Wie Deutschland auf die Flüchtlinge aus dem Kosovo reagiert

Armut ist keine Bagatelle

Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo nimmt zu. Das Bundesinnenministerium reagiert auf diese Entwicklung mit einer Beschleunigung der Asylverfahren für Flüchtlinge aus dem Kosovo, um eine schnelle Abschiebung herbeizuführen. Die bayerische Landesregierung fordert, den Kosovo als »sicheres Herkunftsland« einzustufen.

Respekt bringen die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Pristina ihrem Gastland nicht entgegen. Wer sich im Kosovo an die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik wenden möchte, muss das in Deutsch oder Englisch und zwar online machen. Die deutschen Repräsentanten versuchen, sich so gut wie möglich von den Menschen im Kosovo abzuschotten. Das soll nach den Wünschen der Diplomaten auch Deutschland so halten. Eine »Asyllawine« aus dem Kosovo sei in Gang gekommen, heißt es in einem Brief der Botschaft an das Auswärtige Amt. Es komme zu einem »Massen-Exodus«. Nötig sei eine »Hauruck­aktion des Bundes und der Länder«, denn »erst wenn eine größere Anzahl von Kosovaren medienwirksam per Sammel-Charterflieger zurückkehrt«, spreche sich herum, »dass sich illegale Einwan­derung nach Deutschland nicht rechnet«.

Da sind sie wieder, die Bilder, in denen Menschen mit Naturkatastrophen gleichgesetzt werden. Das erinnert fatal an die Diskussion Anfang der neunziger Jahre. Damals folgten auf eine widerwärtige, von Politikern und Medien angezettelte Kampagne gegen Menschen auf der Flucht, Anschläge und Überfälle, und schließlich die faktische Abschaffung des Asylrechts in Deutschland. Dieses Muster ist offenbar jederzeit reaktivierbar. »Wir sind nicht das Sozialamt vom Balkan«, sagt der Präsident des Bayerischen Landkreistags und Deggendorfer Landrat, Christian Bernreiter (CSU), angesichts der aus dem Kosovo fliehenden Menschen. ZDF-Moderator Peter Hahne, erklärter Christ, verteidigt in der Bild am Sonntag solche Aussagen. »Man kann doch nicht warten, bis ein Sechstel der Gesamtbevölkerung des Kosovo bei uns ist!« schreibt er. Doch es würden jene diffamiert, die sagten, Deutschland könne nicht das Sozialamt für die Welt sein. »Dieses falsch verstandene Gutmenschentum macht AfD, Pegida, Sarrazin & Co. zu politischen Hauptgewinnern«, echauffiert er sich. »Die können jetzt sagen: Wir wussten doch, dass mit der Einwanderung etwas schief läuft.«
Die Masche ist immer die gleiche: Ressentiments schüren, um dann so zu tun, als wolle man sich dagegen wenden. Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Marcel Huber (CSU), behauptet, Familien kämen zum Überwintern nach Deutschland, um sich hier medizinisch versorgen zu lassen und dann mit »einem Abschiedsgeld« zurückzugehen. Die Politik müsse handeln, fordert Huber. »Ich habe große Sorge, dass sonst die Stimmung kippt.« So schürt man gezielt Ressentiments gegen Menschen, die Mitgefühl verdient haben.

»Die CSU-Politik verfällt in einen Abwehrreflex und rechte Parolen gegen Flüchtlinge«, erklärt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. »Durch nichts haben bayerische Politiker bislang zu erkennen gegeben, dass sie nach den Ursachen der plötzlichen Auswanderungszahlen in Kosovo gefragt hätten.« Wie viele Menschen genau aus dem Kosovo in den vergangenen Wochen ausgereist sind, hat niemand gezählt. Schätzungen sprechen von bis zu 18 000 Menschen, die seit Jahresbeginn aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen sind. 3 630 von ihnen haben nach Angaben des Innenministeriums im Januar einen Asylantrag gestellt.
Die Akzeptanz gegenüber den Eingereisten wird nicht erhöht, wenn man regelmäßig erklärt, dass sie kaum eine Chance auf Anerkennung als politische Flüchtlinge haben. Die mittlerweile übliche Unterteilung in die erwünschten, aus poli­tischen Motiven Geflohenen und in die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge hat schlimme Auswirkungen. Selbst Nazis und Pegida erklären, dass sie nichts gegen politisch Verfolgte haben. Aber in ihrer Ablehnung von Wirtschaftsflüchtlingen und dem drängenden Wunsch nach deren schneller Abschiebung können sie sich mit der gesellschaftlichen Mehrheit einig sehen. Die Folge: Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist bereits vor der Debatte um die Menschen aus dem Kosovo drastisch gestiegen, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei ergab. Seit 2012 hat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte versechsfacht. Damals lag die Zahl der von der Bundesregierung erfassten Attacken bei 24, 2013 bei 58 und im vergangenen Jahr bei 150. Allein in den letzten drei Monaten des Jahres 2014 gab es nach Angaben der Bundesregierung 67 Übergriffe auf Flüchtlingsheime und ihre Bewohner.
In Kommentaren und Debattenbeiträgen wird oft eine Verbindung zwischen der steigenden Zahl von Anschlägen und der islamfeindlichen Pegida-Bewegung gezogen, die im Oktober 2014 ihren Aufschwung nahm. Tatsächlich hat sie, auch wenn sie im Westen nicht Fuß fassen konnte, die Diskussion in Deutschland weit nach rechts verschoben. Pegida scheint sich zwar mehr und mehr zu zerlegen. Doch ihre migrantenfeindlichen Botschaften erleben durch die Debatte um die Flüchtlinge aus dem Kosovo einen neuen Aufschwung. »Offensive gegen Masseneinwanderung«, freut sich Focus Online.

Als die deutsche Regierung die Menschen im Kosovo für den Kampf gegen Serbien instrumentalisieren konnte, hatte ihr Schicksal einen hohen Stellenwert für sie. Damals ging es um die staatliche Unabhängigkeit, die den EU-Staaten und ihren geostrategischen Plänen gelegen kam. Deshalb unterstützten sie die kosovarischen Se­paratisten im Kampf um die Unabhängigkeit, die wirtschaftlich gesehen einfach Wahnsinn ist. Doch wie die Menschen in dem Kleinstaat ökonomisch zurechtkommen, ist den EU-Verantwort­lichen und der deutschen Regierung gleichgültig. Nach den Zahlen der UN leben 17 Prozent der 1,8 Millionen Bewohner des Kosovo in extremer Armut und haben am Tag weniger als 0,94 Euro zur Verfügung. 45 Prozent leben in absoluter Armut mit einem Betrag von 1,42 Euro am Tag. 16 Prozent der Kinder leiden aufgrund von Ernährungsmangel an Wachstumsstörungen. Schätzungsweise 40 Prozent der Einwohner sind arbeitslos, unter den Jugendlichen sind es 70 Prozent. Korruption und organisierte Kriminalität blühen unter den Augen der EU-Aufseher im Land, ohne die keine Regierung zustande kommt. »Der Kosovo leidet an massiven Defiziten bezüglich fast aller Strukturen, die Staatlichkeit ausmachen«, stellte die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl fest.
Abschreckung und Abschiebung statt Armutsbekämpfung ist das Credo der Bundesregierung und der Landesinnenminister angesichts fliehender Menschen. Das Bundesinnenministerium entsendet 20 Bundespolizisten, die ihre serbischen Kollegen bei Passkontrollen unterstützen sollen. Die Innenminister der Länder verständigten sich darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg innerhalb von zwei Wochen bearbeiten soll – also ablehnen soll. »Die Menschen im Kosovo müssen wissen, dass ihre Hoffnung auf ein neues Leben in Deutschland reine Illusion ist«, sagt Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD). Flüchtlinge aus dem Kosovo sollen an wenigen Punkten gesammelt untergebracht werden, damit sie komplikationslos abgeschoben werden können. Und zwar so schnell wie möglich, lautet die Forderung von Politikern der Union und SPD bis hin zum grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

Die bayerische Landesregierung will über eine Initiative im Bundesrat erreichen, dass der Kosovo als »sicheres Herkunftsland« eingestuft wird. Dann müssen die Anträge auf Asyl nicht einmal mehr pro forma geprüft werden. Noch ist Kretschmann weder dafür noch dagegen. Doch nach seiner Zustimmung zur Einstufung anderer Balkanstaaten als »sichere Herkunftsländer« ist von ihm kein Widerstand dagegen zu erwarten. Anders als bei der Linkspartei. Jeder Asylsuchende habe ein Recht auf ein faires Verfahren, sagt die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. »Das darf nicht jedes Mal, wenn die Zahl der Flüchtlinge aus einem Staat steigt, in Frage gestellt werden«, erklärt sie. »Reflexhafte Forderungen nach Verfahrensbeschleunigung und schnelleren Abschiebungen mögen Stimmungen in der Bevölkerung bedienen, in der Sache helfen sie nicht weiter.«
Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl warnt davor, den Kosovo als sicheres Herkunftsland einzustufen. »Die individuelle Prüfung ist das Herzstück des Asylverfahrens«, so Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl. Die Organisation wendet sich gegen die Bagatellisierung von existenzbedrohender Armut und Diskriminierung in den Westbalkanstaaten. Auch wenn das in der aktuellen Debatte untergeht: Im Kosovo werden Angehörige von Minderheiten wie Roma nach wie vor ausgegrenzt. »Statt aktionistisch das Asylrecht auszuhöhlen, sollten Armutsbekämpfung und Minderheitenschutz in den Balkanstaaten effektiv gefördert werden«, fordert Mesovic. Die EU und die deutsche Regierung haben viele Gelegenheiten verstreichen lassen, etwas für bessere Lebensverhältnisse im Kosovo zu tun. Das wird sich wohl erst ändern, wenn die Kosovaren für sie wieder geostrategisch interessant werden.