Die Krise der Antifa

Arrivederci Antifa

Ein Teil der deutschen Bewegungslinken hat nicht nur Nachwuchsprobleme, sondern steckt auch ­inhaltlich in der Krise. Nun haben zwei Gruppen ihre Auflösung bekanntgegeben.

In den vergangenen Wochen ist einiges in Bewegung geraten in der außerparlamentarischen Linken. Erst gab die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ihre Auflösung bekannt; kurz darauf kündigte auch die norddeutsche Gruppe Avanti – Untertitel: »Projekt undogmatische Linke« – an, in Zukunft nicht mehr als eigenständige Gruppe, sondern nur noch in der Interventionistischen Linken (IL) zu agieren, der sie allerdings auch zuvor schon angehörte. Die ALB hat ebenfalls ankündigt, dass sich zumindest ein Teil von ihr in Zukunft in der IL engagieren wird.
Ursprünglich war die IL 2005 im Zuge der Vorbereitungen der Proteste gegen den G8-Gipfel 2008 in Heiligendamm entstanden, deren radikaleren Flügel sie entscheidend mitprägte. Wie auch das postautonome Bündnis »Ums Ganze«, das etwa zur selben Zeit entstand, verstand sie sich explizit als Netzwerk verschiedener lokaler Gruppen. Über Jahre wurde jedoch ein Wandel vom Netzwerk hin zur bundesweiten Organisation diskutiert, der sich nun offenbar vollzieht. Ziel soll die »Schaffung eines zunächst bundesweiten, handlungs- und strategiefähigen Akteurs der radikalen Linken« sein, wie es bei Avanti heißt.

Was auf den ersten Blick nach einer Struktur­reform aussieht, dürfte mittelfristig über eine bloß organisatorische Ebene hinausgehen. Die »klassische Antifa-Bewegung« befinde sich in einer Krise, heißt es in der Auflösungserklärung der ALB – eine Erkenntnis, mit der sie nicht alleine steht. Schon das Thema eines europäischen Antifakongresses, der im April an der Technischen Universität in Berlin stattfand, lautete: »Antifa in der Krise?« Das war durchaus doppeldeutig gemeint. Kurz vor den Wahlen zum Europaparlament wurde nicht nur über den Aufstieg rechts­populistischer Parteien im Zuge der Euro-Krise debattiert, es ging auch um den Zustand der Antifabewegung in Deutschland, die nicht nur mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen hat, sondern auch mit ihren klassischen Aktionsformen und Handlungsfeldern hadert. Beim Kongress ging es auch um die Frage, wie man hierzulande dem Nationalchauvinismus der AfD begegnen solle und ob die Antifaszene sich stärker mit sozialen Konflikten beschäftigen müsse.
Auch das Bekanntwerden des NSU im November 2011 hat die Antifaszene nachdenklich gestimmt. Dem NSU hat die Antifa genauso wenig entgegensetzen können wie Staat oder Politik. Im Zuge der Aufarbeitung der eigenen Fehler wurde auch aufs Neue kritisiert, wie weiß, deutsch und mittelschichtssozialisiert die Antifa noch immer sei. Allzu oft werde Politik für oder über Betroffene und nicht mit ihnen gemacht (Jungle World 33/14).
Gleichzeitig taugt die bloße Ablehnung von Neonazismus und rechter Gewalt heute kaum noch zum Alleinstellungsmerkmal. Sie ist Teil deutscher Staatsräson und wahrscheinlich eines der wenigen Dinge, auf das sich wirklich alle Parteien im Bundestag einigen können. Es ist ja auch sehr einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Einfacher jedenfalls, als sich in Selbstkritik zu üben.

»Die Fokussierung auf den Kameradschafts- und NPD-Nazi bedarf (…) teilweise einer Neubewertung«, stellt die ALB fest und auch hier ist ihre Kritik zwar nicht neu, aber durchaus zutreffend. Tatsächlich stellt sich vielerorts die Frage, ob die Antifa in ihrer Recherchetätigkeit nicht genau das macht, was Aufgabe des Verfassungsschutzes sein sollte. Andererseits ließe sich mit Recht einwenden, dass dieser, wie spätestens nach der Selbstenttarnung des NSU offensichtlich wurde, seiner nominalen Aufgabe nicht nachkommt, sondern vielmehr selbst in seinen regelmäßigen Berichten auftauchen müsste.
Für die IL als Ganzes hingegen war die Antifa immer nur ein Schauplatz unter vielen und nicht einmal der wichtigste. Sie sah ihr Ziel vielmehr darin, »selbstbewusst in die gesellschaft­lichen Auseinandersetzungen einzugreifen, um diese zu radikalisieren und Gegenmacht aufzubauen«, um es mit den Worten von Avanti zu sagen. Diesen Weg wird sie sicher auch weiterverfolgen. Sie wird in größere und kleinere gesellschaftliche Kämpfe intervenieren und versuchen, diese sukzessive im Sinne der Linken zu beeinflussen.
Die ALB hatte einen anderen Ansatz. Ihre hauptsächlichen Aktionsfelder wie die traditionelle Demonstration am 1. Mai oder das Gedenken an Silvio Meier, richteten sich klar an die radikale Linke selbst und nicht an die sie umgebende Gesamtgesellschaft. Genauso wie das Ladengeschäft »Red Stuff« in Kreuzberg oder ihre Solipartys vermarkteten sie Antifa als Lifestyle und das überaus erfolgreich – allerdings um den Preis, dass die Szene sich beizeiten mehr um sich selbst als um Politik drehte.
Die IL dagegen setzt noch immer auf das Mittel der klassischen Großdemonstration und unterstützt »Blockupy« ebenso wie Blockaden von Castortransporten oder Proteste gegen politische Gipfeltreffen. Immer wieder setzt sie sich dabei auch mit Menschen an einen Tisch, die alles andere als »undogmatisch links« sind. Sie sucht gesamtgesellschaftliche Resonanz jenseits der linksradikalen Szene und findet sie hin und wieder auch. Greifbare Erfolge sind ihr wichtiger als radikale Kritik.

Die Blockaden der alljährlichen Naziaufmärsche in Dresden etwa wurden zu nicht unwesentlichen Teilen von der IL gestemmt. Heute gibt es in Dresden ein besseres Gedenken, fast ganz ohne Nazis. Doch die Nazis sind immer noch Nazis und in Dresden hält man die alliierten Bombenangriffe noch immer für ein Kriegsverbrechen. War also alles umsonst?
Die IL würde das verneinen. Sie versteht sich in erster Linie als Bewegung und eine Bewegung lebt vom Schwung, vom Moment. Tatsächlich haben die Blockaden in Dresden für einen solchen Schwung gesorgt und die »Blockupy«-Proteste, die im November in Frankfurt stattfinden sollen, dürften es wohl auch. Doch die entscheidende Frage bei jeder Bewegung sollte nicht »Wie schnell?« lauten, sondern: »Wohin?« Vielleicht gelingt es ja der IL, wenn sie sich offenbar schon einen neuen organisatorischen Rahmen gibt, auch hierauf eine schlüssige Antwort zu finden, die deutlich über das Bestehende hinausreicht. Bewegung um der Bewegung willen und Organisation, nur um organisiert zu sein, werden jedenfalls auf Dauer nicht ausreichen.