»Blockflöten« und die Angst vor Rot-Rot-Grün

Mein Block

Nach 24 Jahren endet die Herrschaft der Blockflöten-Partei CDU in Thüringen. Nun fürchtet die Union um ihre Macht.
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Es kamen nur knapp 200 Menschen zum Apothekerbrunnen. Der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Ilmenau, Stefan Sandmann, hatte dort am Montag in der Straße des Friedens zu einer Demonstration geladen. Er wollte die Rot-Rot-Grün-Unterstützer bei SPD und Grünen »aufrütteln«, wie er sagte. In trauter Eintracht zündeten SPD- und CDU-Anhänger am »Denkmal für die Opfer der Diktatur 1945 bis 1989« Kerzen an. Ein Transparent mahnte: »Wer sich seiner Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Es half nichts. Der Mitgliederentscheid, der in der Nacht zu Dienstag endete, erbrachte ein eindeutiges Ergebnis: 69,93 Prozent der 4 300 Thüringer Sozialdemokraten votierten für Koalitionsverhandlungen zwischen Linkspartei, SPD und Grünen.
Rechts der SPD ist die Aufregung um eine mögliche Regierung unter einem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der »Linken« freilich größer. Unionspolitiker toben, Zeitungskommentatoren kriegen sich nicht mehr ein, wie etwa die Rheinische Post: »Ausgerechnet in Erfurt (...) soll Deutschlands älteste Partei den Steigbügel zum Aufstieg für jene halten, deren politische Vorgänger die längste Diktatur auf deutschem Boden zu verantworten hatten?« Also vielleicht nicht die schlimmste, aber immerhin die längste Diktatur! Auf jeden Fall: eine Diktatur mit Superlativ.

Aber wieso die Aufregung? Dieses Land hat schon viel gesehen: Bundeskanzler und Bundespräsidenten mit NSDAP- und SA-Biographie, aber auch einen militanten Autonomen, der Außenminister, und eine FDJ-Sekretärin, die Bundeskanzlerin wurde. Trotz allem – oder gar deshalb? – wähnt sich dieses Land und jeder einzelne Politiker grundsätzlich immer in der »Mitte« des politischen Spektrums. Wer »Mitte« ist, ist über jeden Verdacht erhaben.
Und da in der Mitte sitzen dann zum Beispiel bei Maybritt Illner in der Talkrunde Dietmar Bartsch von der Linkspartei und Bernd Lucke von der AfD und streiten sich, wer von ihnen dringender vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsste. Die Sendung nennt sich »Thüringer Wendehälse« und fragt, ob Politiker der Linkspartei heute eine Regierung anführen dürfen. Dass ein ehemaliges SED-Mitglied gerade die Talkshow moderiert, fällt dabei niemandem auf. Wozu auch? Die Erkenntnis ist sinnlos. Ebenso wie die Feststellung, dass die Partei »Die Linke« die Nachfolgepartei der SED ist. Jeder weiß schließlich auch, dass CDU und FDP die Blockparteien der DDR, die als Organe der SED angesehen werden können, einfach angeschlossen haben – und zwar ohne, dass eine nennenswerte Aufarbeitung von deren Verantwortung während der Super-Diktatur stattgefunden hätte.
Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) und die Ost-CDU wurden von der CDU einverleibt, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) von der FDP. Die FDP konnte so ihre Mitgliederzahl über Nacht verdreifachen – vorübergehend. Auch das Vermögen der LDPD versuchte die FDP zu übernehmen, musste sich nach einem langen Rechtsstreit am Ende aber mit zwei Grundstücken sowie Geldmitteln in Höhe von 2,4 Millionen Euro zufrieden geben. Angesichts der Verstrickung von CDU und FDP ins DDR-Unrechtsregime wundert es denn auch nicht, dass, wie eine von der Superillu in Auftrag gegebene Umfrage zeigte, auch 32 Prozent der CDU-Mitglieder im Osten den Begriff »Unrechtsstaat« für die DDR rundweg ablehnen.
Wer hätte denn Thüringen regiert, wenn es für eine CDU-FDP-Koalition gereicht hätte? Ministerpräsidentin wäre Christine Lieberknecht geblieben, seit 1981 durchgehend Mitglied einer Partei namens »CDU«, erst Ost, dann West. Sicherlich hätte der Thüringer Landesvorsitzende der FDP, Uwe Barth, einen Ministerposten bekommen. Auch Barth ist eine ehemalige »Blockflöte«, 1986 trat er in die LDPD ein. Zu seiner 24jährigen Parteimitgliedschaft – also LDPD und FDP zusammengezählt – überreichte ihm die Partei – also die FDP – einen Strauß Blumen. »Die 24 Jahre in der Thüringer FDP waren eine ereignisreiche und auch sehr erfolgreiche Zeit«, hieß es zusammenfassend auf Barths Homepage. Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Thüringer CDU wäre Egon Primas auch ein Kandidat für ein Ministeramt gewesen. Er war zwischen 1987 und 1990 Kreissekretär und Kreisgeschäftsführer der Ost-CDU in Nordhausen. Man könnte die Aufzählung noch lange fortsetzen. Bereits Lieberknechts Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, Dieter Althaus, war eine sogenannte Blockflöte – er trat 1981 in die Ost-CDU ein. So gesehen kann man sagen, dass, wenn es denn zu der anvisierten rot-rot-grünen Koalition kommt, mit dem aus dem Westen stammenden Bodo Ramelow erstmals seit 2003 wieder ein von der DDR-Geschichte unbelasteter Politiker das höchste Amt in Thüringen bekleiden wird. 24 Jahre lang hat die Blockflötenpartei CDU das Land regiert.

Dass die PDS beziehungsweise »Die Linke« Regierungsverantwortung übernimmt, ist eine alte Kamelle. Es gab bereits diverse Koalitionen mit der SPD. Die Wirtschaft jedenfalls kann nicht klagen. In Brandenburg, wo seit 2009 Rot-Rot regiert, läuft es gerade richtig gut für sie – und für den Staatshaushalt auch. Schulden werden abgebaut, Rekordüberschüsse erwirtschaftet. Die Zahl arbeits-loser Jugendlicher ist im Vergleich zum Vorjahr um 25,1 Prozent zurückgegangen. Nun kann das natürlich daran liegen, dass die Menschen schneller aus Brandenburg abhauen, als die Unternehmen folgen können – laut Arbeitsagentur bewerben sich immer weniger Jugendliche um Ausbildungsplätze –, aber die Konjunktur brummt im Land. Auch in Berlin hat Rot-Rot zwischen 2002 und 2011 vor allem die Stadt kapitalfreundlich umstrukturiert. Ein Großteil der dramatischen Mietpreissteigerung in Berlin geht auf die rot-rote Regierungszeit zurück. Das Handelsblatt schreibt resümierend: »SPD und PDS (später Linkspartei) schnitten so tief ins soziale Netz wie keine ihrer Vorgängerregierungen. Die Lernmittelfreiheit wurde außer für sozial schwache Familien gestrichen, die Kitagebühren erhöht, das Blindengeld gekürzt, die Berliner Symphoniker abgewickelt und die Hochschulen zu Einsparungen von 98 Millionen Euro bis 2006 gezwungen.«
Man sollte meinen, dass nur aus linker Sicht die rot-rot-grüne Perspektive Sorge bereiten muss. Doch vor allem die CDU sorgt sich, und zwar um ihre Macht, nachdem ihr quasi naturgegebener Koalitionspartner FDP sich gerade in Luft auflöst. Drum soll es noch eine Demonstration geben, am 9. November. Der CDU-Politiker und Unternehmer Clarsen Ratz ruft zu einer Kundgebung nach Erfurt: »Wir verwandeln den Domplatz in ein Lichtermeer – Gegen Rot-Rot-Grün«, lautet das etwas umständliche Motto. Die Thüringische Landeszeitung promotete seine Kampagne mit einem sympathisierenden Artikel, in dem es zur Linkspartei heißt: »Die Partei, so Ratz, sei aber nach wie vor durchsetzt mit ehemaligen Mitgliedern der SED.« Dass dies auch für seine eigene Partei, die CDU, gilt und dass die Zeitung, die dies zitiert, zu DDR-Zeiten das Parteiblatt der Blockpartei LDPD und damit Teil des Regimes war, stört bei dieser Art der Aufarbeitung nicht. Neben CDU-Politikern und AfD-Anhängern haben sich auf Facebook zu der Demo bereits jede Menge Nazi-Kader aus der NPD angemeldet, sowie Anhänger des Netzwerkes »Hooligans gegen Salafisten«. Die Rettung der Demokratie scheint also doch noch möglich. Es lebe die Mitte!