»Pegida«-Kundgebungen in Dresden

Weihnacht den Deutschen

Die »Patriotischen Europäer gegen die ­Islamisierung des Abendlandes« bringen Tausende Menschen in Dresden auf die Straßen. Ihre Demonstrationen sind Teil des rassistischen Bürgerengagements in der gesamten Bundesrepublik.

Zum achten Mal sind am Montag Tausende Menschen in Dresden auf die Straße gegangen, um mit schwarz-rot-goldenen Fahnen zu demonstrieren. »Wir sind hier der Gastgeber und wir bestimmen die Tischregeln«, ist ein vom Anmelder Lutz Bachmann häufig wiederholter Satz, der unter den Demonstranten große Zustimmung erfährt. Die Anzahl der Themen auf den Demonstrationen hat sich in den vergangenen Wochen vergrößert. So wird die Stimmung der wöchentlichen Märsche inzwischen von einer Melange aus unbestimmter Wut auf »die da oben«, Rassismus, Abstiegsängsten und Kampf gegen die »Genderisierung der deutschen Sprache« bestimmt.

Bachmanns Reden auf den Zusammenkünften der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) appellieren an Befindlichkeiten, die seine zahlreichen Zuhörer heftig umzutreiben scheinen. Als überaus bedrohlich empfindet er, dass »Weihnachtsmärkte« aus Rücksicht auf religiöse Gefühle in »Wintermärkte« umgetauft werden. So verkündet er: »Ja, sogar dem guten alten Weihnachtsbaum geht es an den Kragen. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch der Dresdner Christstollen, der Nürnberger Christkindlglühwein oder der Pulsnitzer Weihnachtslebkuchen umbenannt werden.« Solche Sätze entfachen eine Wut und entfalten eine Mobilisierungskraft, von der Bachmann inzwischen selbst überrascht zu sein scheint.
Die Organisatoren der Pegida-Kundgebungen versuchen auch, einen Bezug zu den Montagsdemonstrationen von 1989 herzustellen. Am Ende jeder Demonstration halten die Teilnehmer beleuchtete Mobiltelefone in den Nachthimmel, um gemeinsam »Wir sind das Volk!« zu brüllen. Vor 25 Jahren führten Oppositionelle in der DDR Kerzen als Zeichen der Gewaltfreiheit mit.
Bachmann, der Initiator der Aufmärsche, verkehrte nicht immer in den friedvollsten Kreisen. Er kann auf eine Vergangenheit als Kleinkrimineller im Rotlichtmilieu zurückblicken und hat eine Haftstrafe abgesessen. Sein letzter Gesetzesverstoß, der Besitz von 40 Gramm Kokain, liegt inzwischen über fünf Jahre zurück. Mittlerweile distanziert er sich von seinem Verhalten in dieser Zeit.
Die Montagsdemonstrationen der Pegida hat er nach eigenen Angaben ins Leben gerufen, weil in seinem Wohnort Dresden Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK demonstriert hatten. Dabei sollen sie gefordert haben, dass die PKK im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) mit Waffen ausgestattet wird. Bachmann sah dies als Zeichen dafür, dass selbst in Dresden, wo der Anteil der Muslime an der Bevölkerung bei deutlich unter einem Prozent liegt, die Islamisierung nicht mehr lange auf sich warten lasse.
Die Pegida richten sich aber nicht nur gegen die vermeintliche Islamisierung. Das Fronttransparent auf ihren Demonstrationen ziert ein Papierkorb, in den ein IS-Symbol, die PKK-Fahne, ein Hakenkreuz und das Antifa-Logo geworfen werden. Die grundlegenden Forderungen der Gruppe sind darüber hinaus ein »Umdenken in der Politik« und ein »Aufnahmestopp für Wirtschaftsflüchtlinge«. Wie sich dieses Umdenken im Detail gestalten soll, lässt Bachmann offen. Gerade das Vage, Unkonkrete und Offene seiner Formulierungen machen Pegida für viele Menschen ­attraktiv.
Sehr viel deutlicher als Bachmann und die anderen Organisatoren werden ihre Anhänger in Kommentaren bei Online-Medien. Diejenigen, die sich den Demonstrationen in den Weg stellen und den Rassismus kritisieren, werden beispielsweise als »Rotfaschisten« betitelt. »Seit 1968 wird die BRD von der Ideologie der Antifa regiert. Der Feind des deutschen Volkes steht links«, heißt es in einem Kommentar auf Facebook. Von »kriminellen Ausländern« und einer »Asylflut« ist häufig die Rede.
»Auch wenn die Organisatoren von Pegida keine Neonazis sind, bekommen sie durch ihre Positi­onen Gefolgschaft von Nazis und Rassisten und machen sich mit ihnen gemein. Da hilft es auch nicht, wenn man immer wieder betont, dass man selbst kein Neonazi oder Rassist sein will«, sagt Simone Ritter vom Antifa-Recherche-Team Dresden (ART) der Jungle World. Nach Einschätzung des ART handelt es sich bei den Teilnehmern der Demonstrationen mehrheitlich um zu Handgreiflichkeiten neigende Männer aller Altersklassen, zu denen sich Anhänger von Dynamo Dresden und Neonazis gesellen.
Angeheizt wird die Stimmung zudem von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der trotz der Versicherung des Dresdner Polizeipräsidenten, dass in der Stadt keine Gefahr von Flüchtlingen ausgehe, eine polizeiliche Sondereinheit zur Bekämpfung der Kriminalität von Asylsuchenden forderte. Die Dresdner Ausgabe der Bild-Zeitung titelte im Zusammenhang mit den Demonstrationen der Pegida unter anderem mit einem Zitat Bachmanns: »Wir hören erst auf, wenn die Asylpolitik sich ändert!« Die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung lud in der vergangenen Woche zu einer Podiumsdiskussion mit dem ganz dem Duktus der Pegida angepassten Titel: »Wie verteidigen wir das Abendland?« Ein­geladen war neben dem konservativen Politikwissenschaftler Werner Patzelt, dem Kabarettisten Uwe Steimle und dem Landtagsabgeordneten Peter Porsch (Linkspartei) auch ein Vertreter der Pegida.

Im Gegensatz zur Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung und dem Politikwissenschaftler Patzelt grenzen sich die Stadt Dresden, die Universitäten und die Kirche öffentlich und ungewohnt deutlich von Pegida ab. Die Arbeitsgemeinschaft »Kirche für Demokratie« bezeichnete die Gruppe in einer Stellungnahme als ein »ausländerfeindliches Demonstrationsbündnis«, das »gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Stimmung« mache. Tatsächlich reihen sich die Aufmärsche der Pegida trotz einiger Besonderheiten in die zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen gegen Asylsuchende im gesamten Bundesgebiet ein. Auch wenn die Kundgebungen andernorts nicht die Größe der Veranstaltung der Pegida erreichen, zählen die mittlerweile seit zwei Jahren andauernden Aufmärsche gegen die Aufnahme von Asylsuchenden zu den größten ­zivilgesellschaftlichen Mobilisierungen in der jüngeren deutschen Geschichte. In den vergangenen 25 Jahren können lediglich die Proteste gegen die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen im Jahr 2005 in ihrer Intensität und Dauer mit der derzeitigen Bewegung mithalten.
Statistisch gesehen hat im Jahr 2014 in der Bundesrepublik täglich eine Kundgebung gegen Flüchtlinge stattgefunden. Auch die Pegida-Demonstrationen sind in Dresden längst nicht alles. So versammeln sich jeden Montag im Stadtteil Klotzsche mehrere hundert Menschen, um gegen ein geplantes Flüchtlingsheim in ihrer Nachbarschaft zu demonstrieren. In Berlin protestierten an den vergangenen Montagen jeweils bis zu 1 000 Menschen gegen die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in Marzahn. Auch in den Berliner Stadtteilen Köpenick und Buch wurde gegen Asylsuchende demonstriert. Ableger von Pegida versuchen derzeit in Kassel, Ostfriesland, Düsseldorf, Magdeburg, München sowie anderen Städten und Regionen Fuß zu fassen. Am letzten Novemberwochenende demonstrierten ungefähr 800 Neonazis und Bürger im sächsischen Schneeberg gemeinsam »gegen Überfremdung«, eine Woche zuvor über 500 Personen in Chemnitz, Anfang November die gleiche Anzahl in Bautzen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Menschen, die derzeit in der Bundesrepublik gegen Asylsuchende auf die Straße gehen, gehören also keinesfalls zu einer vernachlässigbaren Minderheit. Es handelt sich nicht um eine Randgruppe, langzeitarbeitslos und deklassiert. Nur wenige gehören der organisierten Neonaziszene an. Von ihrer Existenz konnte man aus Studien wie Wilhelm Heitmeyers »Deutsche Zustände« längst wissen, nun zeigen sie sich öffentlich. Mit der »Alternative für Deutschland« hat diese Bewegung bereits einen parlamentarischen Arm. Die Partei hat wiederum außerparlamentarische Verbündete, ob sie sich nun Legida in Leipzig, Kagida in Kassel, Bragida in Braunschweig, Bagida in Bayern oder Pegida nennen. Diese Form der Zivilgesellschaft in Deutschland hat viele Namen, aber nur einen Nenner: den Rassismus.