Die Situation der von Flüchtlingen besetzten Schule in Kreuzberg

Schlafplätze gesucht

Vorerst wurde die Räumung der von Flüchtlingen besetzten Schule in Berlin gerichtlich untersagt. Zwei Hauptverhandlungen stehen aber noch aus.

Bei den antirassistisch Bewegten in Berlin sind die Kreuzberger Grünen spätestens seit der versuchten Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule im Sommer unten durch. Die Abneigung dürfte sich seither noch vertieft haben. Nachdem es zwischendurch schien, als sei der Konflikt um das seit 2012 von Flüchtlingen besetzte Gebäude in der Ohlauer Straße in Kreuzberg vorerst beigelegt, eskaliert die Lage wieder. Im Oktober forderte das Bezirks­amt die 45 offiziellen Bewohner per Aushang zum Auszug auf. Frist: 31. Oktober. Solange das Gebäude bewohnt sei, könne der Bezirk es nicht zu einem »internationalen Flüchtlingszentrum« umbauen, sagte Bezirkssprecher Sascha Langenbach. Der Bezirk biete ihnen für vier Wochen Hostel-Gutscheine an. Dort könnten sie dann »über ihre nächsten Schritte nachdenken«.

So viel Bedenkzeit brauchten die Flüchtlinge nicht. »Wir bleiben«, ließen sie wissen. Im Juli hatte sich einige von ihnen tagelang auf dem Dach der Schule verbarrikadiert und für den Fall der Räumung mit Suizid gedroht. Einer der größten Polizeieinsätze, die Kreuzberg je gesehen hatte, war die Folge. Letztlich war dem Bezirk die Räumung dann doch zu riskant geworden.
Nun sollen die Flüchtlinge also wieder raus. Der Bezirk gab sich großzügig. Man werde »nicht schon um 00.01 Uhr« die Polizei rufen, erklärte ein Sprecher. Gleichzeitig verriet Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), was die meisten der Schulbesetzer von ihr noch zu erwarten hätten: nichts. Rund 30 von ihnen könnten keinen Aufenthaltstitel in Berlin bekommen, weil ihre Asylverfahren in anderen Bundesländern liefen oder sie bereits eine Duldung in Italien besäßen. Sie hätten nun zwei Möglichkeiten, sagte Herrmann, entweder kehrten sie in die Bundesländer bzw. nach Italien zurück, oder sie bemühten sich um private Unterkünfte in Berlin. Wer von den Unterstützern den Flüchtlingen helfen wolle, solle sie »in seine Wohnung aufnehmen«.
In dem »internationalen Flüchtlingszentrum« will der Bezirk neben Wohneinheiten auch Projekte für Flüchtlingsberatung, Beschäftigung und medizinische Erstversorgung ansiedeln. Die Verantwortung schob Herrmann dem vorgesehenen künftigen Träger des Projekts zu, der Diakonie. Diese wolle den Umbau nur beginnen, wenn die Schule nicht mehr bewohnt sei. Die Diakonie machte in den vergangenen Wochen schon mal Bekanntschaft mit der autonomen Szene. Ein Büro wurde mit Farbbeuteln beworfen, Mitarbeiter bekamen nach eigenen Angaben Drohbriefe und -anrufe. Der Verband wies jede Verantwortung zurück: »Eine mögliche Räumung der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule ist einzig und allein Sache des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Wir sind nicht an einer Räumung beteiligt«, sagt die Direktorin Barbara Eschen. Gleichwohl bestätigte die Diakonie, dass die beauftragten Architekten und Planer einen Umbau nicht für durchführbar halten, so lange Menschen in der Schule wohnen.

Die Flüchtlinge suchten ihr Heil derweil vor Gericht – und hatten vorerst Erfolg. Kurz nachdem die Frist für den Auszug verstrichen war, gingen zwei Prozesse, die Bewohner der Schule gegen den Bezirk angestrengt hatten, zu ihren Gunsten aus. Der Bezirk habe dem Kläger den Verbleib in dem Gebäude im Einigungspapier vom Juli 2014 eingeräumt, befanden die Richter und untersagten per einstweiliger Verfügung eine Räumung. Der Bezirk hatte versucht, die Vereinbarung nachträglich für unwirksam zu erklären. Der Einigungsvertrag sei in einer Notsituation zustande gekommen, sagte die grüne Finanzstadträtin Jana Borkamp. Die Zugeständnisse seien nur gemacht worden, um die schwierige Situation zu beenden. Die Richterin interessierte das nicht. Die Unterschrift in dem Einigungspapier sei wirksam, vor allem weil das Bezirksamt die Besetzung monatelang geduldet habe. Beide Hauptverhandlungen stehen jedoch noch aus.
Flüchtlinge und Unterstützer bereiten sich deshalb auf den »Tag X« vor, wie es das »Bündnis Zwangsräumung Verhindern« nennt. Auch ein Bündnis aus Künstlern, Theatern und Flüchtlingsorganisationen ist beteiligt. »Wir schauen hin, wenn die Berliner Politik selbst entworfene Projekte wie das geplante International Refugee Center in der Ohlauer Straße verhindert«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. »Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn sie Menschen in die Obdachlosigkeit zwingt und ihre Würde verletzt.« Am Wochenende hatten die Flüchtlinge eine »Refugee Conference« im Kreuzberger Mehring­hof abgehalten. Gruppen aus ganz Deutschland waren gekommen, um Widerstandsaktionen abzustimmen, auch die Ohlauer Straße stand auf der Tagesordnung. Am Dienstag luden »Externe Supporter_innen« zur Lagebesprechung in die Emmauskirche. »Durch das Gerichtsurteil haben wir Zeit gewonnen, unseren flüchtlingspolitischen Protest und die Umsetzung unseres selbstverwalteten Internationalen Flüchtlingszentrums nach vorne zu bringen«, heißt es im Aufruf. Die Unterstützer erbost, wie wenig sich Bezirk und Senat für ihre Zugeständnisse interessieren. Ähnlich wie bei der Vereinbarung mit den Besetzern des Oranienplatzes ist von den Versprechungen, die Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) den Schulbewohnern Anfang Juli gegeben hat, nicht viel übrig geblieben. Die Unterstützer kommen zu dem Ergebnis, dass von zehn Punkten nur der Einbau von Toiletten erfüllt worden sei. Dass der Umbau nur laufen soll, wenn die Flüchtlinge vorher gehen, sei ebenfalls anders vereinbart ­gewesen. So interpretieren wenigstens die Flüchtlinge den Deal.

Die Unterstützer sind derzeit damit beschäftigt, in Privatwohnungen Schlafplätze für die Flüchtlinge aufzutreiben, die der Senat aus den Unterkünften geworfen hat. Eine Räumung der Schule würde die Lage noch schlimmer machen. Ende Oktober mussten 85 Flüchtlinge vom Oranienplatz ihre Zimmern in vier Flüchtlingsheimen verlassen. Die ihnen versprochenen Einzelfallprüfungen seien »abgeschlossen und negativ für Berlin beschieden worden«, erklärte der Senat. Die Betroffenen erfuhren dies 24 Stunden zuvor durch kursierende Namenslisten. Trotz einbrechender Kälte und Mittellosigkeit bekamen sie keine andere Möglichkeit, nach Notunterkünften zu suchen. Die Integrationsbeauftragte des Senats, Monika Lüke, sagte, sie habe »Indizien«, dass noch nicht alle Verfahren der Betroffenen abgeschlossen und unter ihnen auch Kranke gewesen seien. Tatsächlich sah sich die Caritas gezwungen zu intervenieren, damit zehn kranke Flüchtlinge anderweitig unterkommen. Bereits Ende August waren 108 von der Einigung betroffene Asylsuchenden aufgefordert worden, die Stadt zu verlassen. Die Wohlfahrtsverbände befürchten, dass sich im Winter der Druck auf die Obdachlosenunterkünfte durch die vielen Flüchtlinge in Berlin weiter erhöht.