handelsdefizitärer Staaten weitere Vorteile verschaffen. In einem Interview mit der Zeit hat der Chefunterhändler der USA, Michael Froman, darauf verwiesen: »Ihr Land ist extrem wettbewerbsfähig und hochinnovativ, deswegen würde TTIP Deutschland sehr nützen.«
Dass das Ifo-Institut gerade den europäischen Krisenstaaten die größten Wachstumschancen einräumt, kann dagegen als Wunschdenken oder Werben für Unterstützung verstanden werden. Vielmehr dürfte sich dort nach einer kurzen Freude über die »verbilligten Importe aus den USA« – den Erfahrungen mit den Freihandelszonen in Ostasien, Nordamerika und nicht zuletzt dem europäischen Binnenmarkt zufolge – ein stetig steigendes doppeltes Defizit von Handelsbilanz und öffentlichen Haushalten kaum vermeiden lassen. Weitere offensiv erwünschte Maßnahmen zur Herstellung von Rentabilität werden dann wohl leichter durchzusetzen sein.

Gleiches gilt auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Abstieg auch das Ifo-Institut konstatiert. Selbst für Japan wird in der Studie ein langfristiger Rückgang der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent berechnet. Da bleiben auf Dauer kaum Alternativen, als diesem »Vorbild für weitere Fortschritte im globalen Freihandel«, wie De Geus die TTIP in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt im vergangenen Dezember bezeichnete, zu folgen, die Märkte vollständig zu öffnen und Löhne und öffentliche Ausgaben zu senken.
Vorerst geht es aber um die geopolitische Zukunft Europas. »Für Europa und Deutschland geht es vorrangig um die Frage, ob wir mittelfristig im Rahmen einer G3 gemeinsam mit den USA und China die Geschicke der Welt mitgestalten können oder ob wir bei einer Dominanz der G2 nur am Katzentisch sitzen«, befand Michael Hüther bei der Vorstellung einer Studie des Ins­tituts der Deutschen Wirtschaft (IW) vor wenigen Wochen. Das wird man sich, allen Diskussionen um Chlorhühner, Schiedsgerichte und Genfood zum Trotz, in Brüssel, Berlin und selbst Gütersloh nicht versauen lassen wollen.