Die Popularität Edward Snowdens in Deutschland

Deutschlands liebster Datenschützer

Edward Snowden gehört zu den bekanntesten Personen hierzulande. Davon zeugen auch Preisverleihungen an den Helden des Datenschutzes.

Eine Stockholmer Stiftung verleiht seit 1980 jährlich im Dezember den Right Livelihood Award, also den »Preis für richtige Lebensweise«, hierzulande auch als »Alternativer Nobelpreis« bekannt. In diesem Jahr wurde er dem »Whistleblower« Edward Snowden und dem Herausgeber der britischen Tageszeitung The Guardian, Alan Rusbridger, verliehen. Snowden konnte den Preis aus naheliegenden Gründen nicht persönlich entgegennehmen, war aber per Videoschaltung aus seinem Moskauer »Zwangsexil« (stern.de) bei der Verleihung im Stockholmer Reichstag virtuell zugegen und fand warme Worte des Dankes: Es sei ein »außergewöhnliches Privileg«, so Snowden, »zu den vielen gezählt zu werden, die für die Menschenrechte gekämpft haben«. Viel hätten die ihn unterstützenden Journalisten, Verleger und Anwälte riskiert, doch seit Beginn seiner Enthüllungen im Sommer 2013 sei auch viel in Sachen »Datenschutz« erreicht worden. Damit sei »eine Grundlage geschaffen, auf der wir aufbauen können«.

Nicht ohne zuvor dem Archetypus des Bescheidenen rhetorisch sich angenähert zu haben, nahm Rusbridger den Preis entgegen. »Edward Snowden hätte dieses Material leicht selbst veröffentlichen können«, verkündete er in Stockkolm, wohl wissend, dass Snowden wahrscheinlich als Opfer von Spott und Häme der Massenmedien geendet hätte, hätte er nicht klugerweise einigen ihrer Vertreter unabweisbare Einladungen und Angebote unterbreitet. Aus der Not eines von der Gefährlichkeit seiner Entdeckung Überraschten, aus der alltagspraktischen Notwendigkeit, in Gefahr sowohl nach Unterstützern als auch nach Multiplikatoren des eigenen Anliegens zu suchen, machte Rusbridger eine staatsbürgerliche Tugend besonderer Art: »Er hat an den Journalismus geglaubt.«
Daran glauben sonst nur Journalisten und kommerzielle wie politische Verwerter ihrer Arbeit. Wahrscheinlich kam es deshalb am 1. Dezember noch zu einer weiteren Preisverleihung in München. Dort wurde der gemeinsam von der bayerischen Landeshauptstadt und dem regionalen Verband des »Börsenvereins des Deutschen Buchhandels« ausgelobte »Geschwister-Scholl-Preis« an Glenn Greenwald überreicht. Auch Greenwald war Mitarbeiter des Guardian, er hat tatkräftig zur medialen Aufbereitung und Verbreitung des von Snowden gesicherten Spionagematerials beigetragen und auf dessen Basis den internationalen Bestseller »Die globale Überwachung« (Jungle World 23/2014) verfasst. Anders als sein Vorgesetzter Rusbridger ist der eloquente Greenwald für diplomatische Kratzfüße und Anbiederungen aber nicht zu haben. Dem Bayerischen Rundfunk gab er kurz vor seiner Ehrung noch die folgende Politikerschelte zu Protokoll: »Dieselben Menschen, die von den Opfern Snowdens profitiert haben, die deutschen Politiker, sind nicht willens, irgendetwas zu riskieren, um für ihn zu tun, was er für sie getan hat. Sogar bei der Untersuchung, die der Bundestag durchführen wollte, wollten sie nicht das Geringste riskieren. Nicht einmal Snowden zu einer Befragung nach Deutschland bringen wollten sie. Nur um die USA nicht zu verärgern.«
Nein, die USA verärgert man hierzulande gewiss nicht. Aber man schützt sich vor ihnen. Nachdem im Sommer das für die Verschlüsselung von Mobiltelefonen von Politikern zuständige deutsche Unternehmen Secusmart vom kanadischen Konzern Blackberry aufgekauft worden war, stellte die Bundesregierung den Kanadiern Bedingungen: Diese mussten »bestätigen, dass keinerlei gesetzliche oder anderweitige Verpflichtungen bestehen, ausländischen Sicherheitsbehörden vertrauliche Informationen zu offenbaren oder zugänglich« zu machen. »Wenn sie eine solche Erklärung nicht abgeben, droht ihnen der Ausschluss aus dem Vergabeverfahren«, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Neben der Unterzeichnung einer zwischen Staaten niemals realisierbaren »No-Spy-Erklärung« musste Blackberry sich nicht nur verpflichten, jede »sicherheitsrelevante Schwachstelle im Betriebssystem« unverzüglich der deutschen Regierung zu melden. Auch ein Einblick in den Quellcode von Blackberry soll deutschen Stellen jederzeit gestattet sein. So werden im deutschen Bienenstock die Königin und ihr Hofstaat geschützt, die umtriebigen Arbeits- und Hartz-IV-Bienen haben ja gemäß formeller wie informeller Eingliederungsvereinbarung sowieso nichts zu verbergen. Warum also sollten deutsche Politiker mit Snowden »die USA verärgern«, wenn sie, geschützt vor der Neugier des Partners und Konkurrenten, an den Resultaten seiner Spitzeltätigkeit teilhaben können?

Greenwald aber glaubt – trotz alledem – an die Demokratie. »Preise wie diesen zu bekommen«, bekannte er im Bayerischen Rundfunk, »ist wichtig. Um zu zeigen, dass Whistleblowing heldenhaft ist. Dass es die Demokratie stärkt. Dass Menschen auf der ganzen Welt über Dinge informiert werden, die sie wissen sollten. Ein Preis wie dieser ist unglaublich wichtig, um neue Edward Snowdens hervorzubringen.« Hat etwa Snowden sich und der Welt das ganze heldenhafte Schlamassel nur eingebrockt, weil der übliche biologische Weg, lauter »neue Edward Snowdens hervorzubringen«, dem konservativen Heterosexuellen zu umständlich, zu langwierig, ja, bei eventuellem Vorhandensein eines manifesten Erlösersyndroms, zu ineffektiv erschien? Und was geschähe eigentlich, wenn diese »Menschen auf der ganzen Welt« endlich wüssten, was »sie wissen sollten«, in Stockholm, Moskau, Islamabad, Ferguson (Missouri), Berlin-Marzahn?
Ach ja, Berlin. Dort soll Greenwald am kommenden Sonntag zwar nicht diese Fragen beantworten, aber die »Carl-von-Ossietzky-Medaille« aus den Händen der »Internationalen Liga für Menschenrechte im Geiste Carl von Ossietzkys e. V.« entgegennehmen. Mit ihm geehrt werden sollen die Regisseurin Laura Poitras, die kürzlich den durchaus sehenswerten Dokumentarfilm »Citizen Four« veröffentlichte, und – Edward Snowden. Ob er sich via Skype noch einmal aus Moskau melden oder wie ein idealer Souverän seine Wirkung aus der Unsichtbarkeit entfalten wird, ist bislang nicht bekannt. In Deutschland ist er jedenfalls längst ein Prominenter. Etwa 94 Prozent der Deutschen kennen Snowden, anders als die US-Amerikaner mit 76, die Briten mit 72 sowie die Franzosen und Italiener gar mit nur 62 und 54 Prozent. Das ergab eine Befragung des vom Spiegel als »Denkfabrik« qualifizierten Centre for International Governance Innovation in Kanada.
Was immer an diesem Sonntag in der Berliner Urania verkündet wird – die vorliegenden Einladungsschreiben halten sich inhaltlich recht bedeckt –, Skepsis ist angebracht. Der Veranstalter hat seit 1962 so gut wie jeden, der zeitgeistige Anerkennung im linksliberalen Milieu genoss, ausgezeichnet, und manchmal auch für Überraschungen gesorgt: 2008 wurde den Israeli Anarchists Against the Wall die Ossietzky-Medaille verliehen. Es war wohl das erste Mal, dass in Deutschland Anarchisten eine solche Ehrung erhielten, wenngleich für völlig nichtantiautoritäre Zwecke.

Vielleicht aber endet die Veranstaltung der Liga für Menschenrechte auch im Sinne Jacob von Uexkülls, des Stifters des »Alternativen Nobelpreises«, der in Stockholm sagte: »Ohne Snowdens Mut wüssten wir immer noch nichts über das Ausmaß der neuen Verbrechen, die der technische Fortschritt möglich gemacht hat.« Damit sollten alle leben können, selbst Geheimdienstdirektoren: Ich war’s nicht, der Fortschritt ist’s gewesen.