Der Kampf der Kurden und Schiiten gegen den IS im Nordirak

Befreier sind nicht willkommen

Kurdische und schiitische Einheiten drängen den »Islamischen Staat« in einigen Gebieten des Nordirak zurück. Doch die dortige sunnitische Bevölkerung fürchtet den Einfluss des Verbündeten Iran.

In kurdischen Medien wurde die Nachricht gebührend gefeiert: Gemeinsam mit Einheiten der irakischen Armee und schiitischen Milizen gelang es Peshmerga-Truppen vergangene Woche, die strategisch wichtige Stadt Jalawla und den Ort Saida nach heftigen Kämpfen vom »Islamischen Staat« (IS) zurückzuerobern. Dies war zugleich der erste größere militärische Erfolg kurdischer Milizionäre an der südlichen Front seit der Offensive des IS im August.
Seit einiger Zeit befindet sich der IS an verschiedenen Orten in der Defensive, ob in der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê oder nördlich von Bagdad. Es scheint, als hätten die Islamisten Schwierigkeiten, die fast 3 000 Kilometer umfassende Front zu halten. Auch fällt es ihnen angesichts der Luftüberwachung durch Flugzeuge und Drohnen der von den USA geführten Koalition schwerer, Milizionäre und Nachschubmaterial zu transportieren, ohne bombardiert zu werden.

Die Einnahme Jalawlas zeigt zugleich, dass dieser Krieg nicht mit Waffen alleine gewonnen werden kann. Schließlich liegt Jalawla außerhalb der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sind arabische Sunniten. Laut einer Volkszählung, die allerdings noch aus Saddam Husseins Zeiten stammt, machen Kurdinnen und Kurden nur 20 Prozent der Bevölkerung aus, in Saida sind es noch weniger. Der mehrheitlich sunnitisch-arabischen Bevölkerung aber sind schiitische Milizen und kurdische Peshmerga als Befreier nicht willkommen, mögen viele zuvor auch unter dem Terrorregime des IS gelitten haben. Vor allem schiitische Milizionäre, darauf verwies kürzlich wieder ein Bericht von Amnesty International (Jungle World 44/2014), führen sich in von ihnen eroberten Gebieten kaum besser auf als der IS. So enthaupteten sie vor laufender Kamera gefangene sunnitische Jihadisten, regelmäßig kommt es zu Folter und Verschleppungen unter ihrer Kontrolle. Inzwischen mehren sich Hinweise, dass auch kurdische Kämpfer wenig zimperlich mit Arabern umgehen, die im Verdacht stehen, mit dem IS kollaboriert zu haben.
Eine Idee, wie mit den zurückeroberten Gebieten umgegangen werden soll, gibt es dagegen nicht. Derzeit kontrollieren Milizionäre die Orte, entschärfen Minen und lassen sich als Sieger feiern. Nur eine Frage der Zeit ist es, wann erneut Konflikte zwischen schiitischen und kurdischen Milizionären ausbrechen. Schließlich beanspruchen beide Seiten die Kontrolle über Jalawla. Noch heißt es, man habe sich geeinigt, dass die Kurden Jalawla, die Schiiten Saida kontrollieren, aber schon melden sich Stimmen aus Bagdad, die fordern, dass die Kurden sich zurückziehen.
Auf die Frage, wie in Zukunft mit den vom IS befreiten Gebieten zu verfahren sei, antworteten sowohl schiitische Milizionäre wie Sprecher der Kurden, dies müssten die Politiker in Bagdad und Arbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete, entscheiden. Aus langjähriger, leidvoller Erfahrung ist allerdings nur zu bekannt, dass beide Seiten sich in der Regel als unfähig erweisen, irgendwelche territorialen Streitigkeiten in Verhandlungen beizulegen.

Selbst von Einheit innerhalb Kurdistans kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil, militärisch ist der Nordirak inzwischen de facto in zwei Regionen aufgeteilt: Während sich die Patriotische Union Kurdistans (PUK), die die Provinz Suleymaniah kontrolliert, immer enger an den Iran bindet und zusammen mit iranischen Einheiten und der PKK kämpft, kooperiert die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) unter Präsident Massoud Barzani eng mit den USA und der Türkei. Die kurdischen Peshmerga kämpfen, auch wenn die Regionalregierung gerne anderes behauptet, jeweils getrennt und unter Führung ihrer Parteien.
Und da die PUK seit August iranische Truppen in ihr Territorium gelassen hat, feiert der Iran die Erfolge gegen den IS nun als seine eigenen. So stark sei er lange nicht mehr gewesen, tönte Hossein Salami, General der Revolutionsgardisten, der Iran bekämpfe jetzt seine Feinde in einem Einflussgebiet, das bis nach Nordafrika und ans Mittelmeer reiche. Ali Reza Zakani, ein Berater von Präsident Hassan Rohani, behauptete, der Iran kontrolliere inzwischen vier arabische Hauptstädte: Damaskus, Beirut, Bagdad und Sanaa.
Auch politisch macht der Iran im Nachbarland Fortschritte. Längst dominieren wieder schiitische Milizen das Straßenbild in Bagdad und verdrängen das reguläre Militär an Checkpoints und Kontrollposten. Wie das Magazin aI-Monitor berichtet, seien inzwischen auch Eliteeinheiten der libanesischen Hizbollah im Irak, die ihren schiitischen Kollegen dabei helfen würden, ähnliche Strukturen wie im Südlibanon aufzubauen. Je länger der Krieg gegen den IS ohne andere Bodentruppen geführt wird, desto stärker wird Irans Einfluss im Irak und desto schwächer werden die fragilen staatlichen Strukturen, die nach dem Sturz Husseins aufgebaut worden sind. Wo immer der Iran im Nahen Osten die politische Kontrolle übernimmt, wie in Syrien und im Libanon, setzt das Regime auf Konfessionalisierung und die Verschärfung der Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen.
Ähnliches ist für die vom IS befreiten Gebiete im Irak zu erwarten. Denn nur wer Truppen am Boden hat, die die Kontrolle ausüben, bestimmt über die Zukunft der Region. Da die USA den Einsatz von Bodentruppen ausgeschlossen haben, werden sie wohl weiter zusehen, während andere Akteure am Boden Fakten schaffen.
Da es aber weder in der irakischen Regierung noch in Kurdistan tragfähige Pläne gibt, wie man die irakischen Sunniten künftig politisch besser einbinden kann, werden auch in vom IS befreiten Gebieten Hass und Ressentiments gegen die schiitisch dominierte Zentralregierung, die man als Erfüllungsgehilfen des Iran betrachtet, bleiben oder sogar zunehmen. Und solange die sunnitische Bevölkerung mehr Angst vor schiitischen Milizionären und einer mit dem Iran verbündeten irakischen Regierung hat als vor dem IS, wird es kaum gelingen, den IS im Irak zu besiegen.