Der Friedensprozess in Kolumbien

General auf Abwegen

In Kolumbien wurde ein General von der Guerilla Farc offenbar entführt. Das löste eine Debatte über einen nötigen Waffenstillstand für den Fortgang der Friedensverhandlungen aus.

Las Mercedes heißt der kleine kolumbianische Ort, der nur 20 Minuten Fahrtzeit von Quibdó entfernt ist, der Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Chocó. Dort im Regenwaldgebiet sind die wichtigsten Verkehrsadern die Wasserwege. Dazu zählt auch der Río Atrato, auf dem Brigadegeneral Ru­bén Dario Alzate am 16. November unterwegs war – in Zivil und nur begleitet von einem Bootsmann und seinen beiden Vertrauten, dem Hauptmann Jorge Rodríguez und der Militäranwältin Gloria Alcira Urrego Pava. Sie koordiniert gemeinsam mit dem 55jährigen General die Sozialprojekte der kolumbianischen Armee in der Region. Der Armee zufolge war die Gruppe unterwegs, um ein Energieprojekt in direkter Umgebung von Las Mercedes zu inspizieren. Nur 200 Einwohnerinnen und Einwohner, die von Fischfang, Landwirtschaft und etwas Bergbau leben, hat das Dorf. Niemand habe den General erkannt, aber die Leute hätten sehr wohl beobachtet, wie er und seine Begleiter sich mit drei Zivilisten trafen und im Regenwald verschwanden, berichtet die kolumbianische Tageszeitung El Espectador.

Seit Januar befehligt General Alzate die Spezial­einheit »Fuerza de Tarea Titán« zur Bekämpfung der Guerilla im armen Chocó und im wirtschaftlich bedeutenden Antioquia. In beiden Verwaltungsbezirken sind die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) aktiv, die Region um Las Mercedes gilt als Hochrisikozone und ist auf den Armeekarten tiefrot markiert. »Warum der General ohne Leibwächter, ohne seine Einheit und ohne die Armeeführung oder das Verteidigungsministerium zu informieren in der unübersichtlichen Dschungelregion unterwegs war, fragt sich nicht nur Präsident Juan Manuel Santos, sondern das ganze Land«, sagt der Menschenrechtler Abilio Peña. Der General habe sich quasi der in der Region operierenden 34. Front der Farc auf dem Silbertablett präsentiert. Diese entführte Alzate, ihren »militärischen Gegner«, wie es im Communiqué der 34. Front heißt. Immerhin ist sie dazu bereit, ihn wieder auszuliefern, um die Friedensverhandlungen zwischen der Farc-Führung und kolumbianischen Regierungsvertretern in Havanna nicht weiter zu gefährden.
Die aufgrund der Vermittlung von Kuba und Norwegen zügig vereinbarte Übergabe des Generals, seiner beiden Begleiter und zwei weiterer Soldaten, die in einer anderen Region von der Farc gefangen wurden, sollte Anfang dieser Woche stattfinden, wurde jedoch durch eine verstärkte militärische Präsenz verzögert. Nach der Übergabe wäre der Weg für die Fortsetzung der Verhandlungen in Havanna wieder frei, wo sich einiges getan habe, so Peña. Der Theologe und Menschenrechtler arbeitet für die kirchliche Kommission Justiz und Frieden, die auch in Chocó aktiv ist, und begrüßt die Tatsache, dass in Kolumbien nun eine breite Debatte in Gang gekommen ist. In deren Zentrum steht die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, um die Friedensverhandlungen in Havanna nicht zu gefährden. Die einstweilige Aussetzung der Gespräche ließ viele in Kolumbien befürchten, die weit fortgeschrittenen Verhandlungen zwischen den Farc und der Regierung könnten doch noch scheitern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Armee Frieden und die damit verbundene Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gerade herbeisehnt, zudem gibt es auch einige Fronten der Farc, darunter die 34., die tief in den Drogenhandel verstrickt sind.

Zudem kursieren Spekulationen, dass Alzate sich ganz bewusst unbewaffnet in die Höhle des Löwen begeben habe, um den Friedensprozess zu torpedieren. Dem ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, der das Lager der Friedensgegner anführt und es kategorisch ablehnt, mit »Terroristen« – gemeint sind die Farc – zu verhandeln, würde das entgegenkommen. Ungewöhnlich ist aber auch, dass der General und seine Begleiter Einwohnern von Las Mercedes zufolge lange in der Kirche des Ortes mit mehreren Männern gesprochen hätten und dann gemeinsam im Dschungel verschwunden seien. Warum? Nach einer gewaltsamen Gefangennahme, die Präsident Santos in seiner Erklärung zur Aussetzung der Friedensgespräche anprangerte, klingt das nicht. Santos, der einen Waffenstillstand zwischen den Farc und der Armee seit Beginn der Verhandlungen kategorisch ablehnt, sieht sich einer breiten Bewegung gegenüber, die genau diesen einfordert, um den Friedensprozess nicht zu gefährden.
Die Verhandlungen sind in vielen Punkten, wie der Landfrage, dem Schutz der Opfer und dem Drogenhandel, in den vergangenen Monaten vorangekommen. Der französische Soziologe und Philosoph Régis Bar, der für das Internetportal »Palabras al Margen« schreibt, sieht in der derzeitigen Krise der Friedensverhandlungen auch eine Chance, um politisch voranzukommen. Ein Waffenstillstand, für den viele soziale Organi­sationen eintreten, wäre ein solcher politischer Fortschritt und zugleich ein Dämpfer für das erzkonservative Lager um Uribe Vélez. Von Frieden ist Kolumbien nämlich noch weit entfernt. Zahlen des Verteidigungsministeriums über die Opfer des bewaffneten Konflikts zufolge hat die Armee seit Beginn der Verhandlungen in Havanna im November 2012 bei Kampfhandlungen 545 Rebellen getötet und 4 670 Guerilleros gefangengenommen. Im gleichen Zeitraum wurden 561 Militärangehörige und Polizisten von der Guerilla getötet und 3 973 verletzt. Selbst die einseitige Waffenruhe, die die Farc vergangenes Jahr zu Weihnachten für zwei Monate ausriefen, blieb von Santos unbeantwortet. Das könnte sich dieses Jahr ändern. Ob der General daran einen Anteil haben wird, muss sich noch zeigen.