Besuch in der Zentrale der Fair Wear Foundation in Amsterdam

Fair Wear sells

Kaum ein Jahr vergeht ohne Skandale im internationalen Textilsektor. Mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und die nicht ausreichende Statik vieler Gebäude haben in den vergangenen Jahren zu verheerenden Unglücken geführt. Auch die Arbeitsbedingungen in der Branche werden immer wieder von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften kritisiert. Dass es auch anders geht, zeigt die niederländische Fair Wear Foundation.

Der Taxifahrer nimmt routiniert die Kurve zum Eingang des Industriegeländes, biegt links ab und passiert einige Hallen, bevor er wieder ins Lenkrad greift und auf ein Hallentor ganz am Ende des Gewerbegebiets von Haarlem zusteuert. »Kuyichi« ist darauf in kleinen Lettern zu lesen. Der Fahrer ist nicht zum ersten Mal hier. »Viele Kollegen haben sich schon verfahren, so dass die Firma nun immer bei uns anruft, wenn Besuch ansteht«, sagt er lächelnd.
Kuyichi ist eine Modefirma mit ungewöhnlichem Hintergrund. Die Marke wurde 2001 gegründet, als die holländische Entwicklungsorganisation Solidaridad Biobaumwolle anbot, aber niemand sich traute, daraus modische Jeans zu entwerfen.
»Kuyichi ist von Solidaridad gegründet worden, um die Biobaumwolle aus Peru zu verarbeiten. Das tun wir heute noch. Nur kommt die Biobaumwolle heute eher aus Indien«, sagt Hester Bos. Die Textilexpertin sitzt am massiven Konferenztisch, neben dem eine viermal sechs Meter große Wand ins Auge fällt, die mit Jeans in allen Farben bedeckt ist. Es versteht sich von selbst, dass sie alle aus der Produktion des kleinen, erfolgreichen Jeanslabels stammen.
Kuyichi ist ein Pionier, denn Jeans aus Biobaumwolle gab es vor der Gründung der Marke aus Haarlem nirgendwo. Haarlem ist die Hauptstadt der Provinz Nordholland, jedoch nur eine 20minütige Bahnfahrt von Amsterdam entfernt. Die Nähe zu Amsterdam und die deutlich niedrigeren Quadratmeterpreise gaben den Ausschlag für die Ansiedlung im dortigen Industriegebiet. Dieses befindet sich nur einige Kilometer vom Bahnhof entfernt und die meisten der 20 Kuyichi-Mitarbeiter pendeln zwischen Amsterdam und Haarlem. Auch Hester Bos, die bei Kuyichi für Corporate Responsibility verantwortlich ist – also dafür, dass Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Unternehmensverantwortung nicht auseinanderklaffen. Das ist in der Textilbranche oft der Fall, wie die Skandale der vergangenen Jahre in Bangladesh, Indien oder China zeigen, wo Unternehmen wie KiK, Primark und C&A ein Großteil ihrer Bestellungen platzieren. »Preis und zeitnahe Lieferung sind dabei die beiden Voraussetzungen, um die sich alles dreht«, erklärt Bos. Die rothaarige Holländerin war früher für ein großes Markenunternehmen in China tätig und kennt die Gesetze der Branche.

Diese beginnen sich langsam zu ändern. Kleine, engagierte Labels wie Kuyichi sind dafür ebenso verantwortlich wie die lange Serie von Skandalen und die Unglücke, die sich in den vergangenen Jahren vor allem in Bangladesh ereigneten. Mehrere Fabrikbrände, aber vor allem der Einsturz des neungeschossigen Rana-Plaza-Gebäudes nahe Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, haben für Aufsehen und internationale Proteste gesorgt. Die um mehrere Stockwerke erweiterte Stahlskelettkonstruktion war für die insgesamt fünf Textilfabriken, die dort produzierten, nicht konzipiert und sackte im April 2013 in sich zusammen. Mehr als 1 100 Menschen starben in den Trümmern, weitere 2 500 Arbeiterinnen und Arbeiter wurden verletzt und viele sind lebenslang auf Hilfe angewiesen. Die Tragödie hat zwar Schlagzeilen gemacht und auch dazu geführt, dass Tausende von Textilfabriken in Bangladesh auf Statik und Brandschutz getestet wurden. Aber an den Arbeitsbedingungen und dem Lohnniveau habe sich nichts Wesentliches geändert, schreibt Gisela Burckhardt.
Die Textilexpertin engagiert sich seit Jahren bei der Kampagne für saubere Kleidung und hat in ihrem Buch »Todschick« (2014) edle Mode und deren Produktionsbedingungen in Bangladesh unter die Lupe genommen. Dabei kritisiert sie, dass auch fast zwei Jahre nach dem Unglück der Hilfsfonds immer noch nicht die nötigen 40 Millionen US-Dollar enthält, um die Opfer zu versorgen. Bis Mitte März waren nur 21 Millionen US-Dollar in bar oder per Zusage eingegangen. Für Burckhardt ist das ein Armutszeugnis. Doch sie verweist in ihrem Buch auch auf die alternativen Strukturen, die in der Branche in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut wurden. Holland ist dabei ein Vorreiter, denn dort existiert seit 1999 die Fair Wear Foundation (FWF). Die Stiftung wurde von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Textilunternehmen gegründet, um die Produktionsbedingungen in der Branche zu verbessern und für mehr Transparenz in der Lieferkette zu sorgen. Gut 130 Unternehmen aus der Textilbranche sind derzeit Mitglieder der Stiftung, darunter Hess Natur, der Outdoor-Produzent Mammut und eben Kuyichi. Das Label ist allerdings erst relativ spät bei der Foundation eingestiegen: »Wir produzierten zwar von Beginn mit Biobaumwolle, aber bis zum Juli 2013 waren wir Mitglied bei der Better Cotton Initiative, der auch große Player wie Ikea und Adidas angehören.« Sie hat sich den Ausbau des Biobaumwollanbaus zum Ziel gesetzt und da war Kuyichi anfangs gut aufgehoben. Doch der Marke geht es um mehr. Konkrete Verbesserungen für Arbeiterinnen und Arbeiter will man erreichen und deshalb ist Kuyichi im Juli 2013 der FWF beigetreten. Das Ziel sei, so Verkaufsdirektor Peter Schuitema, mehr Transparenz in die Lieferkette zu bekommen und beim Monitoring in den Fabriken und bei der Mängelbeseitigung Fortschritte zu machen. Das lässt sich bereits auf der Homepage von Kuyichi beobachten, auf der Fotos aus dem Inneren von Fabriken ebenso zu sehen sind wie Gesichter von Angestellten, die den dunkelblauen Denimstoff zur Jeans verarbeiten. Neue Wege, die Kuyichi bewusst beschritten hat, die aber auch von Online-Kunden und Einzelhändlern angeregt wurden. Kein Einzelfall, denn mittlerweile nimmt die Zahl der Unternehmen zu, die ressourcenschonend, fair und transparent produzieren wollen.

Nudie etwa ist ein schwedischer Jeans-Produzent, der seit 2012 ausschließlich Biobaumwolle verarbeitet und auf der Homepage ähnlich wie Kuyichi angibt, wo was produziert wird. Transparenz heißt der Slogan bei den kleinen Labels, die ganz bewusst einen Trendwechsel einleiten wollen. Zu denen gehört auch die 2010 gegründete niederländische Modemarke KOI, die mit Jeans begann und das Angebot langsam ausgebaut hat. KOI lässt zumindest teilweise in denselben Fabriken produzieren wie Kuyichi und da beide Unternehmen Mitglied in der FWF sind, können Audits gemeinsam organisiert, durchgeführt und ausgewertet werden. »Das spart nicht nur Geld, sondern sorgt auch dafür, dass gemeinsam Veränderungen angeschoben werden können«, betonen Hester Bos und Monique Voorneman unisono. »Gemeinsam sind kleine Marken einfach stärker, denn uns fehlt schließlich das Auftragsvolumen, welches Marken wie G-Star, Tommy Hilfiger und andere Jeanshersteller haben.« Es sind ganz andere Wirkungen möglich, wenn so ein Schwergewicht entscheidet, sich seine Lieferkette genauer anzuschauen.
Das gibt auch Erica van Doorn von der FWF unumwunden zu. Diese hat ihre Büros im Fashion Center von Amsterdam, wo viele namhafte Hersteller Showrooms unterhalten und wo sich trefflich Kontakte knüpfen lassen. Rund 20 Straßenbahnminuten ist das Modezentrum vom Stadtkern Amsterdams entfernt. »Wir machen keine Akquise, die Unternehmen kommen zu uns, akzeptieren unsere Arbeitsweise und profitieren davon, dass ein unabhängiger Player ihre Strukturen unter die Lupe nimmt und kontinuierlich verbessert.« Das sorge für zusätzliche Glaubwürdigkeit, sagt die ehemalige Angestellte eines großen niederländischen Consulting-Unternehmens. Outdoor-Unternehmen wie Odlo aus der Schweiz, Vaude und Jack Wolfskin aus Deutschland, Modeunternehmen wie Expresso aus Holland und die Belgier von B&C gehören genauso zu FWF wie der deutsche Billiganbieter Takko aus Telgte. Takko ist das Schwergewicht unter den Mitgliedern der FWF, seit Oktober 2011 dabei und engagiert, »die Standards im Bereich Nachhaltigkeit und Produktionsbedingungen zu optimieren«, wie es aus der Presseabteilung heißt.
Das sei eben nicht nur Marketing, berichtet van Doorn. »Das Unternehmen agiert, wird besser und hält sich an die FWF-Vorgaben.« Optimistisch blickt die FWF-Direktorin über den Rand ihrer Brille. Sie ist zu hundert Prozent überzeugt von ihrem Job und will ein Beispiel für den Wandel liefern. Dass mit einem Unternehmen wie Takko auch das Risiko steigt, in den negativen Schlagzeilen zu landen, wusste van Doorn. »Aber es hat seinen Reiz, das Geschäftsmodell eines großen Bekleidungsunternehmens zu ändern und damit ein Beispiel für die gesamte Branche zu liefern – für KiK, Primark und wie sie alle heißen«, sagt die quirlige Frau, die seit April 2008 die Geschicke der FWF leitet.
Im November 2012 lieferte der Spiegel dann die Schlagzeile, dass Takko in chinesischen Gefängnissen produzieren ließ. Seitdem hat sich vieles geändert bei dem Unternehmen: Die Lieferkette wurde gestrafft, Mitarbeiter reisen, nehmen direkten Kontakt zu den Lieferanten auf und die Beschwerden von Mitarbeitern ernst. »Es weht ein anderer Wind bei dem Unternehmen aus Telgte«, so Erica van Doorn. Doch es bleibt auch noch viel zu tun. Das Weitermachen ist Pflicht in der FWF. Wer nicht mehr besser werden will, muss gehen – auch das ist ein Stück Normalität bei der auf die Unabhängigkeit achtenden Organisation. Jedes Jahr verlassen einige Unternehmen die Foundation wieder, weil es Unstimmigkeiten gibt, weil die anspruchsvollen FWF-Audits ein Kostenfaktor sind oder weil man schlicht der Meinung ist, genug getan zu haben. Genau das versucht Erica van Doorn den Unternehmen jedoch bereits beim ersten Treffen auszureden. Es geht immer weiter, denn man kann immer noch nachhaltiger arbeiten, ist die Devise der Direktorin: »Das ist ein Prozess der Verbesserung und wir peilen derzeit an unsere Anstrengungen den living wage durchzusetzen, zu erhöhen«.

»Living wage« steht für einen existenzsichernden Lohn und die FWF liefert für jedes Land einen wage ladder, eine Einkommensleiter, an der man sich bei Lohnfragen und -verhandlungen orientieren kann. Ein erster Schritt auf dem Weg zu leidlich fairen Löhnen, aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Selbst Firmen wie Nudie, der schwedische Jeans-Hersteller, oder Switcher aus der Schweiz, die mehr zahlen wollen, um die Arbeiterinnen und Arbeiter angemessen zu entlohnen, stoßen an Grenzen. »Die Löhne orientieren sich an Stückpreisen, werden die erhöht, steigen auch die anderen Ausgaben in der Kette – bis zur Mehrwertsteuer, so dass der Staat wieder mitverdient. Das ist ein Problem und so zahlt Switcher aus der Schweiz monatlich den Arbeiterinnen und Arbeitern eine gewisse Summe separat – außerhalb des Systems«, erklärt van Doorn. Wie das zukünftig gelöst werden kann, ist noch nicht ganz klar. Mehr Druck auf Regierungsebene wäre wünschenswert, auch die Internationale Arbeitsorganisation der UN könnte Vorschläge machen, aber das kann dauern.
In Deutschland hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ein neues Textilsiegel angekündigt, um die Mode- und Textilriesen zu drängen, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten und zu verbessern.
Da sind Unternehmen wie Kuyichi schon deutlich weiter. Dort macht man sich Gedanken, wie die existenzsichernden Löhne bei den Arbeitern auch ankommen. »Mehr zahlen ist keine Lösung, denn wer garantiert uns, dass der Unternehmer nicht das Geld in die eigene Tasche steckt?«, fragt Hester Bos. Das interessiert auch die Kunden und Monique Vooreman bekommt immer wieder Anfragen, bei denen Käufer genau wissen wollen, was die Jeans kostet, bis sie das Lager in Haarlem zum Einzelhändler verlässt.
Mehr derart mündige Kunden wünscht sich auch Erica van Doorn von der FWF. Doch sie ist sich sicher, genauso wie die Mitstreiter von Kuyichi, dass die Wende in der Textilproduktion längst begonnen hat. »Die Fabriken wieder zusperren, das läuft nicht mehr im Zeitalter von immer größerer Web-Präsenz«, sind sich die Mitarbeiterinnen von Kuyichi sicher und laden die Bilder von der Fabrik in Tunesien und den Kollegen in Italien, wo das Gros der Kuyichi- Jeans produziert werden, auf einen Stick herunter. Ein Beispiel, das Schule machen soll.