Die Thronfolge in Saudi-Arabien

Valar morghulis

Der verstorbene saudische König Abdullah galt vielen als Garant für Stabilität. Doch die Verhältnisse unter der absolutistischen Monarchie sind nur scheinbar stabil.

Wer sehnsüchtig auf die nächste Staffel von »Game of Thrones« wartet, kann sich die Zeit damit vertreiben, den Machtkampf im saudischen Königshaus zu verfolgen. Die Sauds ähneln den Freys, weil sie mit diversen Ehefrauen und Konkubinen eine Unmenge von Söhnen zeugen, die mit Posten und Pfründen versorgt werden müssen, mehr aber wohl noch den Lannisters, weil sie andere dafür bezahlen, ihre Kriege zu führen. »Was wir mit dem Schwert gewonnen haben, werden wir mit dem Schwert bewahren«, hätte Tywin Lannister sagen können, tatsächlich aber stellte Nayef bin Abd al-Aziz al-Saud, einer der »sieben Sudairis«, der Nachkommen von König Abd al-Aziz und seiner Hauptfrau, damit klar, was von den gelegentlichen Reformversprechen saudischer Machthaber zu halten ist.
Der neue König Salman gilt zwar als Vermittler innerhalb des Herrscherclans, lehnt aber jegliche Demokratisierung explizit ab, ist noch reaktionärer als der verstorbene Abdullah und zeigt nicht einmal Sinn für traditionelle Tugenden des Königtums wie Freigebigkeit gegenüber den Armen, zu denen entgegen anderslautender Vorurteile ein Drittel der Staatsbürger sowie mehrere Millionen Migranten zählen. In den Jahren 2010 und 2011 ließ Salman als Gouverneur von Riad 60 000 Bettler deportieren oder in Umerziehungslagern inhaftieren.
Zum Thronfolger aufgerückt ist nun Muqrin, doch sagte ein saudisches Regierungsmitglied der Washington Post, Muqrin sei »kein wirklicher Prinz, seine Mutter war eine Sklavin«. Sie war eine jemenitische Konkubine, seinen Aufstieg verdankte Muqrin Abdullah, doch Salmans erste Personalentscheidungen deuten darauf hin, dass er die Macht der Sudairis wieder stärken will.
Viel Zeit hat Salman wohl nicht, umstritten ist nur, ob sein Gesundheitszustand sehr schlecht oder sehr, sehr schlecht ist. »Die scheinbar reibungslose Übertragung der saudischen Macht verdeckt heftige innerfamiliäre Rivalitäten«, stellte 2009 Simon Henderson in einem Bericht des Washington Institute for Near East Policy fest. »Eine Abfolge kurzlebiger, siecher Könige könnte zu politischer Instabilität oder sogar einer Nachfolgekrise führen.« Das ist noch untertrieben. Denn ungeachtet königlicher Säbeltänze und archaischer Ressentiments der Prinzen ist die saudische Monarchie eine moderne Diktatur, jedoch mit einem beispiellos engen Kreis von Mächtigen, die in aller Bescheidenheit das Land nach ihrem Clan benannt haben.
Wer diesen Zustand mit Stabilität verwechselt, hat in den vergangenen Jahren nicht aufgepasst. Nicht anders als im Irak, in Syrien und im Jemen zerfällt die Gesellschaft, die politischen Fraktionen bereiten sich auf einen Machtkampf vor, der umso härter werden wird, je später er offen ausgetragen wird. Doch unverdrossen huldigen die westlichen Regierungen einem Regime, das sich immer wieder als nützlich erwiesen hat, mag ihren Soldaten und Bürgern auch manch eine vom Königshaus oder dessen Günstlingen finanzierte Jihadistenbombe um die Ohren fliegen.
Um ihren Realitätssinn zu schulen, sollten die westlichen Regierungsberater ihre Fantasy-Welt verlassen und sich lieber mit »Game of Thrones« befassen. Dort lernt man: Valar morghulis – alle Menschen müssen sterben. Und auch Dynastien sind nicht unvergänglich.