In Litauen ist Homophobie weit verbreitet 

Hoffnung auf Veränderungen

In Litauen ist Homophobie weit verbreitet, die Politik bewegt sich höchstens auf europäischen Druck. Jetzt hoffen Litauens Lesben und Schwule auf mehr Rechte.

Vladimir Simonko wirft den Kopf mit Schwung in den Nacken, als er mir in schickem Anzug und mit einem strahlenden Lächeln entgegen kommt. »Wer weiß, vielleicht ist bei uns in Litauen endlich Zeit für Veränderung«, sagt er, bevor es zu einer Begrüßung kommt. Simonko ist Leiter der »Litauischen Gay Liga« (LGL) und sein geschäftsmäßiger Aufzug ist begründet. Denn er hat Stunden zuvor Besuch vom stellvertretenden Sprecher des Seimas gehabt, so heißt in Litauen das Parlament. Zum ersten Mal fühle er sich als Homosexueller in seiner Heimat ernst genommen, sagt Vladimir, es sehe ganz so aus, als setze sich mit Gediminas Kirkilas zum ersten Mal überhaupt ein Abgeordneter für die Schwulen und Lesben ein. Denn in den nächsten Wochen wird das litauische Parlament über acht Anträge beraten, die das Leben der Homosexuellen noch verschlimmern sollen. Unter anderem wird ein vollständiges Verbot von Geschlechtsumwandlungen gefordert, »Kritik der Homosexualität« soll nicht als Diskriminierung verfolgt werden dürfen. Kirkilas sei aber absolut dagegen, freut sich Simonko. »Wir sind in der EU, hat er gesagt, und können diese Diskriminierung nicht weiter dulden. Er setzt sich persönlich für uns ein – wenn das nicht der Anfang von positiven Veränderungen ist!«

Simonko weiß nur zu gut, wovon er spricht. Mehrmals in seinem Leben sei er sehr naiv gewesen und enttäuscht worden. Als die ehemalige Sowjetrepublik Litauen 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte, dachte der ausgebildete Tontechniker, nun sei der richtige Moment für mehr Rechte der Schwulen und Lesben gekommen. Gerade 27 Jahre alt, outete er sich an seinem Arbeitsplatz – und erntete nur Ablehnung und wurde verhöhnt. Als er aus Wut den Verband der Filmemacher verließ, habe sich nur ein einziges Mitglied mit einem Protestbrief für ihn eingesetzt. Die nächste Enttäuschung folgte vier Jahre später, als er sich von einem Journalisten überreden ließ, sich mit seinem Freund auch öffentlich zu outen und in einem großen Artikel offen über ihre gleichgeschlechtliche Liebe zu sprechen. »Wir waren romantisch und naiv, dachten, dass wir unsere Gesellschaft ändern könnten«, sagt Simonko. »Stattdessen lauerte man uns nachts auf, schlug uns zusammen und warf Hassbriefe in unseren Briefkasten. Es war eine furchtbare Zeit.« Eine weitere Enttäuschung erfuhr Simonko 2004, nachdem Litauen der Europäischen Union beigetreten war. Wieder hoffte er auf ein Ende der Diskriminierung in Litauen, wieder wurde er enttäuscht. »Ganz Europa, die USA und Kanada bieten seit Jahren den Schwulen und Lesben mehr Rechte an – nur in Litauen ist man in den vergangenen Jahren in die andere Richtung gegangen.«
Höhepunkt war das Jahr 2009, als das litauische Parlament in einem neuen Gesetz ähnlich wie in Russland verboten hat, Minderjährige über Homosexualität zu informieren. Das Thema bleibt also an litauischen Schulen tabu. Eine Katastrophe für junge Leute, wie sich die 26jährige Vytene erinnert, die aus Angst ihren wahren Namen nicht nennen will. Denn für ein öffentliches Coming-out fehlte ihr bisher der Mut. Vytene ist Apothekerin und besucht regelmäßig das Zentrum der LGL, weil sie nur hier ungestört mit ihrer Freundin Händchen halten kann. Sie ist in einer Kleinstadt aufgewachsen. Wie schon im Sozialismus lehnten die meisten Litauer Homosexualität auch heute noch als etwas Fremdes und Schmutziges ab, in der Schule habe sie gelernt, dass Homosexualität eine Krankheit sei, sagt Vytene. »Ich habe gespürt, dass ich anders bin. Habe mich nie zu Jungs, sondern nur zu den Mädchen hingezogen gefühlt«, erinnert sie sich. »Aber ich hatte Angst vor mir selbst. Wir müssen die Jugend­lichen aufklären, damit sie lernen, sich nicht für ihre Gefühle zu schämen.«

Auch der 20jährige Astius hat seine Homosexualität bisher verschwiegen und will seinen wahren Namen nicht nennen. Vor zwei Jahren habe er seine Neigung erkannt, sich dann zuerst gegenüber seinem besten Freund, anschließend der Mutter und dem Vater geoutet. »Sie stehen weiter zu mir. Ich schaffe mir jetzt einen sicheren Rahmen, mit Freunden, Wohnung, Cafés und der Gay Liga, in dem ich mich bewegen kann. Meinen Freund auf der Straße zu küssen, wäre mir viel zu gefährlich.« Astius ist einer der Freiwilligen der LGL und versucht mit kleinen Artikeln in den Sozialen Medien auch junge Leute über Homosexualität zu informieren. »Das A und O ist die Aufklärung der Jugendlichen«, meint er.
Aber noch ist diese Aufklärung der Minderjährigen in Litauen verboten. Deshalb wurden voriges Jahr ein bezahlter Fernseh-Werbespot der Gay Liga für die baltische Pride Parade ins Spätprogramm für Erwachsene verbannt und ein Märchenbuch zum Thema mit dem Stempel »Nur für Erwachsene« zensiert. Und doch habe das Gesetz große Debatten in der litauischen Gesellschaft ausgelöst, erinnert sich Vladimir Simonko. Sogar das Europaparlament hatte eine Resolu­tion gegen das Gesetz verabschiedet, Amnesty International, Human Rights Watch und ILGA Europe, der europäische Schwulen- und Lesbenverband, hatten sich hinter die litauischen Homo­sexuellen gestellt. Unter dem großen Druck aus dem Ausland sei der Gesetzestext tatsächlich verändert worden – allerdings nicht zum Besseren. »Der Satz ›Über Homosexualität zu informieren, ist für Minderjährige schädlich‹ wurde gestrichen«, sagt Simonko. »Stattdessen wurde hinzugefügt: ›Alle Informationen über Partnerschaften, die nicht der traditionellen Familie entsprechen, sind schädliche Informationen für Minderjährige‹. Da sind wir doch vom Regen in die Traufe gekommen!«
Die meisten Litauer lehnen bis heute Homosexuelle, Bisexuelle und Transsexuelle ab. Große Bedeutung hätten dabei die Nachbarschaft zu Russland und die Verbreitung der russischen Staatsmedien im litauischen Kabelnetz, meint Simonko. Neben der schwulenfeindlichen Bericht­erstattung gebe es aber noch eine weitere Instanz, die gegen die Homosexuellen in Litauen kämpft: die katholische Kirche. Ihr Einfluss sei überall zu spüren. »Ich kenne Beschwerden von Abgeordneten, die Druck von den Geistlichen bekommen haben. Nehmen wir unser Recht auf Geschlechtsumwandlung. Seit 2007 verlangt die EU von Litauen, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden, aber die Kirche blockiert jeden Vorstoß im Parlament.« Im Jahr 2001 hat Litauen ins Bürgerliche Gesetzbuch das Recht auf Geschlechtsumwandlung aufgenommen, das dazugehörige Gesetz aber bis heute nicht verabschiedet. Nach einem Treffen mit dem damaligen Bischof der Litauischen Katholischen Kirche habe der dama­lige Ministerpräsident Algirdas Brazauskas nachgegeben und die Verabschiedung des Gesetzes auf Eis gelegt.

In einer landesweiten Plakataktion haben Schwule und Lesben in Litauen nun die gleichgeschlechtliche Liebe als Menschenrecht gefordert. Gute ­Signale erhalten Homosexuelle in Litauen auch aus den baltischen Nachbarländern, sagt Simonko. Gemeinsam organisieren Estland, Lettland und Litauen die Baltic Pride. Jedes Jahr in einem anderen Baltenstaat. Schon laufen die Vorbereitungen für 2015 in Lettland auf Hochtouren. »Ich wünsche mir, dass die Letten unseren Marsch der Homosexuellen begrüßen. Dann wird die Baltic Pride auch einen Einfluss auf unsere litauische Gesetzgebung haben«, sagt Simonko.
Noch ist Litauen unter den baltischen Staaten das in dieser Hinsicht rückständigste Land. »Estland ist stolz, dass sie das Partnerschaftsgesetz haben, die Letten haben einen Außenminister, der sich öffentlich als schwul geoutet hat, und wir haben acht Anträge im Parlament, die uns Schwulen und Lesben das Leben noch schwerer machen sollen. Das ist die Realität, aber wir haben seit heute auch erstmals Fürsprecher im litauischen Seimas. Vielleicht beginnt tatsächlich die Zeit der Veränderungen.«