Ganzkörperscanner an deutschen Flughäfen

Die Strichmännchen kommen

Über den Einsatz von Nacktscannern wurde hierzulande heftig gestritten. Nun werden auf Flughäfen Körperscanner eingesetzt.

Am 17. November fand auf dem Köln-Bonner Flughafen etwas statt, das mehr als nur die Aufmerksamkeit lokaler Massenmedien verdient hätte. Darauf hätte beispielsweise der jubilierende Tonfall des Kölner Boulevardblattes Express hinweisen können: »Der gläserne Mensch ist keine Zukunftsvision mehr. Zumindest im Terminal 1. Dort steht das neue Technikwunder, das die Sicherheit am Airport revolutionieren soll.« Ja, geht’s noch? Vom Albtraum zur Vision, von einer »Erfindung des Verderbens« (Jules Verne) zum sicherheits­revolutionären Wunder. Ist schon eine irre Karriere, die der »gläserne Mensch« und die Mittel, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen, in den vergangenen drei Jahren zurückgelegt haben.

Was an jenem grauen Novembertag auf dem rheinischen Flughafen stattfand,war der Beginn der seriellen Einführung des Körperscanners auf allen internationalen Flughäfen dieses Landes. Bereits Ende vorvergangener Woche verfügte man auf dem Konrad-Adenauer-International-Airport schon über sechs dieser Maschinen. Ja, Sie vermuten richtig, beim Körperscanner handelt es sich um eine Neuauflage des verschrienen Nacktscanners, über den Sie vor nicht allzu langer Zeit Ihr demokratisches Näschen gerümpft hatten. Ist das noch zeitgemäß? Schauen Sie mal, wie eine Person von Welt die Sache heute sehen sollte: »Beate M. (48) ist der erste Fluggast, der mit der neuen Technik durchleuchtet wird, und findet das Gerät super. ›Das ist in Amerika doch schon normal und bald auch bestimmt hier. Ich reise viel und finde es gut, wenn möglichst viel für die Sicherheit getan wird.‹« (Express)
Jetzt rümpfen Sie schon wieder die Nase und meinen, die dumme Gans rede von einem Maßstäbe setzenden Amerika, wie es hierzulande seit fast 50 Jahren unter Aufgeweckten nicht mehr üblich sei. Das gibt Anlass für notwendige Erläuterungen über den Staat und seine Bürger im Jahr 1959. Damals entstand der Hollywood-Western »Warlock«, der heute noch gelegentlich in den Nachtprogrammen des Fernsehens gezeigt wird. Auch wer den Inhalt weitgehend und zu Recht vergessen hat, erinnert sich doch an die Saloon-Szenen. Beim Betreten des Saloons hatten die männlichen Figuren ihre Schießprügel beim Barkeeper abzugeben und konnten während des Verweilens Konflikte nur verbal oder faustschlagend austragen. So den staatlichen Gewaltmonopolisten partiell nachahmend, sorgte der Saloon-Besitzer nicht nur für den Erhalt seines Ladens im materiellen Sinne, sondern garantierte im Einvernehmen mit seinen Gästen die Existenz der Trinkhalle als marktähnlichen Ort des Austausches von Guten und Bösen.
Das entsprach auch weitgehend dem Bild, das man sich seinerzeit von der Gesellschaft als Austragungsort der Konflikte zwischen Staat und seinen kriminellen Abweichlern sowie radikalen politischen Gegnern machen konnte: Bankräuber sprengten den Tresor der Bank, um Schätze zu erlangen, die sie später selbst auf einer Bank deponieren würden. Politisch Radikale (in Filmen wie an der Peripherie des Imperiums) beschädigten zum Beispiel Eisenbahntrassen und sprengten ganze Züge mit Regierungstruppen in die Luft, wollten doch aber nie alle Züge oder das gesamte Transportwesen auslöschen, denn das sollte schließlich einmal eigenen Zwecken dienen.

Auch durch das Aufkommen von Flugzeugentführungen ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre änderte sich zunächst nicht viel. Die sympathischen Mafiosi in Henri Verneuils »Der Clan der Sizilianer« (1969) kapern einen Jumbo-Liner auf dem Flug von Paris nach New York, um auf einer New-Jersey-Autobahn zu landen, wo die Beute gerecht geteilt wird; ihr Scheitern gründet nicht im Gesetzesverstoß, sondern in traditionellen Dummheiten von Ehre und Ressentiment. Politische Flugzeugentführer verbanden mit ihren Aktionen Botschaften an die Welt und Forderungen an einen politischen Souverän. Für diesen war so etwas schwer hinnehmbar, fürchtete ein jeder Staat doch nicht zu Unrecht, durch Nach­geben »Gesicht zu verlieren« und die Position seiner Herausforderer zu stärken. Deshalb endeten politische Flugzeugentführungen nicht selten in desaströsen Massakern. Mit dem geographisch-zeitlichen Hinweis auf Mogadischu-Stammheim 1977 kann durchaus die definitive Vergeblichkeit solcher Aktivitäten politisch nachvollziehbar bezeichnet werden.
Doch nicht nur der Staat lässt sich nicht gern in die Suppe spucken, auch staatsbürgerlicher ­Eigensinn (»Wenn es nach mir ginge …«) beansprucht Zuwachs an Souveränität. Mit dem Verstummen der sozialistischen und kommunistischen Ideen als ideeller Gegenpart der globalen Unordnung trat der jihadistische Islamismus als jenseitiger und damit fundamentaler Ordnungsstifter auf. Das Massaker vom 11. September 2001 in New York war das Fanal, dem nachfolgenden Massenmord in Madrid vom März 2004 folgte die Begründung: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.« Es geht längst nicht mehr um die Inbesitznahme des Bestehenden für konservative, kriminelle oder progressiv-soziale Zwecke, sondern um die Vernichtung des Ungläubigen.
Und darin sind auch Sie, Verächter der naiven Beate M. (48) und demokratischer Gegner des vormaligen Nacktscanners, eingeschlossen. Überzogen hielten Sie die Aufforderung der israelischen Regierung, ihre Bürger mögen sich gegen die palästinensischen SS-Imitatoren bewaffnen. Aber tiefgründig gründelten Sie nach Lektüre Ihrer Tageszeitung über die Motive, die es rechtfertigen, betende Juden umzubringen. Wo Sie doch in den vergangenen Jahren bei sich selbst einen zunehmenden Hang zur Spiritualität wahrnahmen, und sich jetzt – allen Ernstes – fragen, ob da nicht doch was dran ist, mit dem arroganten auserwählten Volk und so. Dennoch sind Sie mit Ihren langweiligen Geheimnissen um sexuelle und finanzielle Unregelmäßigkeiten nicht nur der freiheitlich-demokratischen Observanz ausgesetzt, sondern auch der islamistischen. Mit der einen können Sie eventuell verhandeln und vielleicht was rausschlagen, mit der anderen aber nie. Der Islamfaschismus kennt auf seine Weise zwar Schuldige und Unschuldige, aber nicht »mildernde Umstände« und ähnliches, was auch dazu führen könnte, dass Ihre Flugreise mit einer abrupten Partikularisierung enden könnte.

Was hindert Sie also, den neuen Körperscanner als Mittel persönlicher Sicherheit zu begrüßen? Die Makel seines Nacktscanner-Vorgängers hat er offenkundig abgestreift: Intime Details sind beim Scannen nicht mehr zu erkennen, Personen erscheinen auf dem Screen nur als Strichmännchen, inkriminiertes Material wird farblich dargestellt. Das kann man freilich weiterentwickeln. Der Tagesspiegel notierte kürzlich: »Inzwischen arbeitet das Bundesinnenministerium mit einem deutschen Unternehmen an der Entwicklung des Walk-Through-Security-Scanners. Bereits in einigen Jahren könnte es dann überflüssig sein, eine Kabine zu betreten (… ). Dann werden die Reisenden im Vorübergehen gescreent.« Was sagen Sie? Menschen würden dann wie flüchtiges Wild erfasst? Sie, als demokratischer Staatsbürger … ?