I have a nightmare

Die Angewohnheit, seine Körperfunktionen und die Nahrungsaufnahme zu messen, die Daten ins Internet zu stellen und darüber mit Gleichgesinnten zu diskutieren, könnte ein harmloses Hobby sein, für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Wahrnehmungsdefiziten ist sie sogar nützlich. Aber Eiferer geben sich nicht damit zufrieden, still und bescheiden gemäß ihren verschrobenen Ideen zu leben. Sie verspüren den unbezähmbaren Drang zu missionieren, und da sie von den Erkenntnissen kritischer Gesellschaftswissenschaft nichts wissen wollen, huldigen sie der Esoterik. In der »Quantified Self«-Bewegung fordert Josh Berson, »soziale Verantwortung« zu übernehmen, und er fabuliert von »kollektiven Träumen«. So hätten viele Kantu in Borneo geträumt, ihr Reis sei verschwunden und dann vergammelt unter einer Kautschukpflanze wieder aufgetaucht – eine Warnung vor den Gefahren der Abkehr von der Subsistenzproduktion. »Die Traumgeschichte wurde von denen verbreitet, die die ersten Gummipflanzungen anlegten, damit sie ihre eigenen Pflanzungen schneller entwickeln konnten«, erzählte zwar ein Ältester der Kantu dem Ethnologen Michael Dove. Aber wer braucht schon die Wirklichkeit?
Wenn sich die Selbstüberwacher ökoromantischen Unfug widerspruchslos anhören, könnte das auch als harmloses Hobby gelten, müsste man nicht befürchten, dass mit ihrer Hilfe ein Weltbild geformt wird, das allen anderen aufgezwungen wird. »Gesünder essen, mehr Sport machen, besser leben. Wer möchte das nicht?« fragt Anne-Christin Grögers in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die Absicht der Versicherung Generali, Kunden zu belohnen, die ihren Lebensstil elektronisch überwachen lassen. Man möchte zurückfragen: Ja, was denn nun? Gesünder essen und mehr Sport machen oder besser leben? Das Perfide am neuen Gesundheitswahn ist, dass man ihn freudig als »besseres Leben« bejahen soll. Widerspruch ist nicht vorgesehen, wenn sich jemand nicht brav abstrampelt und kasteit, gilt das als Bequemlichkeit, die überwunden werden muss. Dafür gibt es in diversen Ländern bereits Rabatte und Belohnungen – als solche gilt jedenfalls ein Preisnachlass im Fitnessstudio – von der Versicherung, Generali will dieses System nun auch in Deutschland einführen. Wenn die einen weniger zahlen, müssen die anderen mehr zahlen. Schon bald könnte es ein unerschwinglicher Luxus sein, auf dem Sofa zu sitzen und Chips zu knabbern. Auch die Teilhabe an der elektronischen Selbstüberwachung könnte so selbstverständlich werden wie die Meldepflicht. Schade, dass die kollektiven Träume nur ein Hirngespinst sind. Wenn wir alle von der Zukunftswelt der rundumüberwachten Fitnesszombies träumten, gäbe es vielleicht ein paar Menschen mehr, die den Kampf für das Burgerrecht aufnehmen würden.