Norman Podhoretz im Gespräch über die Außenpolitik der USA

»Mir ging es um den Kampf der Ideen«

Der einstige Linke Norman Podhoretz, 1930 in New York City geboren, gilt als einer der wichtigsten Vordenker der neocons der USA. Er war mit Ronald Reagan befreundet, hatte enge Kontakte zu George W. Bush und war außenpolitischer Berater für die Präsidentschaftskampagne des ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani 2008. In seinen Büchern und sonstigen Publikationen fordert Podhoretz vor allem eine offensive Außenpolitik, inbesondere ein militärisches Eingreifen gegen den Iran. Mit der Jungle World sprach er über seinen politischen Werdegang und die derzeitigen außenpolitischen Herausforderungen der USA.

Sie feiern am 16. Januar Ihren 85. Geburtstag. Seit sechs Jahrzehnten sind Sie an wichtigen politischen Debatten in den USA beteiligt, zunächst als Teil der New York Intellectuals, später als einer der viel gescholtenen neocons. Was hat Sie über all die Jahre angetrieben?
Was mich politisch angetrieben hat, war mein Gefühl der tiefen Verbundenheit mit den USA. Als Kind jüdischer Einwanderer aus Osteuropa wuchs ich während der Großen Depression in den dreißiger Jahren auf. Ich war damals alt genug, um zu verstehen, was im Zweiten Weltkrieg los war, aber zu jung, um in der Armee zu dienen, was ich sehr bedauerte. Damals ging eine Welle des Patriotismus durch das Land, die mich ebenfalls erfasste. Ich wuchs mit einer großen Liebe zu Amerika auf und einer großen Identifikation mit seinen Idealen. Als Jude hätte ich mit mehr Diskriminierung rechnen können, aber ich habe in meinen jungen Jahren fast keinen Antisemitismus in Amerika erlebt. Später war es der Antiamerikanismus und der Hass auf die USA in der sogenannten Neuen Linken, der mich meine linken Positionen überdenken ließ. Am Ende dieses Prozesses fand ich mich rechts der Mitte wieder, was dann Neokonservatismus genannt wurde.
In Ihrem Denken waren Demokratie und Freiheit stets wichtige Konstanten. Wer hat sich verändert: Sie oder die Welt?
Wahrscheinlich beide. Aber was gleich blieb, ist meine Liebe zu diesem Land. Mit der Zeit bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die USA nicht nur exzeptionell, sondern ein Höhepunkt der Zivilisation sind, ähnlich wie Perikles’ Athen oder das Elisabethanische England. Nicht etwa, weil wir in den Künsten so bedeutend wären, sondern weil sich die USA zu einem Land entwickelt haben, in dem es mehr Freiheit und mehr Wohlstand gibt, als man es sich jemals erhofft hat. Das sehe ich als eine riesige Leistung, trotz mancher Defizite.
Wie sehen Sie den gegenwärtigen Stand politischer Debatten in den USA?
Was man heutzutage sieht, ist eine schärfere Polarisierung zwischen links und rechts als früher. Der Begriff liberal steht heute in den USA ausschließlich für linke Positionen. Die Demokraten sind eine linke Partei, was nicht immer so war, es gab auch einmal moderate, konservative Demokraten. Die gibt es nicht mehr. Etwas Ähnliches trifft auf die Republikaner zu. Verglichen mit Positionen von vor 40, 50 Jahren haben sie sich nach rechts bewegt. Damit haben wir eine politische Landschaft, die eher dem europäischen Bild entspricht als der traditionellen amerikanischen Politik: Also eine scharfe Trennung zwischen den beiden größten Parteien, die zu einem bitteren Zerwürfnis geführt hat. Es geht nicht nur um Meinungsverschiedenheiten, sondern es ist Hass, insbesondere von der Linken, obwohl auch die Rechte nicht gerade in die Linke verliebt ist.
Jahrzehntelang haben Sie als Herausgeber der Zeitschrift Commentary unterschiedliche Debatten bestimmt. Gibt es solche intellektuelle Foren heute noch?
In der Tat basieren politische Debatten heutzutage weniger auf Ideen und drehen sich eher um Detailfragen einzelner Politikfelder. Es fehlt heute das Bewusstsein für die zugrundeliegenden Haltungen, Ideen und Prinzipien bei den Themen. Aus diesem Grund werden Debatten einerseits viel parteiischer und erbitterter geführt und sind andererseits aus einer intellektuellen Perspektive viel weniger interessant.
Gleichwohl stehen Sie den Republikanern sehr nahe. Schränkt eine solche parteipolitische Nähe nicht die Unabhängigkeit eines Intellektuellen ein?
Meiner Meinung nach sollten Intellektuelle öffentliche Debatten prägen, aus denen dann politische Programme von Parteien hervorgehen. Ich denke nicht, dass Intellektuelle selbst Zehn-Punkte-Programme aufstellen sollten. Mir ging es immer um den Kampf der Ideen, und hieran sollten sich Intellektuelle beteiligen. Ich habe nie Parteiarbeit für die Republikaner gemacht. Für mich war immer entscheidend, ob diese sich, philosophisch gesehen, in die richtige Richtung bewegen.
In den vergangenen Jahren haben Sie sich nur noch gelegentlich zu Wort gemeldet. Warum?
Nach zwölf Büchern und tausenden Artikeln bin ich etwas müde geworden und genieße auch das Leben – ich faulenze zum ersten Mal in meinem Leben ein wenig. Aber mit meinem Buch »World War IV« habe ich mich in die Debatten um den Krieg gegen den neuen Totalitarismus, den »Islamofaschismus«, wie ich ihn nenne, eingeschaltet.
Für Sie ist der Iran Teil dieser Bedrohung. Die Atomverhandlungen mit dem Land wurden gerade verlängert. Wie sehen Sie diese Gespräche?
Die Regierung Barack Obamas möchte eine Einigung mit dem Iran, koste es, was es wolle. Den Iran zu einer Nuklearmacht werden zu lassen, wäre aber eine Katastrophe, die gefährlichste Situation seit der Erfindung der Atomwaffen. Auch wenn es momentan nicht so aussieht, hoffe ich, dass Israel militärisch zuschlägt, bevor der Iran über die Fähigkeit verfügt, Atomwaffen herzustellen. Ich habe nie daran geglaubt, dass Diplomatie oder Sanktionen dies verhindern könnten, und ich denke, ich hatte Recht.
War es dann im Rückblick ein Fehler, 2003 den Irak und nicht den Iran anzugreifen?
Damals gab es ja das Gerücht, jüdische Neokonservative hätten sich verschworen, um im Interesse Israels die USA zum Krieg gegen den Irak zu drängen. Dabei hatten uns die Israelis gesagt, wenn jemand angegriffen werden sollte, dann der Iran – und sie hatten wohl Recht. Aber es gab gute Gründe für den Einmarsch im Irak, ohne die gesamte Diskussion erneut aufzukochen. Rückblickend würde ich sagen, ja, der Iran wäre das richtige Ziel gewesen.
Bereuen Sie Ihre Unterstützung für den Einmarsch im Irak?
Nein, ich denke, er war richtig. Wenn wir alle Geheimdienstinformationen nehmen, die uns damals zur Verfügung standen, dann war die Entscheidung korrekt. Die Probleme entstanden nach der erfolgreichen militärischen Phase. Die USA waren nicht vorbereitet, den Wiederaufbau nach dem Krieg zu übernehmen. Darin sind wir nicht gut. Aber ich denke, wir wären nicht besser dran, wenn Saddam Hussein noch immer an der Macht wäre.
Der damalige Waffengang hat zu einer Stärkung der Isolationisten in den USA geführt. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Das ist richtig, allerdings ist es in den vergangenen Wochen zu einer erneuten Wende gekommen. Die Bilder der entführten und ermordeten Amerikaner in Syrien haben dazu geführt, dass quasi über Nacht die Neoisolationisten ihre Position geändert haben. Die letzten Wahlen im November haben diese Entwicklung bestätigt. Selbst der führende Vertreter dieser Neoisolationisten, Rand Paul, bestreitet jetzt, dass er gegen militärische Einsätze der USA ist.
Freiheit und Demokratie im Nahen Osten waren wichtige Anliegen der neocons. Vier Jahre nach dem Beginn des »Arabischen Frühlings« steht es darum nicht gut. Hat die Entwicklung Ihre Hoffnungen auf Veränderung in der Region erschüttert?
Die optimistischen Prognosen waren vorschnell, das ist richtig. Zu Beginn dachte ich, es könnte bald zu mehr Freiheit und Demokratie in den Ländern führen. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es sehr lange dauert, und ich werde diese Veränderungen nicht mehr erleben. Aber ich glaube nach wie vor, dass es eines Tages in der islamischen Welt gelingen wird – wie und wann, das weiß ich nicht.
Die vergangenen sechs Jahre unter Obama waren vom Rückzug der USA geprägt, das muss einen außenpolitischen Falken wie Sie doch schmerzen.
Es ist eine Katastrophe und wir können die Ergebnisse überall beobachten. Obama wurde von einer politischen Kultur geprägt, über die wir zu Beginn sprachen. Diese sieht die USA nicht als eine Macht des Guten, sondern als das Böse. Deshalb ist es in diesem Denken besser, wenn die USA sich zurückziehen. Diesen Ansatz hat Obama in Politik umzusetzen versucht. Manche sagen, er sei inkompetent. Meiner Meinung nach war er sehr erfolgreich in der Umsetzung seiner Ziele wie dem Rückzug der USA, der Beschneidung der Macht der USA und der Transformation des Landes nach einem europäischen Staatsverständnis.
Wie sehen Sie die geopolitische Zukunft?
Hoffentlich anders und besser. Grundlegende Veränderungen können passieren, ich habe mehrere in meinem eigenem Leben gesehen. Und mit der richtigen politischen Führung könnten wir den Schaden, den Obama angerichtet hat, wieder beheben. Momentan kann ich nicht sagen, wer das sein wird, aber die Republikaner haben einige gute Kandidaten und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie 2016 die Wahl gewinnen.