Der NSU, sein Netzwerk und die Unterstützer

Mehr als eine Zelle

Auch drei Jahre nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) weiß man wenig über das Netzwerk seiner Unterstützer.

Am dritten Jahrestag der Selbsttötung der mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt benannten Jenaer Bürger symbolisch eine Straße nach Abdurrahim Özüdoğru um. Der 49 Jahre alte Özüdoğru wurde am 13. Juni 2001 in einer Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen, er war das zweite Opfer der rechtsextremen Mordserie. Während der Gedenkveranstaltung wurde ein Schild in der Ernst-Zielinski-Straße mit seinem Namen überklebt. In dieser Straße wohnte zeitweise die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe. »Wir wollen mit dieser Aktion weg von den Tätern, hin zu den Opfern und deren Angehörigen«, erklärte der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Mehr als drei Dutzend Menschen beteiligten sich.
»Drei Jahre warten die Opferangehörigen auf Antworten, warum ihr Vater, ihr Bruder, ihr Ehemann oder auch ihre Tochter sterben mussten«, mahnt die thüringische Innenexpertin der Linkspartei, Katharina König. Aus ihrer Sicht hat der »bisherige Prozessverlauf am Oberlandesgericht München gezeigt, dass die Aufklärung des Unterstützernetzwerkes des NSU eine viel zu geringe Rolle einnimmt«. Deshalb soll sich der Untersuchungsausschuss im neu gewählten Thüringer Landtag in dieser Legislaturperiode nicht nur mit dem skandalösen Agieren der Behörden bezüglich der NSU-Terrorzelle befassen, sondern auch das »Netzwerk jenseits vom Kerntrio noch stärker unter die Lupe« nehmen. Darauf haben sich die Fraktionen von Linkspartei, SPD und Grünen in den Koalitionsgesprächen geeinigt.

Die thüringische CDU reagiert auf dieses Ansinnen ablehnend. »Es liegen vom vergangenen Ausschuss genügend Erkenntnisse vor, die umgesetzt werden müssen«, gibt deren Innenexperte Wolfgang Fiedler zu bedenken. Außerdem dürften nicht die unzähligen weiteren Bedrohungen vergessen werden, wie zum Beispiel Islamisten oder Hooligans. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Dirk Adams, hält dagegen, dass man der »besonderen Verantwortung Thüringens bei der Entstehung und dem Erstarken des NSU auch weiterhin gerecht werden« müsse. »Die im Sommer vorgestellten Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur müssen nun in die Praxis umgesetzt werden, zum Beispiel durch eine Abkehr vom V-Mann-System«, so Adam.
Neben der Einrichtung eines neuen Untersuchungsausschusses plant die rot-rot-grüne Koalition die Einrichtung einer Enquete-Kommission, die sich »mit dem Rassismus in der Mitte unserer Gesellschaft« auseinandersetzen und Adam zufolge Konzepte entwickeln soll, um diesem konsequent entgegenzuwirken. Das sei man »den Opfern und ihren Angehörigen nach den grausamen Anschlägen und Morden des NSU« schuldig. Der Fraktionssprecher der Alternative für Deutschland (AfD), Lutz Klaus, bestätigt dagegen, dass in seiner Fraktion ein neuer Untersuchungsausschuss bisher kein Thema sei.

In Nordrhein-Westfalen wird nun nach langer Debatte ebenfalls ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Themenkomplex NSU eingesetzt. Zunächst forderten nur die Oppositionsparteien CDU, Linkspartei und Piratenpartei die Einsetzung eines solchen Ausschusses, die SPD und die Grünen hatten sich lange Zeit dagegen ausgesprochen. Doch nach der Annahme des Antrags wurde nun in einer gemeinsamen Mitteilung von einem »starken politischen Signal« gesprochen, welches verdeutliche, dass an der Aufklärung der NSU-Taten ein breites parlamentarisches Interesse bestehe.
Erste Kritik wurde laut, nachdem bekannt geworden war, dass ein ehemaliger Polizeibeamter aus Köln für die SPD im Untersuchungsausschuss sitzen soll. Antifaschisten kritisieren vor allem, dass er möglicherweise der damaligen Ermittlungsarbeit seiner ehemaligen Kollegen zu unkritisch gegenüberstehen könnte. Der Untersuchungsausschuss soll sich neben den drei Verbrechen, die der NSU nach bisherigen Erkenntnissen in Nordrhein-Westfalen begangen haben soll, mit weiteren Straftaten beschäftigen, die bisher nicht dem NSU zugeordnet werden können, wie dem Bombenanschlag auf einen Düsseldorfer ­S-Bahnhof vor 14 Jahren.

Im NSU-Prozess in München meldete sich Beate Zschäpe am dritten Jahrestag der Selbstmorde von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt überraschend krank. Der mit Spannung erwartete Auftritt des Zeugen Carsten Szczepanski, bekannt als V-Mann »Piato«, wurde somit kurzfristig abgesagt. Szczepanski gehörte zum Führungszirkel des internationalen Netzwerks »Blood & Honour«. Seit seinem Auffliegen als V-Mann vor 14 Jahren lebt er unter neuem Namen im Zeugenschutz. Seine Identität und Wohnort sind geheim. Der V-Mann soll nun zu einem späteren Termin vernommen werden.
Die Nebenklage will neben Szczepanski noch weitere Zeugen aus dem organisierten Neonazi-Milieu vorladen. Am Donnerstag voriger Woche ­beantragte sie deshalb die Vorladung von Marko Gottschalk, dem Sänger der Rechtsrockband ­Oidoxie, sowie Sebastian Seemann, V-Mann des Verfassungsschutzes und Mitglied von »Combat 18« aus Dortmund. Es soll überprüft werden, inwieweit die Dortmunder Neonaziszene bereits 1997 Kontakt zu einzelnen Angeklagten beziehungsweise zum NSU hatte. »Der Aufbau einer ›Combat 18‹-Zelle in Dortmund mit Zugang zu Waffen im Jahr 2006«, so Alexander Hoffmann und Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage im NSU-Verfahren, »ist ein Indiz dafür, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und militanten Neonazizellen in Dortmund gegeben hat, über die Informationen über Dortmund als möglichen Tatort des NSU geflossen sind.« Den beiden Rechtsanwälten zufolge ist nicht nachvollziehbar, wie die NSU-Mörder den Tatort in Dortmund, wo im April 2006 der Gemüsehändler Mehmet Kubaşik erschossen wurde, ausspionierten.
Marko Gottschalk gilt als eine der zentralen Figuren der Neonaziszene im Ruhrgebiet. Zusammen mit Seemann soll er eine terroristische Zelle nach dem Vorbild der Turner-Tagebücher aufgebaut haben. Diese zunächst aus mindestens sieben Personen bestehende »Combat 18«-­Gruppe soll sich Waffen aus Belgien besorgt und Schießübungen veranstaltet haben. Finanziert wurde die Organisation offenbar durch die Durchführung von Konzerten und Auftritte der Band Oidoxie. Nach dem Auffliegen des NSU im November 2011 wurde Seemann vom Dortmunder Staatsschutz befragt. In den Vernehmungen gab Seemann an, möglicherweise etwas über zwei Waffen des NSU zu wissen. Ob dieses Angebot vom Dortmunder Staatsschutz angenommen wurde, ist bislang unklar. Zumindest wurden über diesen Vorgang noch keine Akten gefunden.
Die Rechtsanwälte und Nebenklagevertreter Sebastian Scharmer und Sönke Hilbrans haben darüber hinaus die Beiziehung von Akten, die dem Bundestagsuntersuchungsausschuss vorlagen, gefordert. Die Auswertung der Kontakte von Thomas Starke, einem der wichtigen mutmaßlichen Unterstützer des NSU-Trios und V-Mann für das Berliner LKA, nach Dortmund könnten für die Aufklärung wichtig sein. In einer von Starke im Dortmunder Raum verschickten SMS hetzte er, dass es in Dortmund »zu viele Türken« gebe, und erhielt als Antwort, dass man dann wisse, wo das nächste Mal »aufgeräumt« werden müsse. »Es ist eines der wichtigsten Anliegen der Familie Kubasik aus Dortmund, herauszufinden, wer die Tat vor Ort geplant und bei ihrer Ausführung geholfen hat«, begründet Scharmer diesen Schritt.