Korruptionsskandale in Spanien

Krise, Korruption und Kontrolle

Zwei neue Korruptionsfälle erschüttern Spanien. Auf den wachsenden Unmut antwortet die konservative Regierung mit Arroganz und Repression.

»Dies ist keine Krise, sondern eine Plünderung.« Dieser Spruch der spanischen Protestbewegung ist offenbar näher an der Realität als angenommen. Zwei Korruptionsskandale, in die erneut führende Vertreter der regierenden Volkspartei (PP) involviert sind, belegen eindrucksvoll, wie sich die politische und wirtschaftliche Führungsschicht Spaniens illegal bereichert, während jeden Tag Dutzende Wohnungengeräumt werden und Armut und Arbeitslosigkeit weiter zunehmen.
Zuerst war Anfang Oktober bekannt geworden, dass 86 leitende Angestellte der Sparkasse Caja Madrid über Jahre hinweg sogenannte schwarze Kreditkarten zur Verfügung hatten, mit denen sie sich ein schönes Leben machten. Die Vorstandsmitglieder finanzierten sich damit Abendessen, Urlaubsreisen und Luxusgüter im Wert von insgesamt 15 Millionen Euro. Das System, das in der offiziellen Buchhaltung nicht auftauchte, wurde noch bis 2012 fortgeführt, als sich das Land bereits tief in der Krise befand. Damit nicht genug: Die Caja Madrid, die nach ihrer Fusion mit weiteren Sparkassen 2010 zu Bankia wurde, war erst vor zwei Jahren im Zuge der Bankenrettung mit einem Zuschuss in Höhe von 18 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt worden. Zu dem auserwählten Kreis der Kreditkartenbesitzer gehörten nicht wenige bekannte Politiker. Einer von ihnen war Rodrigo Rato (PP), ehemaliger Wirtschaftsminister, von 2004 bis 2007 Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und im Anschluss bis 2012 Präsident der Caja Madrid.

Vor zwei Wochen tauchte Ratos Name in einem weiteren Korruptionsfall auf, einem der bisher größten Skandale in der spanischen Politik. Ende Oktober durchsuchte die Polizei in der »Operación Púnica« Dutzende Rathäuser, Firmensitze und Privatwohnungen und nahm 51 Politiker und Unternehmer fest. Darunter auch Rato sowie den ehemaligen Generalsekretär des Madrider PP, Francisco Granados. Sie sollen einem Schmiergeld­ring angehört haben, in den 250 Millionen Euro an Bestechungsgeld für öffentliche Bau- und Dienstleistungsverträge geflossen sind. Die jüngsten Vorfälle passen zu verschiedenen Korruptionsskandalen des PP in den vergangenen Jahren, bei denen Parteimitgliedern bis in die höchste Ebene Bestechung, Steuerhinterziehung und illegale Parteifinanzierung nachgewiesen werden konnte. Nun sah sich selbst Ministerpräsident Mariano Rajoy gezwungen, Stellung zu beziehen, und entschuldigte sich im Namen der Volkspartei dafür, »dass Personen Ämter übertragen wurden, die dieser nicht würdig waren«. Zugleich versuchte der Ministerpräsident, der selbst jahrelang Tausende Euro in Briefumschlägen aus dubiosen Schwarzgeldkonten in der Schweiz bekommen haben soll, das Problem zu verharmlosen, und betonte, dass Spanien kein korruptes Land sei. Dabei gibt es derzeit fast 1 700 laufende Korruptionsverfahren mit über 500 Beschuldigten. Eine Studie der Universität Las Palmas schätzt den jährlichen Schaden durch Korruption auf 40 Milliarden Euro – was dem Betrag entspricht, den Spanien von der EU zur Rettung seiner Banken bekommen hatte.
»Die unsichtbare Hand steckt im Geldbeutel der Bürger«, brachte die Wirtschaftsjournalistin Ana Tudela Flores den systematischen Zusammenhang von Krise und Korruption in Spanien auf den Punkt. Denn während seit Jahren die Zwänge des Marktes sowie die Austeritätspolitik der EU zur Rechtfertigung immer strikterer Sparmaßnahmen angeführt werden, bedient sich die spanische Oligarchie dreist am öffentlichen Geld. Der langsame wirtschaftliche Aufschwung, den Wirtschaftsinstitute ebenso wie Rajoy in letzter Zeit so gerne hervorheben, kommt wiederum nur dem Teil der Bevölkerung zugute, der von der Krise sowieso kaum betroffen ist. So hat die Anzahl spanischer Millionäre im vergangenen Jahr um 25 Prozent zugenommen, zugleich hat Spanien die zweithöchste Kinderarmutsrate in der EU und weist nach Litauen die höchste soziale Ungleichheit auf. Rajoy bezeichnet solche Kritik als »Pessimismus« und fordert, man solle stattdessen wieder »gut über Spanien reden«. Schließlich sei es »ein großartiges Land, mit einer der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt und einem unvergleichbaren Wohlfahrtssystem«, so der Regierungschef. Die 13 Millionen Spanierinnen und Spanier, die an und unter der Armutsgrenze leben, sehen das sicherlich anders.

Die Arroganz, die aus solchen Aussagen spricht, passt zu dem despotischen Regierungsstil des PP, mit dem die Partei ihre autoritäre Krisenpolitik durchsetzt und zunehmend auf demokratische Vorgehensweisen verzichtet. Strittige Entscheidungen werden immer häufiger per Dekret umgesetzt und Forderungen nach Referenden per Gerichtsbeschluss für verfassungswidrig erklärt, so jüngst in der Diskussion über die Unabhängigkeit Kataloniens sowie bei den Protesten gegen Erdölförderung vor den Kanarischen Inseln. Auf die anhaltenden Proteste der Bevölkerung wiederum wird mit Repression geantwortet. Vergangene Woche schickten die beiden großen Gewerkschaften UGT und CCOO zum wiederholten Male eine Beschwerde an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wegen der Kriminalisierung gewerkschaftlicher Aktivität. Immer häufiger müssen sich Streikende vor Gericht verantworten und sehen sich hohen Haftstrafen ausgesetzt. Ein Gesetz zur öffentlichen Ordnung, das derzeit im Parlament diskutiert wird, würde der Kriminalisierung der sozialen Proteste weiter Vorschub leisten. Unangemeldete Demonstrationen sollen mit bis zu 600 000 Euro Geldstrafe belegt werden können, allein der Aufruf im Internet soll unter Strafe stehen. Ebenso soll die Veröffentlichung von Bildmaterial, das Polizisten im Dienst zeigt, also die Dokumentation von Polizeigewalt, bis zu 30 000 Euro Strafe kosten. Das Gesetz würde über 20 neue Vergehen einführen, die offensichtlich auf die Protestbewegung zugeschnitten sind. Selbst Richtervereinigungen zweifeln die Verfassungsmäßigkeit an und Amnesty International hat eine Kampagne gegen die »Bedrohung der Menschenrechte« gestartet. Die Oppositionsparteien haben, nachdem ihre Anträge auf Rücknahme des ley mordaza (Knebelgesetz) gescheitert waren, nun über 150 Änderungsanträge eingereicht. Jedoch besitzt der PP die absolute Mehrheit im Parlament und kann letztlich machen, was er will.

Die Frage ist, wie lange noch. Denn die Volkspartei ist in Umfragewerten auf einem historischen Tief angelangt. Davon profitiert die erst im vergangenen Jahr gegründete linksalternative Partei Podemos, die den politischen Arm der Protestbewegung darstellt und bei den Europawahlen auf Anhieb acht Prozent erlangte. Eine aktuelle Umfrage des renommierten Instituts CIS, die noch vor den jüngsten Enthüllungen durchgeführt worden war, sieht Podemos mittlerweile gleichauf mit den beiden großen Parteien, dem sozialdemokratischen PSOE und dem rechtskonservativen PP. Ob die Protestpartei diese Unterstützung bis zu den Parlamentswahlen im kommenden Jahr halten kann, bleibt abzuwarten. Schon jetzt hat sie aber Erstaunliches erreicht, nämlich das seit Einführung der Demokratie etablierte Zweiparteiensystem in Spanien aufzubrechen. Langsam wittert auch die Volkspartei die Gefahr und fährt schwere Geschütze auf. Generalsekretärin María Dolores de Cospedal bezeichnete Podemos jüngst als »linksextremistisch« und als »sehr gefährlich für die Demokratie«. Eher sind es aber wohl der PP und seine alten Strukturen selbst, die sich von der Demokratie bedroht sehen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass Einheiten des spanischen Militärs derzeit in der Aufstandsbekämpfung ausgebildet werden.