Vergleiche von Kobanê mit der spanischen Republik zwischen 1936 und 1939

Spirit of ’36

Angesichts der Verteidigung Kobanês gegen den IS lebt in der radikalen Linken ein nahezu erloschenes Narrativ wieder auf – die Erinnerung an den Kampf um Madrid im Jahre 1936 und an Kataloniens »kurzen Sommer der Anarchie«.

Es liegt etwas in der Luft, etwas Beunruhigendes, Aufrührendes, sogar Berauschendes. Bilder und Meldungen der vergangenen Wochen haben diese Atmosphäre geschaffen: Die Rettung der Yeziden von Sinjar durch die Verbände der PKK/YPG, die bewaffneten Kurdinnen, die Belagerung Kobanês und zuletzt die türkischen Anarchisten der Gruppe Devrimci Anarşist Faaliyet, die, vor der schwarzen Anarchistenfahne posierend, von türkischen Soldaten an der syrischen Grenze daran gehindert werden, sich den Verteidigern der Stadt anzuschließen.
Die Nachrichten evozieren nahezu zwangsläufig Bilder und Ereignisse aus dem kollektiven Gedächtnis des wehrhaften Antifaschismus: Spanien, im Jahre 1936. Franco hat gegen die spanische Republik geputscht, die Millionenheere der anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaften haben zum Generalstreik gerufen und die Arbei­terinnen und Arbeiter bewaffnet, die Faschisten marschieren auf Madrid. Vor Robert Capas Kamera posieren dunkelhaarige Frauen im Kampfanzug mit geschulterten Karabinern. Ernest Hemingway besucht Interbrigadisten in Madrid. George Orwell schreibt aus Katalonien, während Plakate im neorealistischen Stil mit der Aufschrift »¡No Pasaran!« und die Chöre auf kratzigen Tonbandaufnahmen zu den Waffen rufen und auffordern, die Fahne der Revolution zu hissen.
Ein dreijähriger Bürgerkrieg zerreißt das Land. Hitler und Mussolini unterstützen offen Franco. Nur die Sowjetunion und Mexiko unterstützen die Republik, während die westlichen Demokratien, Spaniens direkte Nachbarn, sich nicht dazu durchringen können. Sie fürchten einen sowjetischen Satellitenstaat in Westeuropa und hindern ihre Bürger daran, sich dem Kampf gegen die faschistische Allianz anzuschließen – fast, so möchte man meinen, wie heute die Türkei.
Wo sich der linke Mainstream heute in den westlichen Demokratien noch aus antimilitaristischer Gewohnheit reflexartig gegen militärisches Intervenieren aufbäumt, heißt es schon »Ko­banê will never surrender!« auf dem Aufruf eines Demonstrationsbündnisses zum 11. Oktober in Düsseldorf. Unter der Aufschrift sieht man die Silhouette eines Kämpfers mit Kalaschnikow unterm roten Stern. »Unser Madrid heißt heute Kobanê!« proklamierte eine türkische MLKP schon am 1. Oktober in Anlehnung an den mit wenig emanzipatorisch anmutender Marschmusik untermalten »Lied der Internationalen Brigaden« von Ernst Busch.

Vieles ist ähnlich und doch alles ganz anders im heutigen syrisch-kurdisch-türkischen Szenario. Und doch gibt es genug Parallelen, um insbesondere bei etwas geschichtsbewussteren Linken den Spirit of ’36 zu wecken. Es fühlt sich fast so an, als hätte man angesichts des nun schon mehr als drei Jahre andauernden Blutvergießens in Syrien auf genau so etwas gewartet wie einen relevanten linken Akteur, auf den man sich irgendwie positiv beziehen kann. Wo hat es den je gegeben in der chaotischen Welt des Nahen Ostens?
Alle Kandidaten für diesen Posten sind bisher gescheitert. Die erste sogenannte Twitter-Revolution, die Grüne Bewegung im Iran, wusste selbst nicht so recht, was sie wollte, und wurde vor den Augen der Welt niedergeschlagen. Dann kam der »Arabische Frühling« 2011. Der war richtig kompliziert – sollte man am Ende die Muslimbrüder unterstützen oder doch die Säkularen, die schon begannen, erstere als religiöse Faschisten zu bezeichnen? Oder die Free Syrian Army, die einerseits – igitt – sich Unterstützung der USA und des Westens erhoffte und andererseits mit al-Qaida nahestehenden Gruppierungen kooperierte? Offenbar reichte das, um mehr als drei Jahre lang zu ignorieren, dass die Truppen von Bashar al-Assad nicht nur Giftgas einsetzten, sondern zigtausende Menschen abschlachteten, Millionen zur Flucht zwangen und ganze Städte in Ruinen verwandelten.
Hier liegt die Antwort auf die Frage, die Marco D’Eramo am 10. Oktober in der Taz aufwarf, nachdem er die europäischen IS-Kämpfer in die »gebrochene« Tradition der Freiwilligen der internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg gestellt hatte: Warum kämpfen die jungen Freiwilligen aus Europa heute »für Religion« statt für die »Menschheit«? D’Eramo ignoriert dabei, dass auch auf der Seite Francos eine faschistische Internationale kämpfte. Wie der Islamische Staat bezog sie ihre Attraktivität aus dem Versprechen der Erfüllung männlicher Allmachtsphantasien – die besseren Waffen, die konsequente Absage an den Humanismus, die Vernichtung des Gegners im unentrinnbaren Inferno von Guernica.
Heute kämpfen die PKK und ihr syrischer Ableger YPG mit der Kalaschnikow und ganz offensichtlich mit dem Heldenmut der Verteidiger Madrids, die oft ohne festes Schuhwerk im spanischen Winter in den Schützengräben ausharren mussten, während es um sie Bomben und Granaten hagelte. Mit der PKK hatten viele Linke in der Vergangenheit so ihre Probleme. Sie galt als stalinistisch, sinnbildlich stand dafür der skurrile Führerkult um ihren Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Doch auch dieses Bild ist im Wandel.

David Graeber hat am 8. Oktober 2014 im sonst alles andere als des Bellizismus verdächtigen Guardian die derzeitige politische Situation mit dem »kurzen Sommer der Anarchie« in Katalonien verglichen, als Anarchisten während des Bürgerkriegs begannen, ihren sozialrevolutionären Traum vom libertären Sozialismus zu verwirklichen. Er tut dies mit Verweis auf die von der PKK-Führung während des vergangenen Jahrzehnts vollzogene kommunitaristische Wende, mit der im Stil der zapatistischen EZLN dem Befreiungsnationalismus alter Schule eine Absage erteilt wurde.
Der »kurze Sommer« in Spanien wurde, was Graeber verschweigt, schnell beendet – nicht durch die Faschisten, sondern durch die Spanische KP und die ihr nahestehenden internationalen Brigaden. Nur zu gerne wird angesichts der neuen spanischen Leidenschaft in der Linken offenbar vergessen, dass die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs vor allem eine Tragödie gewaltigen Ausmaßes ist. Das antifaschistische Heldentum wird überschattet vom der »Verrat« der spanischen Kommunisten an der Revolution und der letztlich aussichtslosen Lage der Republik angesichts internationaler Isolation dar. Den Verteidigern der Republik fehlten vor allem moderne Waffen, ähnlich wie der PKK heute, und sie erhofften sich diesbezüglich Unterstützung aus den westlichen Demokratien. Waffenlieferungen für den Kampf gegen den IS wären durchaus begrüßenswert, denn von den Spendengeldern deutscher Linker kann sich die PKK/YPG nicht die Waffen kaufen, die sie braucht.
Es stellt sich aber auch die Frage, ob die PKK/YPG in der kurdischen Enklave in Nordsyrien nicht in einigen entscheidenden Aspekten doch eher der spanischen KP gleicht als den spanischen Anarchisten. So berichtet die kurdischen Menschenrechtsorganisation Kurdwatch von der systematischen und gewaltsamen Ausschaltung politischer Gegner in den von der PYD regierten Gebieten. Vor allem – hier hört die Analogie zu Spanien endgültig auf – kooperierte die PYD bislang mit dem eigentlichen Hauptkriegsverbrecher, dem Regime von Bashar al-Assad. Bei aller notwendigen Solidarität mit dem Kampf der PKK/YPD gegen den IS wäre es fatal, diesen Aspekt zu ignorieren. Hier können Linke agieren, solidarisch, empathisch, aber ohne idealisierend die Widersprüche an Ort und Stelle auszublenden.