Das Gedenken an die Bombadierung Magdeburgs

Der verdammte Krieg

Die alliierten Luftangriffe auf Magdeburg am 16. Januar 1945 dienen sowohl Neonazis als auch Bürgerlichen als Anlass zur Trauer. In diesem Jahr mobilisieren immerhin vier Bündnisse gegen den Aufmarsch der Nazis. Dabei wurde dieser bisher weder beworben noch angemeldet.

Auch wenn der geneigte nationale Demotourist bereits früher im Jahr Anlässe finden kann, um auf die Straße zu gehen, hat sich das »ehrenhafte Gedenken« der »Initiative gegen das Vergessen« am 16. Januar in Magdeburg zu einer der bedeutendsten bundesweiten Naziveranstaltungen entwickelt. Während infolge der Gegenproteste die Aufmärsche in Bad Nenndorf und Dresden an Attraktivität verloren haben, gehört der »Trauermarsch« in Magdeburg mittlerweile zu den wichtigsten vergangenheitspolitischen Veranstaltungen der Neonazis. Nach den erfolgreichen Blockaden in Dresden befürchtete das Bündnis »Magdeburg nazifrei«, dass der Magdeburger »Gedenkmarsch« dem Dresdner Vorbild den Rang ablaufen könnte. Tatsächlich aber schwankt seit 2010 die Zahl der Teilnehmer zwischen 800 und 1 200 Personen. Nicht nur die Bedeutung des Aufmarschs für die rechte Szene, auch die Rezeption des Bombardements in der lokalen Erinnerungskultur ist weit von »Dresdner Verhältnissen« entfernt.
Bis Redaktionsschluss waren für den 16. und 17. Januar in Magdeburg noch keine Veranstaltungen der neonazistischen Szene angemeldet. Wegen der ebenfalls fehlenden Mobilisierung kann man davon ausgehen, dass der Aufmarsch der »Initiative gegen das Vergessen« in diesem Jahr ausfällt. Robert Fietzke vom Bündnis »#blockmd« führt das auf die umfangreiche Gegenmobilisierung zurück und sieht »einen großen Erfolg für alle, die sich hier seit vielen Jahren gegen den ›Gedenkmarsch‹ engagieren«. Dennoch stellt sich das Bündnis auf spontane und unangemeldete Aktionen von Nazis ein.

Hartnäckig hielt sich wochenlang das Gerücht, dass der Pegida-Ableger »Magida« am symbolträchtigen Tag einen sogenannten Spaziergang abhalten werde. Inzwischen ist jedoch klar, dass die selbsternannten »Retter des Abendlandes« erst für den 19. Januar eine Versammlung angemeldet haben, auch dagegen wird bereits mobilisiert.
Währenddessen werden in Magdeburg die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten geplant. Die Stadt veranstaltet jedes Jahr am 16. Januar eine Kundgebung mit anschließender Kranzniederlegung auf dem Westfriedhof. In der Vergangenheit deutete Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) den Tag an dieser Stelle als »Mahnung«, sich gegen »Intoleranz, Hass und Gewalt« zu stellen. Solche »Lehren aus der Geschichte«, die vor allem infolge der Naziaufmärsche gezogen wurden, sind seit Mitte der 2000er Jahre fester Bestandteil der städtischen Erinnerungskultur. Zugleich wird ein Narrativ des Magdeburger Leidens tradiert, das kurz nach den Luftangriffen entstand. Auch in Magdeburg ist man sich sicher, dass die Luftangriffe der Alliierten ausschließlich unschuldige deutsche Opfer trafen. Letztlich – so die Pointe – haben im Krieg alle gelitten.

Bereits 1947 wurde mit der Ausstellung »Magdeburg lebt« das kollektive Erinnern an den 16. Januar beschworen. Die Geschichte des Leidens knüpfte sich an das Sujet des Wiederaufbaus der Stadt. In dieser Zeit entstand die Parallelisierung des Bombardements mit der Zerstörung der Stadt während des 30jährigen Krieges. 1631 fiel Magdeburg kaiserlichen Truppen zum Opfer, da es die Rekatholisierung verweigerte. Mit diesem Vergleich wurde der Grundstein für eine Erzählung von kollektiver Unschuld und geteiltem Leid gelegt.
In den fünfziger und sechziger Jahren wurde die lokale Gedenkkultur im Zuge der Stalinisierung durch eine nationale Gedenkkultur überformt, die sich während des Kalten Kriegs radikalisierte. DDR-weit dominierte nun die Anklage gegen »anglo-amerikanische Luftgangster«, die aus reiner Mordlust und Zerstörungswut gehandelt hätten. Die erinnerungskulturelle Thematisierung der alliierten Luftangriffe wurde jedoch auf den 13./14. Februar in Dresden zugeschnitten, das sich besser als nationales Symbol eignete. Um den 16. Januar ebenfalls für Gedenkveranstaltungen zu qualifizieren, wurden in Magdeburg nun Superlative des Entsetzens bemüht. Die Magdeburger Volksstimme schrieb am 15. Januar 1952: »Gedenkt der Opfer des anglo-amerikanischen Terrorangriffs, kämpft gegen die Kriegsbrandstifter und für die Erhaltung des Friedens!« Erst zu dieser Zeit entwickelte sich ein jährliches, ritualisiertes Gedenken in Magdeburg.
Die Schärfe der Erinnerungsrhetorik und die Bedeutung des Gedenkens in der Stadt schwankten mit der politischen Konjunktur. Noch in den achtziger Jahren, zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses, gab es Versuche, Magdeburg als »Nagasaki der DDR« eine eigenständige Leidensidentität neben Dresden zu geben. Auch mit den Opferzahlen wurde dabei großzügig umgegangen. Spätestens in den achtziger Jahren kamen seriöse lokalhistorische Forschungen zu dem Ergebnis, dass infolge des Angriffs am 16. Januar 1945 etwa 2 000 Menschen starben. Schon zuvor hatten Zeugenaussagen und Dokumente bewiesen, dass die Zahl der Toten weitaus niedriger war, als die NS-Propaganda vortäuschen wollte. Trotzdem hielt sich die Zahl von 16 000 Toten jahrelang in der Öffentlichkeit, zuweilen stößt man auch heute noch auf sie – und das nicht nur bei den Neonazis.
Nach der Wende verschwand die Anklage gegen die Bomberverbände der Alliierten aus dem öffentlichen Diskurs, die Verlustgeschichte ist jedoch geblieben. Auch der Topos der Trümmerfrau erlebte eine Renaissance. Dass Nazis in Magdeburg seit 1998 öffentlich der Toten gedenken wollten, interessierte in der Stadt lange wenige. Erst 2005 kam es zu großen Protestaktionen von Antifa und einem »Bündnis gegen rechts«.
Die Stadt reagierte, indem sie ihre Bürger ab 2009 zur Teilnahme an der »Meile der Demokratie« des »Bündnisses gegen rechts« aufrief. Die Meile soll Menschen ansprechen, die nicht in Hör- und Sichtweise gegen Nazis demonstrieren wollen oder können. Vereine und Initiativen steuern Beiträge und Stände zum Programm der Meile bei. Kritiker werfen den Initiatoren allerdings vor, lediglich Symbolpolitik und Imagepflege des Standorts zu betreiben. Neben lokalhistorischen Rundgängen zur NS-Vergangenheit stehen auch Laternenumzüge und Tanzkurse auf dem Programm. Trotz aller Kritik wertet man das beim Bündnis »#blockmd« durchaus als Ergänzung zur eigenen Taktik: »Uns verbindet mit dem ›Bündnis gegen rechts‹ vor allem der Ansatz, möglichst jene davon zu überzeugen, an diesem Tag auf die Straße zu gehen, die noch zweifeln, zögern, unsicher sind oder Angst haben. Wir gehen dabei allerdings einen Schritt weiter und wollen die Blockade.«

Ein Statement gegen rechts gehört zum guten Ton des offiziellen Gedenkens. Wer der deutschen Opfer alliierter Bomben gedenken will, muss sich von der neonazistischen Rehabilitation des Nationalsozialismus abgrenzen. Um den »Missbrauch des Gedenkens« anzuprangern, werden zuweilen paradoxe Aussagen getätigt. So will man dem Ankündigungstext für ein jährlich stattfindendes Gedenkkonzert zufolge »die Deutungshoheit über historische Ereignisse nicht jenen überlassen, die unschuldige Opfer instrumentalisieren für die Sanktionierung sehr schuldiger Täter«. Die verschiedenen Deutungen der Luftangriffe sind sich gar nicht so unähnlich. Über die kriegswichtigen Industrien, die Ziel der alliierten Bomber wurden, wird meist geschwiegen. Auch der dem offiziellen Gedenken oft angefügte Satz, wonach der Krieg in sein Ursprungsland zurückgekehrt sei, relativiert die Ursachen der verschiedenen Kriegshandlungen. Die entpolitisierte Darstellung der Luftangriffe im Leidensnarrativ kennt nur unschuldige Opfer. In diesem Sinne werden die Aussagen des gegenwärtigen Gedenkdiskurses bereits im Titel des erwähnten Konzerts auf den Punkt gebracht: »Ein wahres Elend, der verdammte Krieg.«

Mit Dank an Pascal Begrich für lokalhistorische Hinweise.