Die EZB kauft Staatsanleihen

Draghi lockert

Über eine Billion Euro will sich die Europäische Zentralbank (EZB) den Ankauf von Staatsanleihen kosten lassen. Ein Aufschwung ist deswegen nicht zu erwarten.

Den erwünschten Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte Anshu Jain bereits vor jenem denkwürdigen 22. Januar vorgegeben: »Für die Märkte wären 500 Milliarden Euro eine Enttäuschung, 750 Milliarden Euro okay und eine Billion sehr gut«, ließ der Vorsitzende der Deutschen Bank beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Bergdorf Davos wissen, einen Tag bevor Mario Draghi sogar noch mehr ankündigte. Mit monatlich 60 Milliarden Euro in den kommenden 19 Monaten, insgesamt also 1,14 Billionen Euro, will die EZB durch den Ankauf von Staatsanleihen aus den Depots der Banken die Inflation in der Euro-Zone wieder »bis auf die erwünschten zwei Prozent« heben, wie ihr Präsident bei der Vorstellung sagte. Und sollte dieses Ziel nicht innerhalb des vorgesehenen Zeitraums erreicht werden – angesichts einer negativen Inflationsrate von 0,2 Prozent im vergangenen Monat sieht es danach kaum aus –, müsste diese erweiterte quantitative Lockerung der Geldpolitik sogar länger beibehalten werden, so sieht es der Beschluss des EZB-Rats ausdrücklich vor.
Ein Schlag ins Gesicht für die deutsche Regierung, könnte man meinen. Denn vor allem von Deutschland aus, nebst seinen notorischen Unterstützern aus Österreich, den Niederlanden und den baltischen Ländern, war zuvor teilweise wütende Kritik zu hören. Hans-Werner Sinn etwa, der Leiter des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, bezeichnete das Vorhaben als »illegale und unsolide Staatsfinanzierung durch die Notenpresse«. Und nach dem Beschluss war es Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der als erster innerhalb des EZB-Rats opponierte. »Das schleppende Wachstum in Europa geht letztlich auf eine hohe Verschuldung und einen Mangel an Wettbewerbsfähigkeit in einzelnen Ländern zurück.« Dort müssten die Regierungen ansetzen, sagte er der Welt am Sonntag. Vor allem vor den Nebenwirkungen des Beschlusses warnte Weidmann: »Viele Staaten müssten eigentlich Schulden abbauen, doch die Anreize dafür werden nun geringer.«

Während Weidmann weiterhin den austeritätsfixierten bad cop gibt, erweist sich die Bundesregierung als wesentlich flexibler. Zwar hatte Angela Merkel beim Neujahrsempfang der Deutschen Börse, bei der auch Draghi selbst im Publikum saß, noch einen Tag vor der Entscheidung die »Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa« vehement angemahnt, allerdings hatten sie und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sich nach Berichten des Spiegel bereits einige Tage zuvor mit Draghi persönlich über den Kurs verständigt. Dass nun die nationalen Notenbanken für 80 Prozent der Käufe zuständig sein werden, während die EZB lediglich für das verbleibende Fünftel des Volumens die Verantwortung tragen wird, kann dabei genauso als Erfolg deutschen Verhandelns gelten wie die Deckelung der Käufe bei 33 Prozent des jeweiligen Staatsschuldenstandes. Zudem sollen Notenbanken von Staaten, deren Rating durch die einschlägigen Agenturen sinkt, keine weiteren Käufe mehr tätigen dürfen. Damit werden die Risiken nicht nur weitgehend dezentralisiert, sondern das Geld wird auch in Richtung der stabileren Länder innerhalb der Euro-Zone gelenkt.
In Griechenland etwa wird es in naher Zukunft keine Aufkäufe geben können, weil dort die Quote schon deutlich über der vorgeschriebenen Grenze liegt. Einen Tag vor dem Beschluss und angesichts des sich abzeichnenden Wahlsiegs von Syriza hatten die Ökonomen der Commerzbank noch vor einem möglichen »Freibrief für die Linksradikalen« gewarnt – und offenbar damit Erfolg gehabt. Zwar könnte sich dies im Juli ändern, weil dann nach Aussagen Draghis viele der bereits von der EZB aufgekauften Anleihen des Landes auslaufen sollen, allerdings steht kaum zu erwarten, dass sich bis dahin das Rating des Landes von der bisherigen Einschätzung als »Ramsch« weit entfernt haben dürfte. Die griechische Notenbank wird also aller Voraussicht nach weiterhin von den Programmen ausgeschlossen bleiben.
Zudem sollen die Notenbanken zwar vor allem die Anleihen des eigenen Staats ankaufen, da sie aber für die Risiken nun selbst verantwortlich sein werden, wird allgemein erwartet, dass sie auch die Anleihen der stabileren EU-Länder kaufen könnten. Deutschlands Zugriff auf billiges Geld – zuletzt hatten Bundesanleihen sogar Negativzinsen ausgewiesen – wird sich also wohl weiter ausdehnen. Bereits Schäubles »schwarze Null« hatte nicht zuletzt darauf gefußt. Draghis Forderung nach »höheren staatlichen Investitionen in jenen Euro-Ländern, die es sich leisten könnten«, also vor allem in Deutschland, wäre damit Genüge getan. Vor allem aber ist die Bunderegierung damit die Diskussionen über zukünftige Finanzierungszusagen für Investitionen in Europa erst einmal los.

Richtig gefeiert wurde aber vor allem an den Börsen. Am Tag nach der Entscheidung stieg der Deutsche Aktienindex (DAX) auf einen Sieben-Jahres-Höchststand und noch in den USA waren die Auswirkungen zu spüren. Der Dow-Jones-Index legte um 259 Punkte – immerhin etwa 1,5 Prozent – zu. Auf den Punkt brachte die Partystimmung der Vorstandsvorsitzende des weltweit größten Vermögensverwalters »Black Rock«, Laurence Fink, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor seinesgleichen die zukünftigen Erträge in zwei- bis dreistelligem Milliardenbereich seinem Wohltäter widmete: »Wir haben in den letzten paar Jahren die Erfahrung gemacht, dass wir Mario vertrauen müssen. Der Markt sollte niemals, das haben wir jetzt gesehen, er sollte niemals an Mario zweifeln.«
Der Gepriesene dürfte allerdings gehörige Selbstzweifel haben. In einem Interview mit der Zeit, in dem er ausdrücklich für »die Glaubwürdigkeit unseres Inflationsziels« warb, musste er selbst eingestehen, nur eines der Hindernisse für einen neuen Aufschwung beseitigen zu können. Das »Risiko eines realwirtschaftlichen Teufelskreises« aus geringer Investitionstätigkeit, steigender Arbeitslosigkeit, fehlendem Wachstum und weiterem Nachlassen der Investitionen, vor dem der Chefökonom der EZB, Peter Praet, noch kürzlich gewarnt hatte, ist allein durch die Entscheidung der EZB keineswegs gebannt.
Denn ob die Banken, durch EZB und nationale Notenbanken von ihren bleischwer in den Depots lagernden Staatsanleihen befreit, das Geld als Kredite weitergeben werden, ist überhaupt nicht ausgemacht. An wen auch? Schon jetzt sollen nach Angaben des Weltwirtschaftsforums rund 25 Billionen US-Dollar in Steueroasen oder auf Firmenkonten gelagert sein, für die es offensichtlich keine Investitionsmöglichkeiten gibt. Angesichts von Überkapazitäten im produzierenden Gewerbe spricht vieles dafür, dass Geld eher in die diversen spekulativen Finanzprodukte fließen wird. Angesichts der daraus zu erwartenden gigantischen Verwerfungen und der durch die fortdauernde Verschuldung der Staaten hervorgerufenen Handlungsunfähigkeit der Regierungen könnte sich mancher Finanzpolitiker das derzeitige »Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung« – wie John Maynard Keynes die ähnliche Situation während der Großen Depression in den Dreißigern nannte – noch zurückwünschen. Bereits Karl Marx hatte einst im »Kapital« festgestellt, dass die »Staatsschuld« zumeist vor allem eines hervorgebracht habe: »das Börsenspiel und die moderne Bankokratie«.

Sicher dagegen ist, dass diese Erweiterung der expansiven Geldpolitik der EZB den seit Jahren herrschenden Währungskrieg zwischen den Wirtschaftstandorten und -blöcken nochmals verschärfen wird. Der Wert des Euro, ohnehin bereits der niedrigste der vergangenen elf Jahre, wird in den kommenden Monaten weiter sinken – zum Vorteil der europäischen Exportwirtschaft. Während die USA und Japan bereits seit geraumer Zeit durch die als quantitative easing (quantitative Lockerung) bezeichneten Programme des Ankaufs von Anleihen durch die Notenbanken und mit frischem Geld den Wert ihrer Währungen zu drücken suchten, ziehen nun immer mehr Regierungen beziehungsweise Notenbanken nach. Im Zuge der Diskussionen in der Euro-Zone hatten in den vergangenen Wochen nun auch die Zentralbanken Dänemarks, der Türkei, Indiens, Perus, Kanadas und Australiens angekündigt, ihre Zinssätze zu senken, was den Kurs ihrer Währungen schwächen würde. Und China weigert sich weiterhin, den Kurs des unterbewerteten Renminbi freizugeben.
Angesichts der Verschärfung des Währungskriegs wird so auch diesem Versuch, mittels »der Wünschelrute« (Marx) das unproduktive Geld der Staatsschuld in Kapital zu verwandeln, wenig Erfolg beschieden sein. Und auch ein Ende der rigiden Wettbewerbsorientierung in der EU ist nicht in Sicht. Auch darauf hat Draghi in den vergangenen Tagen wiederholt hingewiesen. »Die Produktivität muss insbesondere in den Ländern des Südens zunehmen«, gab er in dem großen Zeit-Interview etwa zu Protokoll. Nichts Neues also in Europa. Anshu Jain immerhin scheint es zu freuen.