Die mexikanische Regierung reagiert mit Repression auf die sozialen Proteste

Organisierte Kriminalisierung

Die mexikanische Regierung will stärker gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgehen. Doch sind Politiker oft selbst involviert, soziale Proteste werden kriminalisiert.

Langsam musste er wohl doch mal handeln. Am Donnerstag vergangener Woche kündigte der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto eine Reihe von Reformen an, die helfen sollen die grassierende Korruption und organisierte Kriminalität im Land zu bekämpfen. Die Vorstellung der geplanten Maßnahmen erfolgte fast genau zwei Monate nach dem »Verschwindenlassen« von 43 Studenten der Hochschule Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero (Jungle World 47/2014). Seither vergeht kein Tag ohne Proteste in Mexiko. Dass kriminelle Banden, Sicherheitskräfte und Politikerinnen und Politiker oft gemeinsame Sache machen, ist in Mexiko keine spektakuläre Neuigkeit. Doch der Fall Ayotzinapa brachte erst das ganze Ausmaß der Gewalt ans Licht: Dutzende Massengräber wurden seither gefunden, ständig werden neue Fälle von verschwundenen Menschen und extralegalen Hinrichtungen bekannt und manche Angehörige von Opfern trauen sich erst jetzt, derartige Fälle anzuzeigen.

Die Schuld schiebt Peña Nieto jedoch vor allem den lokalen Polizeieinheiten und Regierungen zu. Diese sollen seinen Reformvorschlägen zufolge, über die diese Woche im Kongress wohl abgestimmt wird, nun stärker vom Bund kontrolliert beziehungsweise aufgelöst werden. Unter anderem soll die Bundespolizei zunächst in Tamaulipas, Jalisco, Michoacán und Guerrero, den von der organisierten Kriminalität und Gewalt am stärksten betroffenen Bundesstaaten, aufräumen. Mag sein, dass schlecht bezahlte Lokalpolizisten und mit lokalen Gangs verbandelte Politiker besonders korrupt sind, auf die untere Ebene beschränken dürfte sich das Problem jedoch keineswegs. Die Kartelle haben es längst geschafft, eigene Kandidaten für Wahlen aufzustellen, hochrangige Politiker wie Guerreros ehemaliger Gouverneur Ángel Aguirre Rivero sind tief in Verbrechen verstrickt und selbst Peña Nieto sieht sich seit einigen Wochen mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Eine Villa seiner Frau soll von einem mit Staatsaufträgen versorgten Bauunternehmen sehr günstig erworben worden sein.
Straflosigkeit ist der Normalfall. Dem Nachrichtenportal Amerika 21 zufolge, das einen internen Bericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Menschenrechtslage in Mexiko zitiert, werden nur zwei Prozent aller Verbrechen aufgeklärt. In bestimmten Fällen gehen die mexikanischen Behörden jedoch übergründlich vor, so bei der Kriminalisierung von Protesten.

Aufsehen erregte die Inhaftierung von elf Personen in Mexiko-Stadt am 20. November. Für diesen Tag hatte die Protestbewegung für die 43 Verschwundenen zu einem landesweiten Streiktag aufgerufen. Gegen Ende der Demonstration mit 100 000 Menschen kam es zu Ausschreitungen, Antiterroreinheiten der Polizei verhafteten willkürlich mehrere Demonstrierende. Elf namentlich bekannte Personen wurden zunächst in die Spezialabteilung für Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität (SEIDO) gebracht. Ihnen wurden versuchter Mord, Aufruhr, organisierte Kriminalität und anfänglich auch Terrorismus vorgeworfen. Sie bestritten die Vorwürfe und legten bei der Nationalen Menschenrechtskommis­sion Beschwerde ein. Berichtet wurde von Schlägen, Drohungen, der Verweigerung eines Anwalts und weiteren Unrechtmäßigkeiten im Zuge ihrer Verhaftung. Am 22. November wurden drei Frauen nach Nayarit und acht Männer nach Veracruz in wegen Überbelegung und Gewalt berüchtigte Hochsicherheitsgefängnisse überführt. Angehörige und Freunde protestierten und riefen eine Solidaritätskampagne ins Leben.
Am Samstag wurden alle elf Personen wieder entlassen, da zu wenige Beweise für eine Anklage vorlagen. Zwar waren sie nicht wie die 43 Ayotzinapa-Studenten Opfer der organisierten Kriminalität, doch alle sind Opfer einer organisierten Kriminalisierung sozialen Protests. Dagegen geht Peña Nieto nicht vor. Hunderte politische Gefangene soll es in Mexiko geben, nicht selten werden Aktivisten und kritische Journalisten ermordet.