Eine Ausstellung in Berlin über die Herrschaft der Roten Khmer

Killing Fields Revisited

Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste setzt sich mit den Folgen der Herrschaft der Roten Khmer auseinander.

Der Saal ist voll, das Publikum schon etwas betagt. Auch einige Podiumsgäste, die auf der Eröffnungsveranstaltung unter dem Titel »Ideologie und Irrtum. Die Roten Khmer und die Linke« diskutieren, haben noch das sogenannte »Rote Jahrzehnt« mitgeprägt. Da ist zum Beispiel Gerd Koenen, der diesen Begriff erfunden hat und damals dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) angehörte. Neben ihm sitzt Michael Sontheimer, 1979 Mitbegründer der taz. Ebenfalls auf dem Podium sitzt Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste. Außerdem nehmen der Historiker Hannes Riemann und der Ausstellungskurator Nico Mesterharm am Gespräch teil – das Wort führen allerdings vor allem Koenen, Staeck und Sontheimer.
Knapp 40 Jahre nach der Eroberung Phnom Penhs durch die maoistisch-nationalistische Guillerabewegung Rote Khmer ist in der Berliner Akademie die Ausstellung »Die Roten Khmer und die Folgen – Dokumentation als künst-
lerische Erinnerungsarbeit« zu sehen. Sie zeigt Positionen von kambodschanischen Künstlern, die sich mit Geschichte und Gegenwart des Landes auseinandersetzen. Dem gegenüber gestellt sind internationale Arbeiten, etwa von Tim Page, die sich dem Thema aus einer Außenperspektive nähern.
»Vietnam war, mehr als Auschwitz, der Moment über den ich mich politisiert habe.« Diese Feststellung Michael Sontheimers bei der Podiumsdiskussion bringt das politische Koordinatensystem vieler junger westdeutscher Linker in den sechziger und siebziger Jahren auf den Punkt. Die Shoa wurde als Nebeneffekt des Nationalsozialismus begriffen und spielte eine untergeordnete Rolle. Die Blockkonfrontation im Kalten Krieg und eine vulgärmarxistische Klassen- und Faschismustheorie waren bedeutsamer für das politische Bewusstsein.
Die Abbildung des Titelblattes einer Betriebszeitung der KPD/ML, einer der maoistischen Kaderorganisationen, denen sich nach der »Liquidierung der antiautoritären Phase« Zehntausende aus der Protestgeneration zuwandten, ist auf der Leinwand neben dem Podium zu sehen. »Nixon, Kambodscha und wir« ist darauf zu lesen, das »x« zu einem Hakenkreuz stilisiert. Die Neue Linke entdeckte den Faschismus im US-Imperialismus und wandte sich den nationalen Befreiungsbewegungen zu, denen qua Existenz schon zugestanden wurde, für Wahrheit und Gerechtigkeit einzutreten. Zum westlichen Internationalismus gehörte ein mythologischer Kult um das »Volk«.
Die K-Gruppen stellten eine Besonderheit dar. Ihre Anhänger hatten sich dem traditionellen Marxismus-Leninismus verschrieben und haderten daher mit der »revisionistischen« So-wjetunion. Sie suchten und fanden das neue »Sozialistische Vaterland« in der Volksrepublik China und ihren Verbündeten. Jede Volksbewegung, jedes sich sozialistisch oder national nennende Regime konnte als Projektionsfläche für die Vorstellungen hiesiger Linker dienen. Dazu gehört auch eine Episode, an die sich heute niemand mehr gern erinnert: die Faszination für die kambodschanische Revolution. Damals wurden die Roten Khmer als Teil der Vereinigten Nationalfront von Kampuchea (FUNK) von den Marxisten-Leninisten umschwärmt.
Nachdem das kambodschanische Staatsoberhaupt Prinz Sihanouk im Jahr 1970 vom US-freundlichen General Lon Nol gestürzt worden war, entdeckten die K-Gruppen Kambodscha und eben: sein Volk. Schon bald wurde die »Kambodscha-Solidarität« in den Indochina-Komitees des KBW und der Liga gegen den Imperialismus der KPD(AO) organisiert. Mit der Einnahme der Hauptstadt Phnom Penh durch die Roten Khmer wurde der »Sieg im Volkskrieg« – so eine damals weit verbreitete Parole – gefeiert. Berichte von Flüchtlingen über Menschenrechtsverletzungen wurden ignoriert oder als CIA-Propaganda abgetan. Zwar häuften sich solche Nachrichten ab 1977, jedoch hielt das eine Delegation des KBW nicht ab, noch 1978 auf Einladung des Regimes das Land zu besichtigen. Dort sahen die Anhänger, was sie sehen sollten – und wollten. Gerd Koenen, damals selbst mit dabei, nennt dies heute den »linken Negationismus«. Das antiimperialistische Weltbild der K-Gruppen erkannte im Verweis auf die Gräueltaten den Versuch, die Folgen des vorangegangenen US-Bombardements zu vertuschen.
Etwa 1,7 Millionen Menschen – die Angaben schwanken – fielen dem Terror der Roten Khmer zum Opfer oder starben an Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Bürgerliche Medien verweisen auf den »Ultra-Kommunismus« der Roten Khmer oder verwenden den extra erfundenen Begriff des »Autogenozids«. Die Suggestion: Kommunismus will vor allem Gleichmacherei und wenn es sein muss, greift dafür auch zum Völkermord. Der australische Historiker Ben Kie-rnan sieht in seinem Buch »How Pol Pot came to power« jedoch einen »Ultra-Nationalismus« am Wirken. Die Roten Khmer amalgamierten rassistische Vorstellungen vom Volk der Khmer mit Begriffen des internationalen Kommunismus. Angehörige ethnischer Minderheiten wurden deportiert, litten unter besonders schle- chten Bedingungen oder fielen »ethnischen Säuberungen« zum Opfer. Die tradierte Feindschaft zwischen Khmer und Vietnamesen wurde herangezogen, um Massensäuberungen in Partei und Bevölkerung durchzuführen: Die Roten Khmer jagten vermeintliche Verräter, denn diese hätten zwar »kambodschanische Körper«, jedoch mit »vietnamesischen Gedanken«.
Schließlich zettelte das Regime einen Krieg mit der Volksrepublik Vietnam an und wurde von deren Truppen zu Beginn des Jahres 1979 gestürzt. Vietnam installierte eine Marionettenregierung. Teile der internationalen Gemeinschaft wollten sich nicht bieten lassen, dass die Sowjetunion nun einen Fuß in Kambodschas Tür hatte und erkannten die neue »Volksrepublik Kampuchea« nicht an. So behielten die Roten Khmer als Teil verschieden zusammengesetzter Exilregierungen bis zu Beginn der neunziger Jahre den Sitz Kambodschas bei den Vereinten Nationen. Auch logistische Unterstützung im Guerillakrieg gegen die neue provietnamesische Regierung soll es aus dem Westen gegeben haben.
Der Verweis auf die Irrungen und Wirrungen der westdeutschen Linken fällt heute leicht. Dass die K-Gruppen eine absurde Angelegenheit waren, ist weitgehend Konsens. Gerd Koenen rechtfertigt sich mehrfach während der Podiumsdiskussion für die ideologische und praktische Unterstützung des KBW. Klaus Staeck hingegen erwähnt gleich zu Beginn triumphierend, dass er schon immer in der SPD war. Dass auch das Kabinett von Helmut Schmidt die Roten Khmer nach ihrem Fall als rechtmäßige Regierung Kambodschas anerkannte, wird da zur Randnotiz. Während sich Koenen und andere frühere Mitglieder der Politsekten heute auf die schwierige Informationslage in den siebziger Jahren berufen, können westliche Regierungen und ihre Parteigänger diese Trumpfkarte nicht ausspielen.
Und auch der Nazi-Vergleich saß nicht nur bei den Linken recht locker. Michael Sontheimer konstatiert die deutsche Gefühlslage zu den Verbrechen der Roten Khmer: »Der Vergleich mit dem Holocaust war allgegenwärtig.« So schrieb der Spiegel 1977 vom »KZ-Kambodscha« und von der dortigen »Endlösung«. 1982 erschien ein Buch mit dem Titel »Holocaust in Kambodscha«. Zu dieser Zeit entwickelte sich in Folge der Ausstrahlung der US-Serie »Holocaust« in Deutschland zum ersten Mal eine öffentliche Auseinandersetzung über die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden.
Schließlich stellt jemand aus dem Publikum die Frage nach der Aufarbeitung der Vergangenheit in der kambodschanischen Gesellschaft. Deutschland könne ja als Vorbild dienen. Doch Sontheimer weist dies als »Aufarbeitungspatriotismus« zurück. Der Vergleich hinkt an vielen Stellen, egal ob es um Ideologie, Reaktionen der internationalen Gemeinschaft oder den Umgang der kambodschanischen Gesellschaft mit der Vergangenheit geht.

Die Roten Khmer und die Folgen – Dokumentation als künstlerische Erinnerungsarbeit. Akademie der Künste, Berlin. Bis 1. März