Die wirtschaftlichen Folgen der Ebola-Epidemie

Hungern oder sterben

Die unkontrollierte Ausbreitung von Ebola in Westafrika hängt unter anderem mit der Expansion internationaler Unternehmen auf dem Kontinent zusammen. Die Epidemie bedroht zugleich die ökonomische Entwicklung der betroffenen afrikanischen Länder.

Wenn eine internationale Fußballveranstaltung gefährdet ist, spürt man, dass etwas wirklich Wichtiges passiert. Es wird befürchtet, dass der Africa Cup of Nations, der vom 17. Januar bis 8. Februar kommenden Jahres in Marokko stattfinden soll, ausfallen könnte. Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist nach wie vor nicht unter Kontrolle, ihre Ausbreitung lässt die marokkanischen Behörden zögern. Nach Informationen der spanischen Tageszeitung El País hat das nordafrikanische Königreich am 10. Oktober bei den zuständigen Sportfunktionären beantragt, das Ereignis auf frühestens Juni 2015, besser noch auf das Jahr 2016 zu verschieben. Auf einer Tagung am 2. November in Algier soll darüber diskutiert werden. Unterdessen hat der Afrikanische Fußballverband bereits die Staaten Ghana und Südafrika gefragt, ob sie notfalls einspringen und den Cup noch kurzfristig organisieren könnten.
Nun ist es sicherlich verständlich, dass das Ebola-Virus Ängste hervorruft. Allerdings könnte das Gastgeberland auch auf weniger radikale Weise als mit einer Absage der Meisterschaft dafür sorgen, dass eine Ausbreitung der Seuche auf sein Staatsgebiet verhindert wird. Denn Ebola ist nur dann ansteckend, wenn die erkrankte Person bereits Symptome zeigt, wie erhöhte Körpertemperatur und häufig Flecken auf der Haut. Allerdings wurden die ersten Anzeichen oft fälschlich für Grippesymptome gehalten, was die Ausbreitung der derzeitigen Epidemie begünstigt hat. Mali etwa hat seit Monaten an seinen Flughäfen und Grenzübergängen Apparate aufgestellt, die eine sofortige Erkennung möglicher Ebola-Symptome erlauben: Reisende werden mit einer Videokamera gefilmt, die ihre Bilder auf einen Computer übertragt, der so programmiert ist, dass verdächtige Anzeichen sofort einen Alarm auslösen. Bislang hat Mali es geschafft, die Krankheit von seinem Territorium fernzuhalten.
Auch Frankreich hat seit Ende vergangener Woche vergleichbare Kontrollen auf dem Flughafen Charles de Gaulle-Roissy bei Paris eingeführt, allerdings vorerst gezielt nur für Flugpassagiere, die aus Guinea einreisen. Am Samstag musste ein Flugzeug kehrtmachen, weil ein Verdachtsfall gemeldet worden war, der sich aber nicht als Ebola-Erkrankung herausstellte. Für die Republik Guinea ist dies desaströs, weil nur ein einziger Linienflug zwischen Conakry und Paris verkehrt.
Zugleich hat Frankreich trotz erklärter Bedenken gegenüber dem Reiseverkehr mit Sierra Leona, Liberia und Guinea bislang keinen Abschiebestopp in diese Staaten verhängt. Am 27. August und am 19. September verbot allerdings ein Verwaltungsgericht in Nancy Abschiebungen nach Guinea, zumindest für die Dauer der Epidemie. Tatsächlich finden derzeit auch keine von Polizisten begleiteten Abschiebeflüge in die drei hauptsächlich betroffenen Staaten statt. Doch sofern dies über Drittstaaten möglich ist, werden Staatsangehörige dieser Länder weiterhin abgeschoben, insbesondere über Marokko. Mitte September dieses Jahres wurden vier Einreisende aus Sierra Leona in ein Flugzeug nach Casablanca gesetzt, obwohl sie gar nicht über Marokko eingereist waren. Anfang Oktober wurde ein über Casablanca eingereister Guineer dorthin zurückgeschickt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die marokkanischen Behörden diese Menschen in ihre Herkunftsländer weitergeschoben haben.

Welche negativen Folgen eine Isolation der betroffenen Länder und Afrikas generell haben kann, betonte der Internationale Währungsfonds (IWF). Am 11. Oktober warnte die IWF-Direktorin Christine Lagarde davor, »den Rest des Planeten von Afrika in seiner Gesamtheit zu verschrecken«, und forderte deswegen zu »äußerster Umsicht« im Umgang mit diesen Ländern auf. Dahinter stecken jedoch noch andere Befürchtungen, denn Lagarde fügte hinzu: »Die Geschäfte müssen weitergehen, die Ökonomien der anderen Länder müssen auch weiterhin agieren und Arbeitsplätze schaffen.«
Doch der IWF hat durch seine Auflagen für sogenannte Strukturanpassungsprogramme in den vergangenen 30 Jahren dazu beigetragen, dass Ebola sich so dramatisch ausbreiten konnte wie in den vergangen Monaten. Die Forderung nach Privatisierungen förderte etwa das land grabbing, das zu großflächigen Rodungen in Westafrika und zur Landflucht beitrug. Außerdem sorgte die Abholzung dafür, dass auch Städterinnen und Städter häufiger mit bush meat in Berührung kamen. Der Rückgang der Wälder brachte Flughunde und Affen näher an urbane Zonen; und der Proteinmangel infolge der sich verschlechternden Lebensbedingungen veranlasste viele Menschen, verstärkt das Fleisch dieser Wildtiere zu verzehren (Jungle World 30/2014). Viele Menschen wurden von ihrem früher bewirtschafteten Land vertrieben, weil transnationale Unternehmen dort Energiepflanzen für Agrosprit oder Nahrungsmittel für den ausländischen Markt anbauen. In Guinea waren in jüngerer Vergangenheit etwa US-amerikanische Unternehmen an der Initiative »Farm Land of Guinea« beteiligt, in Liberia die malaysische Firma Sime Darby, in Sierra Leone das Schweizer Unternehmen Addax.
Das Agieren solcher Institutionen und Unternehmen trug dazu bei, dass die Menschen in den betroffenen Ländern misstrauisch gegenüber ausländischen »Experten« und »Beratern« jeglicher Couleur geworden sind. Ebenso wie die Erfahrung, dass man vom jeweiligen Staat und seinen Eliten für das eigene Wohl wenig bis nichts zu erwarten hat. Viele Menschen vertrauen aus den genannten Gründen lieber auf die traditionelle Medizin. Was nicht immer eine schlechte Idee sein muss, wenn traditionelle Heilerinnen und Heiler die Wirkung vieler Pflanzen kennen – während die Medikamente der Pharmaindustrie, die auf den Märkten verkauft werden, ohnehin meist gefälscht sind und oft wirkungslos bleiben.
Einer Krankheit wie Ebola können Anhänger traditioneller Medizin jedoch nicht beikommen. Im August war es eine solche Heilerin und Kräuterspezialistin, die in Sokoma in Sierra Leone nahe der Grenze zu Guinea wirkte, die die Krankheit erst recht ausbreitete. Sie hatte behauptet, Ebola heilen zu können, und damit auch Menschen von weit her angezogen.
Es liegt nicht nur am tiefsitzenden Misstrauen gegenüber den eigenen Eliten und Fremden, sondern auch oft am Mangel von Informationen, wenn Dorfbevölkerungen nicht auf die Ratschläge von medizinischem Personal aus den Großstädten oder dem Ausland hören. In West Point etwa, einem extrem dicht besiedelten Armenviertel in Liberias Hauptstadt Monrovia mit 80 000 Einwohnern und 62 nachgewiesenen Ebola-Toten, halten sich hartnäckige Gerüchte: Menschen, die in die spezielle Behandlungszentren gebracht werden, würden dort ermordet. Die Angehörigen werden meist nicht unterrichtet, ob ihre Familienmitglieder auf dem Wege der Besserung oder verstorben sind. Viele Familien behalten deswegen ihre Kranken lieber zu Hause und verstecken sie vor behördlichem Zugriff. Unter diesen Umständen lässt sich jedoch die Ausbreitung der Krankheit nicht wirksam eindämmen.
Am 18. August hatte die liberianische Regierung angeordnet, das ganze Viertel West Point unter Quarantäne zu stellen und Ein- und Ausgänge zu verhindern (Jungle World 34/2014). Das dauerte zehn Tage, dann brachen heftige Unruhen aus, die zur Rücknahme der Maßnahme führten. Seitdem wird versucht, einzelne Familien unter Quarantäne zu halten, wenn Personen aus ihrer Mitte an Ebola gestorben sind. Das war insbesondere deshalb problematisch, weil behördlicherseits zunächst niemand dafür sorgte, dass die Menschen während der Quarantänen mit Nahrungsmitteln und sonstigem Bedarf versorgt werden. Allerdings versuchen inzwischen eine ganze Reihe von Stadtteilorganisationen und NGOs in Liberia in diesem Punkt Abhilfe zu schaffen und die betroffenen Familien täglich aufzusuchen. Und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen lieferte am Samstag Nahrungsmittel an 265 000 Personen in Sierra Leone.

Um eine Ausbreitung des Ebola-Virus über Grenzen hinweg zu vermeiden, wurde die Bewegungsfreiheit der Menschen vor allem in den Grenzgebieten der drei Länder eingeschränkt, regionale und internationale Flugverbindungen wurden eingestellt oder verringert. Das beeinträchtigt auch das lokale Wirtschaftsleben. Immerhin haben viele Menschen mit dem Verzehr von bush meat, das als mögliche Ansteckungsquelle identifiziert worden ist, aufgehört oder ihn verringert. Die Folgen der Ebola-Epidemie für das soziale und wirtschaftliche Leben der Region sind weiterhin dramatisch. Bereits Ende August war USA Today zufolge der Preis für einen Sack Reis aus lokaler Produktion in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, von 37 auf 45 US-Dollar gestiegen. Der Preis für einen Sack importierten Reis war sogar um 15 US-Dollar gestiegen. Seitdem liegen keine neuen verlässlichen Zahlen vor.
Am Freitag vergangener Woche warnte auch die Weltbank vor einer weiteren Verschärfung der Lage. »Manche Länder sind nur über den Schutz ihrer eigenen Grenzen besorgt«, monierte ihr Präsident Jim Yong Kim. Von den zugesagten 988 Millionen US-Dollar Finanzhilfen diverser Staaten an die UN trafen bis dato 377 Millionen ein, und der Soforthilfefonds »Trust Fund« ist bislang nur mit 100 000 US-Dollar anstelle der zusagten 20 Millionen gefüllt. »Wir sind dabei, die Schlacht gegen Ebola zu verlieren«, warnte Kim. Die Weltgesundheitsorganisation befürchtet, ab jetzt drohe sich die Zahl der Erkrankten monatlich zu verdoppeln, weil mangels wirksamer Eindämmung der Ebola-Infektion ein Schneeballeffekt bei der Ausbreitung entstehe.