Im Iran steigt die Zahl der Hinrichtungen

Im Todestrakt

Im Iran werden immer mehr Todesurteile vollstreckt. Der vermeintlichen außenpolitischen Öffnung folgt keineswegs eine Liberalisierung der Gesellschaft.

Die Hinrichtung der 26jährigen Reyhaneh Jabbari hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Menschen bestürzt. Des vorsätzlichen Mordes beschuldigt, wurde die Iranerin 2009 im Iran zum Tode verurteilt und am 25.Oktober 2014 hingerichtet. Bis kurz vor ihrem Tod hatten ihre Familie und Verteidiger sowie internationale Initiativen für eine Begnadigung beziehungsweise eine Neuaufnahme des Verfahrens gekämpft. Denn die Umstände von Jabbaris Verurteilung waren dubios, ihre Haftbedingungen unmenschlich. Sie hatte in Notwehr einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter erstochen, der sie vergewaltigen wollte. Ihr Geständnis wurde unter psychischer und körperlicher Folter erzwungen, Beweismittel zurückgehalten und Zeugen nicht zugelassen oder eingeschüchtert. »Das Drehbuch und das Szenario für Reyhaneh waren durch die Behörden von vornherein geschrieben«, unterstreicht Fariborz Jabbari die repressiven Züge der iranischen Justiz. Der Onkel von Reyhaneh lebt seit 35 Jahren im Exil in Berlin.

Doch der Fall Jabbaris ist nicht der einzige, der Zweifel an der Rechtstaatlichkeit des iranischen Regimes aufkommen lässt. Es gibt eine starke Zunahme an Verhängungen und Vollstreckungen von Todesurteilen – häufig unter massiver Verletzung rechtlicher Mindeststandards –, die den kompromisslosen Umgang des Regimes mit der iranischen Bevölkerung dokumentieren. Den 373 Hinrichtungen im Jahr 2013 stehen bis dato über 530 Vollstreckungen in diesem Jahr gegenüber. Hunderte Insassen warten gegenwärtig landesweit in Todeszellen auf ihr Schicksal. Viele der Geständnisse wurden einem neuen Bericht von Human Rights Watch zufolge erpresst und kamen unter Folter zustande. Darüber hinaus wurde vielen Todeskandidaten der Zugang zu Anwälten, Angehörigen und medizinischer Versorgung verweigert. Auch Reyhaneh Jabbari verbrachte 57 Tage in Einzelhaft, wurde durch Mitarbeiter des Geheimdienstes bedroht und von Gefängniswärtern gefoltert.
Verschärfend kommt hinzu, dass Todesurteile im Iran nicht nur für schwere Verbrechen wie beispielsweise Mord verhängt werden, sondern auch für gewaltfreie sowie politische Straftaten. Die meisten Urteile werden aufgrund von Drogenmissbrauch ausgesprochen. Doch finden sich auch Gotteslästerung (moharabeh), Verbreitung weltlicher Verderbnis (efsad-e fel arz) und Teilhabe am bewaffneten Aufstand (baghi) als weit auslegbare Tatbestände im Strafrechtskatalog wieder.

Auf den ersten Blick mögen diese Entwicklungen im Widerspruch zur vermeintlichen diplomatischen Charmeoffensive des iranischen Regimes seit dem Amtsantritt von Hassan Rohani 2013 stehen. Doch geht es zu weit, den außenpolitisch moderaten Kräften eine innenpolitische Initiative zur Reform zu unterstellen. »Präsident Rohani ist weit weniger flexibel als viele Beobachter annehmen. Er muss sich auch in der Führung gegen politische Kräfte durchsetzen, für die in der Außenpolitik noch viele alte Feindbilder existieren und denen der Wille zur politischen Öffnung nach Innen fehlt«, so Oliver Ernst von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dass außenpolitische Reformer durch Hardliner im Inneren unter Druck gesetzt werden, entspricht aber vielmehr westlichen Wunschprojektionen als der iranischen Realität.
Nach Innen muss die Zunahme von Todesurteilen durchaus als repressive und einschüchternde Nachricht des iranischen Regimes an die eigene Bevölkerung verstanden werden. Denn vor allem die Ahndung vermeintlich unpolitischer Straftaten wie Drogenmissbrauch wird mit Verweis auf die Durchsetzung islamischer Prinzipien im Innern gerechtfertigt. Die Deutungshoheit über diese Prinzipien liegt immer noch in den Händen der Theokraten – abweichendes Verhalten wird nicht akzeptiert.
Der staatlich organisierte Mord ist ein Preis, den die Bevölkerung im Iran für die internationalen Annäherungsversuche ihrer Regierung zahlen muss. Doch es existieren in dieser betrüblichen Konstellation auch Lichtblicke. Denn wie Jabbaris Onkel berichtete, musste die Hinrichtung seiner Nichte kurzerhand an einen geheimen Ort verlegt werden. Das Regime fürchtete Proteste und öffentlichen Aufruhr.