Die Proteste gegen die Innenministerkonferenz in Köln

Das Experiment von Köln

3 000 Menschen begaben sich am Samstag in die Kölner Innenstadt – jedoch nicht, um Glühwein zu trinken. Die Behörden schienen offenbar Angst um den Weihnachtsmarkt zu haben, denn mehr als 1 800 Polizisten waren im Einsatz, um ihn und den Verkehr vor der Demonstration gegen die Innenministerkonferenz (IMK) zu schützen – und vor den Fußballfans, die an diesem Tag auch noch wegen eines Bundesligaspiels in der Stadt waren. Mit einem streckenweise erdrückenden Spalier, permanentem Filmen der Demonstrationsteilnehmer und anderen Provokationen verfolgte die Polizei eine Strategie der Härte.

Die Demonstrantinnen und Demonstranten zogen unter dem Motto »Grenzen überwinden! PKK-Verbot aufheben!« dennoch durch belebte Straßen an vielen Passanten vorbei. Nachdem auf einem Hausdach bengalische Feuer gezündet und Transparente mit Solidaritätsbekundungen für die PKK gezeigt worden waren, griff die Polizei eine kurdische Gruppe am Rand der Demonstration mit Knüppeln und Pfefferspray an, die später zudem noch eingekesselt wurde. Zwei Festgenommene mussten im Krankenhaus behandelt werden. Das Demonstrationsbündnis kritisierte nicht nur den Polizeieinsatz. Zunächst hatte die Polizei versucht, die Demonstration vollständig zu verbieten. Die Bündnissprecherin Anna Kiefer sagte der Taz, kurdische Organisationen hätten deshalb die Mobilisierung abgebrochen und die Aufhebung des Verbots am Freitag sei für viele zu spät gekommen.
Am Mittwoch vergangener Woche hatte Polizeipräsident Wolfgang Albers das Verbot der Demonstration gegen die IMK verkündet und lediglich eine Kundgebung unter erheblich strengeren Auflagen genehmigt. Das Bündnis hatte daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht und am Freitag, einen Tag vor der Demonstration, Recht bekommen. Die Kölner Polizei, die nach den Ausschreitungen der »Hooligans gegen Salafisten« Ende Oktober als zu passiv kritisiert worden war, musste damit eine weitere Niederlage einstecken. Das könnte eine Erklärung für das harte Vorgehen gegen die Demonstranten sein.
Dass die Demonstration stattfinden konnte, war angesichts der aufwendigen Vorbereitungen wichtig. Schließlich hatte das Bündnis gegen die IMK über zwei Monate lang intensiv für den Protest geworben. Der Zusammenschluss selbst ging über die klassischen linksradikalen Zusammenschlüsse gegen die IMK in der Vergangenheit hinaus. Antirassistische, antifaschistische, linke, kurdische und mit kurdischen Organisationen solidarische Gruppen, Netzwerke und Einzelpersonen hatten sich verbündet. Inhaltliches Ziel waren die Verknüpfung des antirassistischen Flüchtlingskampfs und des Kampfs der Kurden gegen den Islamischen Staat sowie die Steigerung der Aufmerksamkeit für diese Themen. Dass diese gemeinsam an die Öffentlichkeit getragen wurden, ist Ergebnis einer Annäherung antirassistischer und kurdischer Gruppen insbesondere seit dem Entstehen der Rojava-Solidarität. Es geht dem Bündnis also um die andauernden Konflikte der Geflüchteten in Deutschland und Europa, um die Kämpfe gegen Residenzpflicht, für bessere Unterbringung und uneingeschränktes Asyl sowie um die Situation in Kobanê und den Kampf gegen den IS.

Dass dieses Bündnis zustande kommen würde, war keine ausgemachte Sache. Die antinationale und antiautoritäre Linke, die sich maßgeblich an ihm beteiligte, ist schließlich nicht gerade für ihre uneingeschränkte Kurdistan-Solidarität bekannt. Ganz im Gegenteil: Schon seit Jahren kritisiert man nationale Befreiungsbewegungen, autoritäre Organisationsformen und damit auch die PKK. Guerillaromantik entwickelte lediglich ein kleiner Teil der radikalen Linken, vor allem im antiimperialistischen Milieu. Diese Kurdistan-Spezialisten kritisierten lokale Gruppen aus dem Bündnis gegen die IMK, die Interventionistische Linke Köln und die Antifa AK Köln, in einer Stellungnahme. Dennoch sollten vor allem undogmatische und antiautoritäre Linke, ohne die notwendige kritische Haltung aufzugeben, »den substantiellen Turn« der PKK ernst nehmen, heißt es dort weiter. Schließlich seien im »Experiment von Rojava«, auch wenn es »keine per se außerkapitalistische Alternative« sei, die darin enthaltenen »Ideen von Selbstorganisation, rational geplanter Ökonomie und die Aufhebung des Ausbeutungsverhältnisses als ›Keimform‹« zu würdigen.
Dass die Innenminister das »Experiment von Rojava« zu würdigen wissen, ist nicht zu erwarten. Ein Schwerpunkt der IMK ist die »Bekämpfung des islamistischen Terrorismus« und die »Prävention und Verhinderung der Ausreise von gewaltbereiten Salafisten«. Ob dabei auch über die PKK und ihre Einstufung als terroristisch diskutiert wird, geht aus den vorab veröffentlichten Informationen der IMK nicht hervor. Es ist auch nicht zu erwarten. Anzunehmen, dass der neutral formulierte Diskussionspunkt »Aufnahme, Verteilung, Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen« dem Zweck einer entscheidenden Verbesserung der Lage von Flüchtlingen in Deutschland dienen soll, wäre ebenfalls naiv. So ist die IMK sicherlich ein geeigneter Adressat für Protest seitens eines großen Bündnisses.