Jason Collins, der erste offen schwulen Basketballprofi in den USA

Pragmatischer Basketballer

Mit Jason Collins beendet der erste offen schwule NBA-Profi seine Karriere. Seinem Beispiel zu folgen und sich zu outen, hat allerdings noch niemand gewagt.

Rein statistisch betrachtet war die Basketball-Karriere von Jason Collins nicht beeindruckend: Durchschnittlich 3,6 Punkte, 3,7 Re­bounds, 0,5 Blocks und 41 Prozent Trefferquote pro Spiel sind für einen Center niedrige Zahlen. Und reichten doch für 13 Jahre in der NBA, denn Collins’ Stärken lagen in Fähigkeiten, die nicht in den Statistikzetteln erfasst werden, wie beispielsweise in der präzisen Umsetzung von Traineranweisungen sowie der Verhinderung von gegnerischen Chancen.
Mit Jason Collins beendet nun der erste offen schwule Profi nicht nur der NBA, sondern gleich der vier wichtigsten Sportligen der USA seine Karriere – bis zu seinem Outing hatte es noch kein Profi gewagt, öffentlich darüber zu sprechen, dass er schwul ist.
Collins hatte dazu einen eher ungewöhnlichen Weg gewählt und nicht etwa einem Journalisten seines Vertrauens ein Interview gegeben, sondern Ende April 2013 selbst einen Artikel geschrieben, und das dazu noch in Sports Illustrated, einer der größten Sportzeitschriften des Landes. Die Reaktionen waren überwältigend: Am Tag des Erscheinens riefen 3,7 Millionen User die Website des Blattes auf, mehr als bei der bisherigen Rekordausgabe im Februar 2010, in der die Olympischen Winterspiele und die sogenannte Swimsuit-Edition, also, grob gesagt, Frauen in Badeanzügen, Thema waren. Prominente von Kobe Bryant bis hin zu Barack und Michelle Obama boten dem Spieler Unterstützung an.
Dabei war Collins zu diesem Zeitpunkt streng genommen gar kein NBA-Player mehr, denn die Saison war bereits zu Ende und sein Vertrag bei den Washington Wizards lief zwei Monate später aus. Obwohl der damals 34jährige erklärte, einen neuen Vertrag mit einem NBA-Team anzustreben, wurde er nicht einmal mehr zu einem Trainingslager eingeladen, sondern musste sich zu Hause fit halten, in der Hoffnung, dass es doch noch eine Chance geben würde. Die gab es erst am 23. Februar dieses Jahres. Collins unterschrieb einen Zehn-Tages-Vertrag bei seinem ersten Team, den inzwischen in Brooklyn spielenden New Jersey Nets. Der Trainer des Vereins, Jason Kidd – Collins zufolge ein guter Freund, seit beide gemeinsam von 2001 bis 2008 bei den Nets spielten – hatte sich sehr für eine Verpflichtung eingesetzt. »Jasons Sexualität ändert nichts an der Tatsache, dass er ein großartiger Freund ist und ein großartiger Teamkollege war«, hatte Kidd unmittelbar nach Collins’ Outing getwittert. Noch am Abend der Vertragsunterzeichnung spielte der neue Center gegen die Los Angeles Lakers, insgesamt elf Minuten lang – ohne Punkte zu erzielen, aber solide in der Verteidigung –, und wurde damit der erste öffentlich bekannte schwule Spieler, der auch wirklich ein Match bestritt. Sein Vertrag wurde kurz darauf noch einmal um zehn Tage verlängert, bevor er dann einen Kontrakt bis Saisonende unterschrieb.
Und nun sei endgültig Schluss, schrieb Collins vorige Woche in Sports Illustrated, er sei glücklich, diesen wichtigen Schritt gegangen zu sein. Die Unterstützung durch Fans, Trainer, Spieler und die Liga sei überwältigend gewesen. Zwei Erlebnisse hob er als besonders bewegend hervor, nämlich die standing ovations, mit denen er bei seinem ersten Spiel für die Nets nach dem Outing begrüßt wurde, und ein Treffen mit der Familie von Matthew Shepard, einem schwulen College-Studenten, der 1998 totgeschlagen worden war.
Um an ihn zu erinnern, hatte Collins darum gebeten, die Nummer 98 auf seinem Jersey tragen zu dürfen – das Shirt wurde im NBA-Store umgehend zum Topseller, dazu versteigerte der Profi seine getragenen Trikots regelmäßig, um mit dem Erlös zwei Gay-Rights-Communities zu unterstützen.
Falls Collins aber gehofft hatte, dass sein Outing anderen schwulen Spielern in NBA, NFL, NHL oder der Major League Baseball Mut geben würde, so dürfte er mittlerweile enttäuscht sein. Mit Michael Sam wagte zwar dieses Jahr ein American-Football-Athlet ebenfalls ein Outing, aber der Defensive End hat es nie zu einem Ligaspiel gebracht und ist mittlerweile nach einem kurzen Engagement bei den Dallas Cowboys wieder ohne Verein. »Es gibt immer noch keine offen schwulen Spieler in den vier großen Ligen«, schrieb Collins vergangene Woche, »aber man kann mir glauben: Sie existieren. Und zwar in jedem Profisport. Manche kenne ich sogar persönlich.« Es müsse endlich erreicht werden, dass schwule Sportler nicht länger »in Angst leben müssen, von Teamkollegen oder Boulevardzeitungen gemieden zu werden, dass ihre Lebensgefährten während der Spiele in den Family Rooms der Teams sein können und dass sie einfach ein authentisches Leben führen können, ohne sich verstecken zu müssen«. So weit sei es aber noch nicht.
Collins selbst hatte jahrelang über ein Outing nachgedacht, wie er 2013 in seinem Artikel beschrieben hatte. Den Ausschlag habe schließlich das Attentat während des Boston-Marathons gegeben. »Alles kann sich so schnell ändern«, habe er damals gedacht, warum also nicht ehrlich sein?
Die Reaktionen von Familienangehörigen und Freunden, denen gegenüber er sich zuerst outete, seien äußerst positiv gewesen. Eine Tante habe einfach nur gesagt, dass sie nicht überrascht sei, sie habe schließlich immer gewusst, dass er schwul sei, »ich dagegen habe mir lange eingeredet, dass der Himmel rot sei«. Lediglich seine Oma habe Vorbehalte gegen seine Outing-Pläne gehabt, berichtete Collins weiter. »Sie ist in Lousiana aufgewachsen und hat den Horror der Segregation miterlebt. In den Zeiten der Bürgerrechtsbewegung sah sie sowohl großen Mut und große Tapferkeit als auch die hässlichsten menschlichen Eigenschaften und hat nun Angst, dass ich Vorurteilen und Hass ausgesetzt sein könnte.«
Und Collins selbst war wohl hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ein Beispiel für andere zu sein, und der Rücksichtnahme auf Familie und Arbeitgeber. Sein Privatleben dürfe ihn nicht ablenken, habe er gedacht, und so sei erst nach einer Aussperrung der Spieler in der NBA die Idee entstanden, sich vielleicht doch noch während seiner aktiven Zeit zu outen. Er sei ein Gewohnheitsmensch, die erzwungene Pause sei in diesem Punkt wichtig gewesen, weil er ohne Spielstress zum Nachdenken gekommen sei.
Collins beschrieb weiter, wie er lange versucht habe, ein Leben zu führen, von dem er dachte, dass es von ihm erwartet werde. Acht Jahre lang war er mit der Basketballspielerin Carolyn Moos zusammen, bevor er 2009 die geplante Hochzeit absagte. Sie sei erst kurz vor dem Outing darüber informiert worden, dass ihr ehemaliger Verlobter schwul sei, sagte Moos gegenüber einer Zeitung. Das sei überraschend gewesen und sie müsse es auch immer noch verarbeiten, »aber er ist ein großartiger Mensch, mit dem ich wunderbare Momente geteilt habe. Ich möchte, dass er glücklich ist.«
In seinem Outing-Artikel hatte Collins geschrieben, dass er nicht wisse, was ihn erwarte, »Ich bin Pragmatiker, ich hoffe auf das Beste, aber plane für das Schlimmste.« Ob ihm Hass oder Ablehnung auf dem Spielfeld oder in den Umkleidekabinen entgegenschlugen, hat er nie erwähnt, die öffentlichen Reaktionen waren allerdings bis zum Schluss positiv. Michelle Obama bedankte sich beispielsweise via Twitter vorige Woche bei Collins für sein Engagement und bedauerte seinen Rücktritt.