Obama nach den Midterm-Wahlen in den USA

Erbitterter Stillstand

Bei den Halbzeitwahlen in den USA erlitten die Demokraten eine Niederlage. Die Republikaner bieten außer ihrer Gegnerschaft zu Präsident Barack Obama allerdings kaum eine politische Alternative.

Das Wahlergebnis war, zumindest auf den ersten Blick, eindeutig. Die amerikanische Misere machte sich für die Republikaner bezahlt – auf einer Woge der Unzufriedenheit wurden bei den Midterm elections am 4. November konservative Kandidatinnen und Kandidaten aller Couleur ins Amt getragen. Einige von ihnen zählen zu den Shooting Stars der Republikanischen Partei. Die Konservativen feiern sich als Sieger, aber das ist womöglich verfrüht. Denn ein genauerer Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass die »konservative Welle« durchaus als Rinnsal enden könnte. Erstens haben die Republikaner keine Agenda, zweitens keinen inneren Zusammenhalt und drittens sitzt immer noch ein demokratischer Präsident im Weißen Haus.
Um Barack Obamas Veto außer Kraft setzen zu können, fehlen den Republikanern dann doch ein paar Sitze im Senat. Und das, obwohl sie zum ersten Mal seit sechs Jahren die Mehrheit im Senat haben und bereits seit den fünfziger Jahren nicht mehr so viele Sitze in beiden Kammern des Kongresses – Repräsentantenhaus und Senat – für sich beanspruchen konnten. Man muss anerkennen, welche Leistung das ist, für eine Partei, die nach dem für sie verheerenden Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren so gut wie totgesagt wurde. Erreicht haben die Republikaner ihren Wahlerfolg unter anderem damit, dass sie von Anfang an klargestellt haben, dass sie diese Wahl als ein Referendum über die Politik Obamas sehen. Der Präsident hat ihnen mit einer peinlichen Entgleisung bei dieser Darstellung sogar noch geholfen, als er öffentlich sagte, dass zwar nicht sein Name auf den Wahlzetteln stehe, aber seine Politik. Dieser Satz war wochenlang in Fernseh- und Radiowerbung der Republikaner zu hören, und es wurde für die teilweise gar nicht einmal so unbeliebten demokratischen Senatorinnen und Senatoren immer schwieriger, sich vom politisch mittlerweile toxischen Präsidenten zu lösen.

Dabei ist es durchaus üblich, dass wiedergewählte Präsidenten bei den Midterms eine Schlappe hinnehmen müssen, denn in den USA wählt man nur in zweiter Linie Parteien, in erster Linie stimmt man über Persönlichkeiten ab. Viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sind ihres ehemaligen Superstar-Präsidenten überdrüssig. Vor allem die republikanischen Stammwähler gingen wählen, Umfragen zufolge machten sie 75 Prozent der diesjährigen Wählerschaft aus. 39 Millionen Anhängerinnen und Anhänger der Demokraten, vor allem junge Frauen, Latinos und Schwarze, blieben einfach zu Hause. So deutet das Wahlergebnis auch auf ein Problem der Demokraten hin, wie der Kolumnist Harold Meyerson treffend erkannt hat. Denn die Umfragen besagen, dass das wesentliche Anliegen der Demokraten, soziale Gerechtigkeit, von den Wählerinnen und Wählern durchaus geteilt wird.
Andere Initiativen, die gleichzeitig zur Abstimmung kamen und die den demokratischen Wählern am Herzen liegen, haben bei der Wahl durchaus gut abgeschnitten. In Alaska, Oregon und der Regierungshauptstadt Washington wird Marihuana legalisiert. In den eher konservativen Staaten Arkansas, Nebraska und South Dakota wurde dafür gestimmt, den Mindestlohn anzuheben. Härtere Abtreibungsgesetze sind gescheitert. Auch die diffusen Ängste vor dem Bankensektor und der »Abzocke durch das System« hätten eigentlich die Wählerschaft in die Arme der Demokraten treiben müssen. Haben sie aber nicht, denn die Demokratische Partei hat in ihrer Kernaufgabe versagt: Trotz des wirtschaftlichen Wachstums – erstmals seit 2008 liegt die Arbeitslosenquote bei unter sechs Prozent – ist der Wohlstand nicht bei breiten Schichten angekommen.
Mit Ausnahme der linksgerichteten Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts, die das Gefühl vermittelt, für die einfachen Leute zu kämpfen, hatten die Demokraten keine überzeugenden Antworten auf die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit. Die Stammwähler sind enttäuscht und der Aufschwung lässt bei den meisten auf sich warten. Was ist geworden aus den kämpferischen Parolen der US-Linken? Jahrzehntelang war das Markenzeichen der Demokraten der Wille und die Fähigkeit, mehr Wohlstand für alle zu ermöglichen. Doch damit ist schon lange Schluss.

Seit Jahren versuchen die Republikaner, innovative Reformen wie zum Beispiel die Gesundheitsreform zu verhindern – oftmals mit Erfolg. Der Stillstand in Washington lässt besonders die Demokraten arm aussehen. Und für die Opposition reicht erstmal das Spiel mit der Angst. Der wahrscheinlich neue Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, der bald den Zenit seiner politischen Karriere erreicht haben dürfte, hat bereits sehr früh im Wahlkampf eine eindeutige Strategie vorgegeben. Er hat erkannt, dass die US-Regierung sich in den vergangenen Monaten nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Die Reaktion auf diverse außenpolitische Krisen – beispielsweise illegale Einwanderung, IS und Ebola – war bestenfalls chaotisch. Die Republikaner haben hier ganz bewusst den Hebel angesetzt und schnell gelernt: Angst zieht. So sagte der soeben ins Amt gewählte US-Senator Thom Tillis bei einer Debatte gegen seine Kontrahentin: »Meine Damen und Herren, wir haben einen Ebola-Ausbruch. Wir haben unlautere Gestalten, die über die Grenze kommen. Wir müssen die Grenzen versiegeln.« Derartige Rhetorik ist nichts Neues, noch in den fünfziger Jahren sprach der damalige US-Senator Patrick McCarran ganz ungeniert von der »Verseuchung«, die durch »verschmutzte Einwandererströme« drohe. Ganz so rassenhygienisch drückt man sich heute nicht mehr aus, aber die Botschaft war auch im diesjährigen Wahlkampf nicht minder fremdenfeindlich: Die USA würden von Ebola-verseuchten Terroristenhorden an der mexikanischen Grenze bedroht.
Außerdem profitierten die Republikaner von einer Garde disziplinierter und smarter Senats-Kandidaten, die sich ausnahmsweise einmal keine Entgleisungen geleistet haben. Es kandidierten dieses Jahr, zumindest bei den Senats-Wahlen, keine anrüchigen Randgestalten der Tea-Party, sondern vorwiegend Männer und vor allem Frauen der konservativen Mitte. Insgesamt sind seit dem 4. November über 100 Frauen in Regierungsverantwortung, ein historischer Rekord. In Utah wurde erstmals eine schwarze Republikanerin, Mia Love, in den Kongress gewählt. Doch sozusagen gleich nebenan, in den Hochburgen der Republikaner, wurde so einiges an Bodensatz von der Welle mitgetragen. So zum Beispiel Scott DesJarlais aus Tennessee, der dieses Jahr nach einem harten Wahlkampf wiedergewählt wurde. Der erzkonservative Republikaner und ehemalige Arzt ist strikt gegen Abtreibung, aber nicht, wenn er selbst betroffen ist. Die Zeitung Chattanooga Times Free Press berichtete, dass er vor seiner Politkarriere, als Stabschef des Grandview Medical Center in Jasper, Tennessee, mit vier weiblichen Angestellten und zwei Patientinnen Affären hatte. Eine seiner Patientinnen wurde schwanger, doch DesJarlais hatte sie, ganz entgegen seiner offiziellen Linie, zu einer Abtreibung überredet, vermutlich, um seine Ehe nicht zu gefährden. DesJarlais ist nur einer von mehreren Kongressabgeordneten, den »Bad Boys of Congress«, die eigentlich in ihrem Amt nichts verloren haben, die aber dennoch von der Anti-Obama-Stimmung profitiert haben.
Dabei werden die neu ins Amt gewählten Republikaner sicher schnell merken, dass es eine Sache ist, in der Opposition gegen das Establishment zu wettern, aber eine ganz andere, dann tatsächlich zu regieren. Ganz besonders für eine Partei, die ja eigentlich den Staat in seine Grenzen weisen will. So überrascht es nicht, dass es bei den neuen Gesetzgebern weder ein kohärentes Regierungsprogramm noch eine einheitliche Linie zu geben scheint. Der konservative Kommentator George Will schlägt vor, das Consumer Financial Protection Bureau (CFPB), das unter der Regierung Obama neu gegründete Verbraucherschutzamt für den Bankensektor, wieder abzuschaffen. Auch den Affordable Care Act, liebevoll »Obamacare« genannt, würde man gerne wieder loswerden, aber das wird der Präsident nicht mit sich machen lassen.
Und darüber hinaus? Mehr Lizenzen für die Ölförderung werden gefordert, und ein Endlager für Atommüll in Nevada. Das ist weder innovativ noch sexy. Das könnte schon bald zum Problem werden, denn für die Republikaner steht durchaus zu befürchten, dass so mancher vom rechten Flügel gar kein Interesse daran hat, Politik aktiv mitzugestalten. Für die drei erzkonservativen Senatoren Rand Paul, Marco Rubio und Ted Cruz, die allesamt mit dem Gedanken spielen, sich 2016 als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen, dürfte es beispielsweise in erster Linie darum gehen, sich selbst zu profilieren – und das tut man am besten, indem man zu »Washington« Nein sagt. Der erzkonservative Ted Cruz aus Texas hat bereits angekündigt, er wolle Obamacare abschaffen und das Finanzamt gleich mit. Kompromisse werde es mit ihm nicht geben. Und das, obwohl der voraussichtliche Mehrheitssprecher im Senat, Mitch McConnell aus Kentucky, von einer neuen Zusammenarbeit geredet hat, die er als seine »Pflicht« ansehe. Klingt gut, ist aber im Detail kaum machbar, denn bei zumindest zwei wesentlichen Kernthemen wird es gar keine Kompromisse geben können: Erstens bei der Amnestie für die sogenannten Dreamers, junge Einwanderer, die von ihren Eltern als Kind illegal in die USA gebracht wurden und die jetzt in einer rechtlichen Grauzone leben. Der »Dream-Act« soll ihnen die Staatsbürgerschaft ermöglichen, da wird es mit Obama keine Kompromisse geben. Er hat bereits angedroht, im Ernstfall auch ohne den Kongress eine Änderung im geltenden Einwanderungsrecht erwirken zu wollen. Doch das ist für die Republikaner ein »rotes Tuch«, wie McConnell zugegeben hat.
Zum anderen wäre da die längst überfällige Gesetzgebung zum Klimawandel, was genau wie die Einwanderung ein essentielles Anliegen für die meisten Wählerinnen und Wähler der Demokraten ist. Für die Konservativen kommt auch das vermutlich nicht in Frage. Hier müssen sich die Parteien in erster Linie zugunsten ihrer eigenen Wählerschaft kämpferisch geben, in der Sache wird man sich kaum näher kommen können. Wie auch? Schließlich sind die Republikaner in erster Linie deswegen ins Amt gewählt worden, weil sie versprochen haben, gegen Obama und seine Politik anzugehen. Da können sie jetzt schlecht mit ihm Kompromisse eingehen.

Der Präsident hat seinerseits halbherzig angekündigt, er freue sich darauf, mit den neuen Kollegen zusammenzuarbeiten. »Fangen wir an.« Doch auch er wird nicht zu größeren Zugeständnissen bereit sein. Einer tieferen Gewissensprüfung, so wie George W. Bush nach den für ihn verheerenden Kongresswahlen 2006, unterzieht er sich nicht. »Die Republikaner hatten eine gute Wahlnacht«, erklärte Obama bei einer Pressekonferenz trocken und lapidar, und spielte den Ball erstmal dem Gegner zu: »Ich warte darauf, dass die Republikaner ihre Regierungsagenda vorlegen.« Da kann er lange warten.
Gut möglich also, dass die nächsten zwei Jahre von Obamas Amtszeit in etwa so verlaufen wie die vergangenen vier – im Sand. Der Stillstand wird aller Wahrscheinlichkeit nach weitergehen. In den USA schaut man bereits wieder auf die nächste Wahl, die Präsidentschaftswahl 2016, dann geht die Casting-Show wieder von vorne los. Nur werden dann vermutlich auch wieder mehr Wählerinnen und Wähler der Demokraten abstimmen, was für die Republikaner zum Problem werden könnte. Von all dem Chaos kann eine nur profitieren: Hillary Clinton. Sie hat jetzt zwei Jahre Zeit, sich als Alternative zum Stillstand zu profilieren. Und wenn diese Wahl eines gezeigt hat, dann, dass die Wählerinnen und Wähler vor allem von »Washington« die Nase voll haben. Was auch immer das heißen mag.