Die Bürgerschaftswahl in Hamburg

Die Gefahrengebieter

Am Sonntag findet in Hamburg die Bürgerschaftswahl statt. Eine andere Regierungspolitik ist nicht in Sicht.

Langsam fließt die Elbe durch die Stadt, gemächlich verläuft der Wahlkampf für das Hamburger Landesparlament. Seit 2011 stellt die SPD, nach einer Unterbrechung von zehn Jahren, wieder den Bürgermeister. Offen scheint nach derzeitigen Umfragen nur, ob sie erneut die absolute Mehrheit erreicht oder einen Koalitionspartner benötigt, wofür Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zuerst die Grünen ansprechen will. Falls der AfD und der FDP neben SPD, CDU, Grünen und der Linkspartei der Einzug in die Bürgerschaft gelingt, wovon die Demoskopen derzeit ausgehen, dürfte es für die SPD wohl nicht zur absoluten Mandatsmehrheit reichen. Anfang Januar hatte Scholz seinen Senatoren und Senatorinnen bei einer informellen Besprechung zugesagt, dass sie im Fall des erwarteten Wahlsiegs im Amt bleiben können, die einzige Unwägbarkeit seien lediglich eventuelle Koalitionsverhandlungen.

Bis auf eine vierjährige Unterbrechung in den fünfziger Jahren, als CDU, FDP und die Partei der »Heimatvertriebenen« mit einem sogenannten Bürgerblock regierten, war in Hamburg der Landesverband der SPD, der auch CSU des Nordens genannt wird, an der Macht. Helmut Schmidt (SPD), der es vom Hamburger Innensenator zum Kanzler gebracht hat, gilt als beliebtester Altkanzler der Republik. Als sich der seinerzeit 93jährige Schmidt 2011 öffentlich für den Spitzenkandidaten Scholz engagierte, brachte das Scholz einige Prozentpunkte, insbesondere im autoritär strukturierten, kleinbürgerlichen Milieu, aus dem sich 2001 viele von der SPD abgewandt hatten.
Damals kam die neugegründete »Partei Rechtsstaatliche Offensive« unter der Führung von Ronald Barnabas Schill aus dem Stand auf 19,4 Prozent, mit Stimmen von Wählern, die 1997 noch ihr Kreuz bei der SPD oder der deutschnationalen DVU gemacht hatten. Schill, aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen im Schanzenviertel, hatte es bis zum Amtsrichter gebracht und sich medienwirksam als »Richter Gnadenlos« inszeniert, der gegen die Kriminalität, die seiner Ansicht nach unter dem ersten rot-grünen Senat ausgeufert war, autoritärere Antworten propagierte. Dass die SPD damals abgewählt wurde, weil sie nicht mehr als Partei von Law and Order wahrgenommen wurde, hat in der Parteispitze niemand vergessen. Scholz, der kurzzeitig Innensenator im rot-grünen Senat war, hatte 2001 noch vergeblich versucht, mit einem schärferen Vorgehen der Polizei gegen Drogenhändler und als solche verdächtigte afrikanische Flüchtlinge die Law-and-Order-Kompetenz zu betonen.
Nur aus dieser Vorgeschichte der enormen Stimmenverluste an die Schill-Partei ist es zu erklären, dass der derzeitige Innensenator der SPD, Michael Neumann, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, die Polizeiführung nahezu unkontrolliert schalten und walten lässt. Als am 21. Dezember 2013 die große Solidaritätsdemonstration für die Rote Flora und die Lampedusa-Flüchtlingsgruppe nach 20 Metern von der Polizei gestoppt und angegriffen wurde, hatte diese Entscheidung der Einsatzleiter vor Ort, Hartmut Dudde, getroffen. Nach Absprache mit Peter Born, dem damaligen Gesamteinsatzleiter der Hamburger Polizei. Beide wurden nach 2001 vom damaligen Innensenator Schill und von dessen Nachfolger und Parteifreund, Dirk Nockemann, protegiert und befördert.
Bis heute wirkt in Hamburgs Polizeiführung die Personalpolitik der Schill-Partei fort. Auch die Deklarierung der Gefahrengebiete Anfang 2014 setzte die Polizeiführung eigenmächtig durch, der Innensenator erfuhr erst später davon, im Nachhinein gab er uneingeschränkt Rückendeckung. Als Born, der für sein hartes Vorgehen gegen linke Demonstrationen bekannt war, im April pensioniert wurde, war es keine Überraschung, dass Dudde zum Nachfolger bestellt wurde. Der Innensenator und der SPD-Senat stecken lieber Kritik an überzogenen Polizeieinsätzen ein, als sich mit der Polizeiführung anzulegen. Auch dass Hamburgs Verwaltungsgerichte mehrfach von der Polizeiführung verfügte Einschränkungen, Verbote und Einsätze als Verstöße gegen das Demonstrationsrecht werteten, war für Hamburgs SPD-Führung kein Anlass, Konsequenzen zu fordern.
Dass in der Hamburgischen Bürgerschaft dennoch Kritik laut wird, liegt vor allem an den innenpolitischen Sprecherinnen von Grünen und Linkspartei, Antje Möller und Christiane Schneider. Aber auch der Rückhalt ihrer Fraktionen nützt kaum, denn die CDU stützt als größte Oppositionspartei den innenpolitischen Kurs der SPD und versucht allenfalls, sich mit Forderungen nach einem noch schärferen Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft zu profilieren. Entsprechend schlecht ist es auch um die parlamentarische Aufarbeitung des von der Polizeiführung verantworteten, offensichtlich ungesetzlichen, verdeckten Einsatzes der Staatsschützerin Iris P. zur Ausforschung des Radiosenders FSK und der linken Szene bestellt. Mit Glück könnte sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in der neugewählten Bürgerschaft durchsetzen lassen. Der Einsatz von Iris P. begann übrigens schon zu Zeiten des rot-grünen Senats, offiziell im April 2001, unter dem Innensenator Scholz.

Scholz kann sich als unangefochtener, auch autoritärer Vorsitzender der Hamburger SPD wie als Bürgermeister einer breiten Zustimmung in Partei und Wählerschaft erfreuen. 70 Prozent würden ihm laut Umfragen bei einer Direktwahl die Stimme geben. Dietrich Wersich, der nahezu unbekannte Gegenkandidat der CDU, käme auf 18 Prozent. Kein Wunder, dass die Wahlkampagne der SPD so wirkt, als ständen hier Scholz und Co. zur Wahl: Scholz’ Konterfei ziert Großplakate in der Stadt, daneben oft nur ein Wort, wie »Wohnungsbau« oder »Kita-Ausbau«. Das Image des Machers kommt gut an beim Wahlvolk. »Hamburg weiter vorn«, der häufigste Slogan auf SPD-Plakaten, perpetuiert diese Vorstellung. Im Internet kursiert das Foto eines solchen Plakats mit der gesprühten Ergänzung »beim Abschieben«.
Die Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge steht derzeit im Mittelpunkt der linken Proteste in Hamburg. Unter dem Motto »Recht auf Stadt – Never mind the papers!« wird eine Teilhabe Geflüchteter am städtischen Leben gefordert: Wohnungen statt Lagerunterbringung, Daseinsfürsorge auch ohne Aufenthaltserlaubnis und ein Ende der Abschiebungen. Ende Januar demonstrierten 8 000 Menschen für diese Forderungen, Wahlkampfveranstaltungen wurden von entsprechenden Protesten begleitet. Aber auch wenn das Eintreten der als Lampedusa-Flüchtlinge bekanntgewordenen Gruppe für ein kollektives Bleiberecht in den vergangenen zwei Jahren zu einer über antirassistische Initiativen hinausreichenden Solidarisierung geführt hat – der SPD-Senat hat keinerlei Zugeständnisse gemacht, sondern beharrt auf Einzelfallprüfungen, die auch mit Abschiebungen enden könnten. Zudem lässt die Hamburger Ausländerbehörde auch im Winter Abschiebungsbescheide vollstrecken. Entsprechend des Bundesratsbeschlusses vom Dezember erfolgen dieses besonders häufig in die neuerdings »sicheren Herkunftsstaaten« auf dem Balkan. Mitte Januar wurden Hakija und Sabina Seferovic mit ihren beiden kleinen Töchtern in ein Flugzeug nach Bosnien gesetzt. Etwa 50 Unterstützer »stellten sich in den Weg«, so die Abgeordnete Schneider: Beim Polizeieinsatz kam es zum Einsatz von »Pfefferspray, vereinzelt Schlagstock, ein Verletzter musste ins Krankenhaus«. In Bosnien erwartete die Roma-Familie keine Wohnung. Sie kam provisorisch bei Bekannten unter. Das ist kein Einzelfall, dabei hatten viele 2012 nach der Ernennung der neuen Leiterin der Ausländerbehörde, Johanna Westphalen, mehr Humanität erwartet. Westphalen ist Mitglied der Grünen.